Man müsse Polen und Ungarn verstehen, und deren ursprüngliches Veto gegen das EU-Budget in den richtigen Kontext setzen: Das meint Günther Rautz, der Leiter des EURAC-Instituts für Minderheitenrecht, in einem Kommentar. <BR /><BR /><i>von Günther Rautz</i><BR /><BR />Blicken wir kurz auf die letzten Wochen zurück: Polen und Ungarn blockierten medienwirksam das rund 1,8 Billionen Euro EU-Budget für den Zeitraum 2021-2027. Teil dieses Pakets ist der Coronavirus-Wiederaufbaufonds im Wert von 750 Milliarden Euro. Gelder, die allen EU-Mitgliedstaaten zugutekommen, darunter natürlich auch Polen und Ungarn. <BR /><BR />Aber warum vergleicht der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán die EU mit der ehemaligen Sowjetunion? Viktor Orbán und der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki wollten den Mechanismus nicht akzeptieren, der vorsieht, dass die Auszahlung der Aufbaugelder an Rechtsstaatsprinzipien gekoppelt werden. Mit diesem Rechtsstaatsmechanismus schafft die EU erstmals ein Instrument, mit dem künftig bei Verstößen gegen Grundwerte EU-Gelder gekürzt werden können. Eine Konditionalität also, die bisher nur nach außen für Nicht-Mitgliedstaaten Anwendung fand. So war und ist zum Beispiel der Minderheitenschutz eine Bedingung für den Beitritt zur EU. Nun soll diese Konditionalitätspolitik auch nach innen für die Mitgliedstaaten wirksam werden.<BR /><BR /><b>Strafe für Nein zum Migrationspakt?</b><BR /><BR />Die Einwände von Orbán richteten sich nicht gegen den EU-Haushalt, sondern genau gegen diesen Rechtsstaatsmechanismus. Dieser hätte keine objektiven überprüfbaren Kriterien und wäre nur eine Bestrafung der EU, weil Ungarn das Migrations-Paket der EU-Kommission ablehne. Der am Donnerstag beim EU-Gipfel von der deutschen Ratspräsidentschaft ausverhandelte Kompromiss sieht nun ausdrücklich ein objektives, faires, unparteiisches, faktenbasiertes und ordnungsgemäßes Verfahren vor. Außerdem sollen die EU-Gelder im Fall einer Klage erst nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gekürzt oder gestrichen werden können.<BR /><BR />Es besteht aber kein Zweifel, dass in Ungarn ein Umbau des politischen Systems stattfindet, indem das Parlament entmachtet, Universitäten geschlossen, Medien politisch gleichgeschaltet und die Unabhängigkeit der Gerichte eingeschränkt wurden. Ähnliche Maßnahmen der polnischen Regierung im Justizbereich gipfelten jedoch in anhaltenden Protesten der Zivilgesellschaft gegen das verschärfte Abtreibungsverbot.<BR /><BR /><b>Warum der antieuropäische Populismus Erfolg hat</b><BR /><BR />Die Koppelung des Corona-Wiederaufpakets mit dem Rechtsstaatsmechanismus ist insofern tatsächlich problematisch, als dass es der populistischen Politik der ungarischen Regierung in die Hände spielt, und die verbliebenen Ansätze einer kritischen Zivilgesellschaft und die wirtschaftliche Lage nur noch weiter schwächt. In diesen Kontext müsse man das nun abgewendete Veto Ungarns und Polens setzen.<BR /><BR />Der Erfolg der populistischen antieuropäischen Regierungen in Mittel- und Osteuropa hat gerade damit zu tun, dass die Menschen von der EU enttäuscht sind. Zwischen West- und Osteuropa geht die soziale Schere immer weiter auseinander, bedenkt man die große Zahl von Pflegerinnen, Saisonarbeitern oder LKW-Fahrern, die für Billigstlöhne unseren Lebensstil erhalten.<BR /><BR />Oder denken wir an die Schuldenlast ungarischer Bürger, die immer noch Euro Kredite in Forint zurückzahlen müssen, weil wegen der Bankenkrise 2008 die Euro-Einführung in Ungarn gescheitert ist. Auch dass Polen als größtes Land mit der höchsten Wirtschaftskraft der neuen Mitgliedsstaaten immer noch nicht den Euro eingeführt hat, dient nicht gerade der wirtschaftlichen Integration dieser Länder aus dem Osten.<BR /><BR /><b>Junge Arbeitskräfte wandern aus</b><BR /><BR />Nicht zu unterschätzen ist auch die demographische Entwicklung, wenn etwa in Bulgarien über 10% der Bevölkerung bereits ihr Land Richtung Westen verlassen haben. Neben den oben genannten billigen Arbeitskräften kehren auch die gut ausgebildeten jungen Osteuropäer ihren Ländern den Rücken zu und lassen eine alternde sozial marginalisierte Bevölkerung zurück. <BR /><BR />Was in der aktuellen Diskussion um den Rechtsstaatsmechanismus aber meist unerwähnt bleibt, ist die Tatsache, dass die EU-Kommission in Zukunft jährlich einen Bericht zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in allen 27 Mitgliedstaaten veröffentlichen wird.<BR /><BR /><b>Dialog über gemeinsame Grundwerte</b><BR /><BR />In ihrem im September vorgestellten ersten Bericht nennt die EU-Kommission eine Reihe von Mitgliedstaaten, die gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen. Neben Polen und Ungarn sind das Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Malta, Slowenien und Spanien, aber auch Deutschland. Die Bandbreite der Verstöße reicht von Unabhängigkeit der Justiz, Medienfreiheit, Korruption bis hin zur Weisungsgebundenheit von Staatsanwälten. Mit diesem Rechtsstaatsbericht möchte die EU einen Dialog mit einzelnen Mitgliedstaaten über gemeinsame Grundwerte führen können, um die Demokratie zu stärken.<BR /><BR />In meinen Augen ein richtiger Ansatz, um nicht immer dieselben Staaten und deren Bürger an den Pranger zu stellen, was wiederum nur den populistischen Regierungen zugutekommt. Dieser Rechtsstaatsbericht lässt einen länderspezifischen Dialog zur Frage der Rechtsstaatlichkeit zu. Damit sollte wie bei allen Überprüfungsmechanismen ein sozialisierender Effekt in den genannten Ländern einhergehen, was wiederum eine weitere Spaltung Europas eindämmen könnte.<BR /><BR />