<b>von Jan-Werner Müller</b><BR /><BR />Bis vor kurzem war das Schreckgespenst einer internationalen Allianz rechtsextremer populistischer Parteien in Demokratien auf der ganzen Welt eben nichts weiter als ein Schreckgespenst: Jede Form der Zusammenarbeit erschien eher Selbstdarstellung als Ausdruck echter Solidarität zu sein. Nur wenige Rechtsradikale haben jemals Opfer füreinander gebracht oder sich ernsthaft in die inneren Angelegenheiten anderer Länder eingemischt, um Verbündete zu unterstützen. Und die Bemühungen um eine Vereinigung der extremen Rechten im Europäischen Parlament sind kläglich gescheitert.<BR /><BR />Doch das könnte sich ändern. Die Drohung von US-Präsident Donald Trump, Strafzölle gegen Brasilien zu verhängen, mit dem ausdrücklichen Ziel, den ehemaligen rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro vor einer „Hexenjagd“ zu schützen, markiert einen bedeutenden taktischen Wandel. Darüber hinaus dient Trumps Einmischung in andere Demokratien im Namen der „Meinungsfreiheit“ mächtigen Interessen in den Vereinigten Staaten: nämlich den Technologieunternehmen, die nicht von ausländischen Regierungen reguliert werden wollen.<BR /><BR />Die internationale extreme Rechte wird oft als Widerspruch in sich bezeichnet. Schließlich ist jeder rechtsextreme Führer ein Nationalist, wodurch eine internationale Allianz per Definition ausgeschlossen wäre. Diese Sichtweise zeugt jedoch von wenig philosophischer Differenziertheit oder, in diesem Fall treffender, von mangelndem historischen Bewusstsein.<BR /><BR />Im Europa des 19. Jahrhunderts halfen Liberale wie Giuseppe Mazzini sich gegenseitig in ihren unterschiedlichen Kämpfen für Freiheit und Unabhängigkeit von imperialen Mächten. Damals beklagte niemand, dass eine liberale internationale Allianz, die sich der nationalen Selbstbestimmung verschrieben hatte, einen grundlegenden Widerspruch in sich barg.<BR /><BR />Ebenso können heutige rechtsextreme Populisten behaupten, sie bilden eine Einheitsfront gegen „Globalisten“ und angeblich illegitime „liberale Eliten“. Diese Rhetorik – und die damit einhergehenden, oft antisemitisch gefärbten Verschwörungstheorien – überschreitet Landesgrenzen mühelos. Rechtsextreme Politiker kopieren auch gegenseitig die von der Wissenschaft so bezeichneten „schlechtesten Vorgehensweisen“ zur Aushöhlung von Demokratien. <BR /><BR />Man denke nur an die zunehmende Zahl von Gesetzen, die zivilgesellschaftliche Organisationen zur Registrierung als „ausländische Agenten“ verpflichten, oder an andere kaum verhüllte repressive Taktiken.<BR /><BR />Zudem verfügt die extreme Rechte auch über eine transnationale ideologische Infrastruktur. Zwar existiert keine populistische Komintern, die verbindliche Auslegungen einer Doktrin herausgibt, aber die Zusammenarbeit ist real: So sind beispielsweise von Viktor Orbáns Regierung großzügig finanzierte ungarische Institute nun per Vereinbarung mit der Heritage Foundation in den USA verbunden.<BR /><BR />Bislang mangelt es jedoch unter den populistischen Führern an konkreter Solidarität. Als Trump fälschlicherweise behauptete, die US-Präsidentschaftswahlen 2020 gewonnen zu haben, hätten sich seine internationalen Verbündeten, vom indischen Premierminister Narendra Modi bis zum israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, weigern können, Joe Biden als Präsident anzuerkennen. Stattdessen gratulierten sie Biden zu seinem Sieg und entschieden sich für Pragmatismus statt ideologische Affinität.<BR /><BR />Doch in seiner zweiten Amtszeit ist Trump dabei, dies zu ändern. Im Umgang mit anderen Ländern verfolgt er einen ideologisch motivierten Ansatz, der offensichtlich langjährige internationale Normen untergräbt. Im Fall Brasiliens setzt er die Androhung von Zöllen in Höhe von 50 Prozent ein, um die Regierung zu zwingen, das Strafverfahren gegen Bolsonaro einzustellen, der nach seiner Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen 2022 einen Staatsstreich anzetteln wollte.<BR /><BR /> Im Gegensatz zu Trump, der für seine Rolle bei den Ausschreitungen am US-Kapitol vom 6. Januar 2021 nie zur Rechenschaft gezogen wurde, darf der - oft als „Trump der Tropen“ bezeichnete - Bolsonaro bis 2030 nicht mehr für ein politisches Amt kandidieren.<BR /><BR />In seinem Brief an die brasilianische Regierung, in dem Trump die Strafzölle ankündigte, beschuldigte er diese außerdem „heimtückischer Angriffe auf ... die grundlegenden Rechte der Amerikaner auf freie Meinungsäußerung“, darunter die Zensur „US-amerikanischer Social-Media-Plattformen.“ <BR /><BR />Dies verdeutlicht eine weitere Dimension der wirtschaftlichen Schikanen Trumps: den Kreuzzug seiner Regierung gegen Bemühungen, Hassreden zu verbieten und den digitalen Raum zu regulieren. Im Februar beschimpfte Vizepräsident J.D.Vance die Europäer wegen ihrer angeblichen Missachtung der „Meinungsfreiheit“.<BR /><BR /> Unterdessen hat das US-Außenministerium Berichten zufolge den prominenten brasilianischen Richter Alexandre de Moraes ins Visier genommen, der Elon Musks X in Brasilien zeitweise sperren ließ und sich federführend dafür einsetzt, Bolsonaro für sein Verhalten strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.<BR /><BR />Big Tech ist offensichtlich unzufrieden mit den umfangreichen Regulierungsmaßnahmen, die die Europäische Union und Brasilien für diese Branche eingeführt haben. Wie in anderen Bereichen – insbesondere bei ihren Angriffen auf den Hochschulbereich – instrumentalisieren die Trumpisten die Meinungsfreiheit, um Macht über vermeintliche politische Gegner auszuüben.<BR /><BR />Die Heuchelei ist offenkundig: Unter dem Vorwand, die Meinungsfreiheit schützen zu wollen, setzt sich die US-Regierung für eine Deregulierung der Plattformen ein, während sie gleichzeitig in den Social-Media-Konten von Ausländern nach Postings schnüffelt, die ihr nicht gefallen (und ihnen dann auf dieser Grundlage ein Visum oder die Einreise verweigert).<BR /><BR /> Fromme Reden von der Verteidigung der Demokratie als gemeinsamen westlichen Wert stehen in krassem Widerspruch zu der erbärmlichen Missachtung des Rechts anderer Länder, ihren eigenen Ansatz zur Regulierung von Plattformen zu bestimmen.<BR /><BR />Während die Realpolitik den rechtsextremen Anführern in kleineren Ländern Grenzen setzt, kann Trump Amerikas Macht nutzen, um seine bestrafende und populistische Agenda nach Belieben voranzutreiben. Schließlich wird eine gefügige Republikanische Partei Trumps Missbrauch des Gesetzes über internationale wirtschaftliche Notstandsbefugnisse aus dem Jahr 1977 nicht in Frage stellen. <BR /><BR />Zwar könnten die Gerichte letztendlich entscheiden, dass Trumps Wunsch nach politischer Rache wohl kaum einen „Notfall“ darstellt, aber der Schaden wäre dann bereits angerichtet. Wie in anderen Bereichen, in denen seine Regierung eindeutig illegale Maßnahmen ergriffen hat, werden viele der Betroffenen eher einen Deal anstreben als einen Kampf. Solidarität hat ihren Preis, für Trump allerdings nicht.<BR /><BR /><b>Zum Autor</b><BR />Jan-Werner Müller ist Professor für Politikwissenschaften an der Princeton University und Verfasser des jüngst von ihm erschienenen Buchs Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit: Wie schafft man Demokratie? (Suhrkamp, 2021).