Sonntag, 28. Mai 2023

Türkei-Wahl: Opposition beklagt Angriff auf Beobachter

Bei der Präsidentenwahl in der Türkei hat die größte Oppositionspartei CHP im Südosten des Landes einen Angriff auf ihre Wahlbeobachter beklagt. In der Provinz Sanliurfa seien die Wahlbeobachter der Partei geschlagen und ihre Telefone kaputt gemacht worden, weil sie gegen Unregelmäßigkeiten Einspruch erhoben hätten, schrieb der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Özgür Özel am Sonntag auf Twitter.

Stichwahl in der Türkei: Erdogan oder Kilicdaroglu?. - Foto: © APA/AFP / CAN EROK

Der Vorfall habe sich in einem Dorf der Provinz ereignet, der CHP-Abgeordnete Ali Seker sei an Ort und Stelle. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden. Özel kritisierte zudem, dass nicht genügen Sicherheitskräfte vor Ort seien und forderte die Behörden auf, für die Sicherheit der Wahl zu sorgen.

Im Kampf um das Präsidentenamt in der Türkei gaben Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan und sein Kontrahent Kemal Kilicdaroglu unterdessen ihre Stimmen ab. Kilicdaroglu wählte am Sonntag in einer Schule in der Hauptstadt Ankara, Erdogan in der Metropole Istanbul. Der 74-jährige Herausforderer rief seine Anhänger unter anderem dazu auf, die Wahlurnen zu schützen, „denn diese Wahl findet unter sehr schweren Bedingungen statt.“ Die Opposition sei etwa diffamiert worden.

Es gelte, die Herrschaft von Amtsinhaber Erdogan zu beenden. „Ich lade alle Bürger dazu ein, an die Urne zu gehen, um die Unterdrückung und die autoritäre Führung abzuschaffen und diesem Land echte Freiheit und Demokratie zu bringen.“ Erdogan sagte bei seiner Stimmabgabe in Istanbul, dass es sich um die erste Stichwahl in der Geschichte der Türkei handle. Er lobte die hohe Wahlbeteiligung in der ersten Runde am 14. Mai und sagte, er rechne erneut mit einer hohen Teilnahme.

Wahllokale bis 16 Uhr geöffnet

Die Wahllokale öffneten Sonntag früh um 7 Uhr und schließen um 16 Uhr (MESZ). Der 69-jährige Erdogan gilt als Favorit. Er hatte bei der ersten Runde vor zwei Wochen die meisten Stimmen erhalten, verpasste die nötige absolute Mehrheit aber knapp.

Die Ergebnisse der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei sollen früher verfügbar sein als die Ergebnisse der ersten Runde. Weil es nur eine Abstimmung mit 2 Kandidaten sei, werde die Auszählung voraussichtlich schneller gehen, erklärte der Leiter der türkischen Wahlbehörde, Ahmet Yener, am Sonntagvormittag. Eine Zeit nannte er nicht. Die Abstimmung laufe bisher störungsfrei ab, so Yener. An sich darf offiziell erst ab 20 Uhr über Ergebnisse berichtet werden. Die Wahlkommission hat diese Regel in der Vergangenheit aber meist außer Kraft gesetzt und eine frühere Berichterstattung zugelassen.

Nach der ersten Abstimmung am 14. Mai hatten sowohl die Staatsagentur Anadolu als auch die oppositionsnahe Agentur Anka bereits am Abend gemeldet, dass es in eine zweite Runde gehen würde. Die Wahlbehörde verkündete ihr vorläufiges Endergebnis allerdings erst gegen Mittag am Folgetag. In der ersten Runde hatten die rund 61 Millionen Wahlberechtigten in der Türkei auch ihre Stimme für ein neues Parlament abgegeben, was die Auszählung verlangsamte.

Überraschendes Ergebnis bei erster Wahl

Das Ergebnis des ersten Wahlgangs überraschte viele: Umfragen hatten zwar eine Stichwahl vorausgesagt, der 74-jährige Kilicdaroglu galt aber als Favorit. Zwischen Erdogan und seinem Gegner lagen dann rund 2,5 Millionen Stimmen, die die Opposition nun aufholen will.

Die Wahl gilt als richtungsweisend. Erdogan ist seit 20 Jahren an der Macht. Seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 hat er so viel Macht wie nie zuvor. Kritiker befürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern vollends in die Autokratie abgleiten könnte, sollte er erneut gewinnen. Kilicdaroglu ist Chef der sozialdemokratischen Partei CHP und tritt für eine Allianz aus sechs Parteien unterschiedlicher Lager an. Er verspricht, das Land zu demokratisieren. International wird die Abstimmung in dem NATO-Land aufmerksam beobachtet.

Die erste Wahlrunde galt als grundsätzlich frei aber unfair. Internationale Wahlbeobachter bemängelten etwa die Medienübermacht der Regierung und mangelnde Transparenz bei der Abstimmung. Die Wahlbehörde YSK gilt zudem als politisiert. Ein kritischer Punkt bei der Durchführung der Abstimmung sind die zahlreichen Wahlbeobachter an den Urnen. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu hatte vor der zweiten Abstimmungsrunde erklärt, Wahlbeobachter der Organisation Oy ve Ötesi davon abhalten zu wollen, an den Urnen vertreten zu sein. Besonders bei der Opposition löste die Aussage Sorge aus.

Abstimmung mit symbolischem Datum

Die Abstimmung fällt auf ein für die Opposition symbolisches Datum: Am Sonntag jähren sich auch die regierungskritischen Gezi-Proteste zum zehnten Mal. Die Demonstrationen im Frühjahr 2013 hatten sich zunächst gegen die Bebauung des zentralen Istanbuler Gezi-Parks gerichtet. Sie weiteten sich zu landesweiten Demonstrationen gegen die immer autoritärere Politik Erdogans aus, der damals noch Ministerpräsident war. Dieser ließ die weitestgehend friedlichen Proteste brutal niederschlagen.

Bestimmendes Thema vor der zweiten Runde war das Thema Migration. Sowohl Erdogan als auch Kilicdaroglu sicherten sich die Unterstützung von rechtsnationalen Politikern. Vor allem Kilicdaroglu machte die Rückführung von Flüchtlingen nach Syrien zu seinem Hauptwahlkampfthema und verschärfte seinen Ton gegenüber der ersten Runde deutlich.

Die Türkei beherbergt rund 3,4 Millionen Flüchtlinge alleine aus Syrien. Für Europa spielt sie in der Migrationspolitik eine große Rolle. Weiteres Thema im Wahlkampf war die schlechte wirtschaftliche Lage mit einer massiven Inflation. Erdogan beschimpfte die Opposition immer wieder als „Terroristen“. Der Amtsinhaber trat zudem mit der Ansage an, bei einer Wiederwahl stärker gegen lesbische, schwule, bisexuelle und transidente Menschen vorgehen zu wollen.

Im Parlament konnte sich Erdogans Regierungsbündnis bereits bei den Wahlen vor zwei Wochen erneut die absolute Mehrheit sichern. Sollte Kilicdaroglu am Sonntag gewinnen, könnte er die für eine Abschaffung des Präsidialsystems nötige Verfassungsänderung nicht im Alleingang erreichen.

Rund 61 Millionen Menschen sind zur Stimmabgabe aufgerufen. Türkische Staatsbürger in Österreich haben bereits abgestimmt. Es war hierzulande erneut eine Rekordbeteiligung verbucht worden. Wie die türkische Botschaft in Wien mitteilte, wurden insgesamt 67.726 Stimmen gezählt. Dies entspreche einer Beteiligung von 60,47 Prozent der 112.000 Stimmberechtigten oder um 4,3 Prozentpunkte mehr als in der ersten Wahlrunde. Im ersten Durchgang hatten 72 Prozent der türkischen Wählerinnen und Wähler in Österreich für Erdogan gestimmt. Das war im internationalen Vergleich ein hoher Prozentsatz.

apa

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