Sie zu Fall zu bringen, hätte kaum strategische Bedeutung. Warum aber wird so brutal um sie gekämpft?<BR /><BR />Bachmut ist eine kleine Industriestadt in der Ostukraine, die für ihre Salzminen bekannt ist. Vor Russlands Angriff lebten dort etwa 70.000 Menschen. Monatelanger Artilleriebeschuss legte große Teile der Stadt in Schutt und Asche und zwang die Bewohner zur Flucht. Die ca. 5000 verbliebenen Bewohner verstecken sich in Kellern der Ruinen. Ukrainische und ausländische Freiwillige riskieren ihr Leben, um sie zu versorgen. <BR /><BR />Im Kampf um die Stadt schicken die russische Armee und die russische Söldnergruppe Wagner schlecht ausgebildete Rekruten in Wellen an die Front, berichten ukrainische Soldaten. Die jungen Männer würden als „Kanonenfutter“ in den Tod geschickt. Auch auf ukrainischer Seite sollen viele Soldaten ums Leben gekommen sein. Westliche Quellen schätzen, dass Hunderte Soldaten im Kampf um die Stadt verwundet oder getötet werden – und das jeden Tag. Dabei messen Experten Bachmut nur wenig oder gar keine strategische Bedeutung zu. <BR /><BR />„Der Kampf um Bachmut hat enorme militärische und menschliche Ressourcen verschlungen“, sagt der australische Ex-Generalmajor Mick Ryan von der US-Denkfabrik „Center for Strategic and International Studies“. „Diese Investitionen stehen in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Stadt.“ Beide Seiten hätten sich auf die Stadt fixiert, was aber nur dazu geführt habe, „ihr Potenzial gegenseitig zu schwächen“, sagt der belgische Militärexperte Joseph Henrotin. Doch sei Bachmut „nur ein Teil des Puzzles. Ihr Fall ist bedeutungslos, wenn die anderen Stellungen halten.“ Die Einnahme des Ortes könnte es den Russen ermöglichen, nach Westen in Richtung Kramatorsk vorzudringen. Kramatorsk jedoch sei gut verteidigt, sagt Henrotin. „Strategisch gesehen ist Bachmut von geringer Bedeutung, da die Russen die Stadt mit ihrer Artillerie vollständig zerstört haben“, räumte selbst Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj kürzlich in einem Interview mit der französischen Zeitung „Le Figaro“ ein.<h3>Symbolischer Kampf</h3>Je länger die Schlacht um Bachmut dauerte, desto größer wurde die symbolische Bedeutung der Stadt. Selenskyj besuchte sie im Dezember und sprach von der „Festung Bachmut“. Für Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Söldner-Truppe Wagner, ist die Einnahme der Stadt ein beinahe persönliches Ziel, das die Bedeutung seiner Söldner beweisen würde. Eine Eroberung Bachmuts bedeute „einen dringend benötigten Sieg für den russischen Präsidenten Wladimir Putin und seine Armee“, sagt Ex-Generalmajor Ryan. <BR /><BR />Thibault Fouillet von der französischen Denkfabrik „Fondation pour la Recherche Stratégique“ weist darauf hin, dass es der erste Sieg Moskaus seit den erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensiven im Herbst wäre. Die Stadt sei „ein echtes Symbol – für die Ukrainer und die Russen gleichermaßen“, sagt er. Deshalb will Kiew sie trotz hoher eigener Verluste halten. Trotzdem häufen sich Indizien und Berichte über einen geplanten Truppenabzug, nachdem die Russen Bachmut inzwischen von 3 Seiten einkreisten und in Richtung der letzten Zufahrtsstraße zur Versorgung der ukrainischen Einheiten vorrücken. <h3>Schauplatz russischer Rivalitäten</h3>Laut einem Bericht der „Bild“-Zeitung gibt es Gerüchte über ein Zerwürfnis zwischen Selenskyj und dem ukrainischen Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj über das Vorgehen in Bachmut. Nach einer Lagebesprechung gestern zwischen Selenskyj, Oberbefehlshaber Saluschnyj und dem Chef der Landstreitkräfte, Olexander Syrskyj, wurde nach Angaben Kiews beschlossen, Bachmut zumindest vorerst weiter zu halten. Die beiden Militärs sprachen sich demnach für „die Fortsetzung der Verteidigungsoperation und die weitere Stärkung unserer Positionen in Bachmut aus“, hieß es weiter. <BR /><BR />Der Kampf um die Kleinstadt hat auch die Rivalität zwischen dem russischen Verteidigungsministerium und Wagner-Chef Prigoschin zutage gebracht. Ende Februar warf Prigoschin dem Ministerium vor, militärische Fortschritte in der Stadt zu behindern, weil es seinen Söldnern nicht genügend Munition liefere. Wenn Wagner-Truppen nicht bald die versprochene Munition geliefert bekämen und sich deshalb zurückziehen müssten, drohe die gesamte Front zusammenzubrechen, drohte Prigoschin gestern. Mit Blick auf ausbleibende Munitionslieferungen fügte er hinzu: „Im Moment versuchen wir herauszufinden, was der Grund dafür ist: Ist es nur gewöhnliche Bürokratie oder ein Verrat?“ <BR /><BR />Die Politologin Tatjana Stanowaja von der US-Denkfabrik „Carnegie Endowment for International Peace“ meint, Prigoschin habe ein Problem damit, „sich mit der Nische zu begnügen, die Putin für ihn vorgesehen hat. Er ist der Meinung, der Kreml sollte ihm ein größeres Mandat geben“, und prognostiziert, dass die Spannungen zwischen Prigoschin und dem Ministerium noch zunehmen werden.