„Soziale Gerechtigkeit für alle“ steht auf einer Pappe, die eine Frau am Samstagabend in Tel Aviv im Park Charles Close trotzig in die Höhe hält. Zwei Tage erst sind seit den blutigen Anschlägen im Süden des Landes mit acht Toten und 31 Verletzten vergangen.Und während sich etwa 10.000 Menschen zu einer Schweigeminute für die Opfer in dem Park am Mittelmeer vor der Hochhauskulisse von Tel Aviv erheben, schlagen nur 60 Kilometer südlich weiter palästinensische Kleinraketen in israelische Städte ein, während der dicht besiedelte Gazastreifen unter den Detonationen israelischer Bomben bebt.Innere Krise trotz Bedrohung„Nein, dies ist keine Friedensdemo“, sagt Scharon und schüttelt mit dem Kopf. An der großen roten Fahne des Sozialisten hängt ein kleines schwarzes Bändsel als Zeichen der Trauer für alle Opfer der neuen Runde der Gewalt. „Dies ist wie an den Wochenenden zuvor eine Kundgebung für soziale Gerechtigkeit. Wenn wir damit bis zum Frieden warten wollen, können wir ewig warten“, sagt der bärtige Mittdreißiger: „Bisher haben wir Israelis uns immer geduckt, wenn unsere Sicherheit bedroht war. Aber wir können nicht länger warten“.Im Hintergrund der stillen und sehr friedlichen Versammlung skandiert ein kleines Häuflein Demonstranten zwar lautstark: „Waffenstillstand jetzt“, aber die Mehrheit ignoriert sie. Ein junger Mann sitzt im Gras und hat sein an einem Besenstiel befestigtes Transparent wie eine Standarte vor sich aufgepflanzt. Ein einziges Wort steht darauf: „Schande“.SozialneidWas er denn damit meine? Er sucht nach Worten und findet dann ein Gleichnis, typisch für ein wasserarmes Land wie Israel: „Es ist eine Schande, wie sich die Reichen hier verhalten. Sie machen es sich auf ihrem saftigen, grünen Rasen bequem und tun zugleich alles dafür, dass die anderen um sie herum möglichst auf verdorrtem Boden hocken“, sagt Alon. „Ich will, dass in Israel alle auf einem grünen Rasen leben.“Auch Amir setzt auf die Reichen, besser gesagt auf ihr Vermögen. „Glaub' mir, es ist genug Geld für alle unsere Forderungen da, die Reichen haben es“, meint der Mann, der zum lautstarken Trupp im Hintergrund gehört, und nickt dabei wissend. Aber mit den Zahlen hat er es nicht so. „Sieh' Dich hier doch nur um, 100.000 Leute sind das“, sagt er mit weit ausholender Geste. Kopfschütteln rundum. „O.K., 50 000, jedenfalls echt viele“, meint er und fällt wieder in den Chor ein: „Waffenstillstand jetzt“.Ob wirklich so viel zu verteilen ist, daran hat der Ökonom Michael Beenstock von der Hebräischen Universität seine Zweifel. Der Kuchen werde durch die Proteste ja nicht größer. Wenn aber mehr Geld für Wohnungssubventionen, das Gesundheitswesen oder die Bildung ausgegeben werden solle, müsse das woanders weggenommen werden.„Steuererhöhungen bringen nicht viel, weil sie die Steuerhinterziehung fördern und die ganz Reichen sich sowieso immer irgendwie entziehen können, notfalls ins Ausland abwandern“, sagt er im Gespräch mit dpa.Die Siedlungen im Westjordanland und die Privilegien für die Orthodoxen seien zwar nicht billig, aber die dort eingesetzten Mittel seien ein Klacks im Vergleich zu dem Geld, das für die Umsetzung der Forderungen der Protestbewegung notwendig wären, fügt Beenstock hinzu. Am wichtigsten sei es, für mehr Konkurrenz in der Wirtschaft zu sorgen. „Die Monopole und (Preis-)Kartelle in Israel müssen beendet werden. Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu arbeitet daran.“Den größten Haushaltsposten aber, den Verteidigungsetat, spricht der Ökonom gar nicht erst an. Das heikle Thema Sicherheit versus Wohlstand bringt dagegen ein Kundgebungsteilnehmer mit seinem Plakat ganz einfach auf einen Nenner: „Ich will Arbeit und nicht noch einen Krieg.“dpa