Eine Woche vor den Parlaments- und Präsidentenwahlen in der Türkei herrscht wachsende Ungewissheit über ihren Ausgang. <BR /><BR /><BR />Zwar zeichnet sich für die „Große Nationalversammlung“ weiter eine, wenn auch knappe Mehrheit ab für die „Volksallianz“ von Recep Tayyip Erdogans „Gerechter Aufwärtsentwicklung“ (AKP) mit noch radikaleren Nationalisten und Islamisten. Das oppositionelle „Bündnis der Nation“ von 6 meist linksliberalen Parteien kann seiner zwar für eine Abwahl von Erdogan einigen, doch sonst recht bunten Wählerschaft hinsichtlich ihrer Parteitreue nicht so sicher sein. Besonders in Sozial- und Minderheitenfragen gibt es beträchtliche Gegensätze.<BR /><BR /><BR />Was schon vor dem Wahltag an Neuentwicklungen feststeht, ist der Fall einer Reihe von Tabus der türkischen Einstellung zu bisher ausgegrenzten Themen. So wurden gerade die in der Osttürkei zahlreichen Schiiten zugunsten des staatskonformen Sunnitentums unterdrückt oder zumindest benachteiligt. Diese religiös liberalen und politisch linkslastigen „Alevi“ blieben vom schulischen Religionsunterricht ausgeschlossen, ihre Versammlungsstätten (Cem Evi) wurden nur zögerlich zugelassen. <h3> Der Bann ist gebrochen</h3><BR />Jetzt hat aber Erdogans Gegenspieler als Präsidentschaftskandidat, der Sozialdemokrat Kemal Kilicdaroglu, den Bann gebrochen: Er bekannte sich selbst als Alevi und versprach den Glaubensgeschwistern im Fall seines Wahlsiegs volle Religionsfreiheit.<BR /><BR />Hinzu hatte es sich das Erdogan-Regime angewöhnt, die demokratischen, mit aramäischen und armenischen Kampfgruppen verbündeten kurdischen Freiheitskämpfer in Nordostsyrien mit der autonomistischen, doch zu Terrorakten neigenden PKK (Kurdische Arbeiterpartei) in einen Topf zu werfen. Das wurde auch zur Hauptdifferenz von Türken und Amerikanern in syrischen Fragen. <BR /><BR />Nun hat aber der Chef der „Demokratischen Fortschrittspartei“ (DEVA), Ali Babacan, jede Zusammenschau der kurdischen Freiheitskämpfer in Syrien mit der PKK von Abdullah Öcalan zurückgewiesen. Der frühere Wirtschaftsminister Erdogans und Vater von dessen anfänglichem türkischen Wirtschaftswunder warnt davor, alles Kurdische mit Terror in Verbindung zu bringen.<BR /><BR /><BR />Zum Zünglein an der Waage dürfte so die „Demokratische Partei der Völker“ (HDP) werden, die am 14. Mai unter dem neuen Namen „Grüne Linke“ ihr Glück versucht. Sie vertritt die türkischen Kurden, Christen und Juden. Ein Anlauf des Regimes zu ihrem Verbot noch vor diesen Wahlen ist an der Hinhaltetaktik des Verfassungsgerichtshofs in Ankara gescheitert. Die Partei mit kurdischen, griechischen und armenischen Abgeordneten sowie einer Mandatarin der arabischen Orthodoxen hat keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten, sondern dem Wahlvolk die Entscheidung frei gestellt. <h3> Wirtschaftlicher Niedergang</h3><BR />Allerdings spricht sich der Ko-Vorsitzende Selahattin Demirtas für den gemeinsamen Kandidaten von 6 Oppositionsparteien aus: Kemal Kilicdaroglou, den Präsidenten der kemalistischen, heute sozialdemokratischen „Republikanischen Volkspartei“ (CHP). Er tat das über einen Anwalt aus dem Gefängnis, wo er seit 2016 eingekerkert ist. Eine Niederlage Erdogans würde für ihn und Zehntausende andere politische Gefangene die Freilassung bedeuten.<BR /><BR /><BR />In einer seiner jüngsten Reden hat der türkische Machthaber die Vergrämung seiner bisherigen Wählerschaft durch den wirtschaftlichen Niedergang der letzten Jahre, Inflation, Teuerung und Verknappung von Lebensmitteln mit Anhänglichkeit an seine Person auszutricksen versucht. In seiner engeren Heimat am östlichen Schwarzen Meer beschwor er die Zuhörerinnen und Zuhörer: „Ihr werdet doch Euren Führer nicht für ein paar Zwiebeln und Kartoffeln verraten!“ <BR /><BR /><BR />Seine persönliche Zugkraft hat aber seit einem gesundheitlichen Zusammenbruch Ende April vor laufenden Kameras stark gelitten. Zwar ist ein blasser, sichtlich angeschlagener Erdogan inzwischen wieder aufgetaucht. Doch glaubt in der Türkei niemand an die offizielle Version von einer „vorübergehenden“ Darmgrippe…Zwar kursieren Gerüchte, dass Erdogan seine Herrschaft im Fall einer Wahlniederlage durch eine autoritäre Machtergreifung verlängern will. Dem scheinen aber durch seinen gesundheitlichen Verfall Grenzen gesetzt.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />