<b>von Harold James</b><BR /><BR />Der Juni 2025 wird als Wendepunkt in Erinnerung bleiben, an dem der alte multilaterale Ansatz im Bereich globaler Governance endgültig ausgedient hat. Bestehende Institutionen, insbesondere solche, die auf der Idee des „Westens“ basieren (wie Nato und G7), spielen keine Rolle mehr. <BR /><BR />Obwohl die USA signalisierten, möglicherweise iranische Atomanlagen anzugreifen, hielten sie es jedoch nicht für nötig, zuvor andere Nato-Mitglieder zu konsultieren. Im Gegenteil: Präsident Donald Trump verließ das G7-Treffen im kanadischen Kananaskis vorzeitig, um die Mission zu starten.<h3> Vom Krisengipfel 1975 zur Bedeutungslosigkeit 2025</h3>Die Bedeutungslosigkeit der G7 ist ein Beleg für den aktuellen Zustand der internationalen Beziehungen. Interessanterweise wurde das erste Gipfeltreffen der Gruppe vor einem halben Jahrhundert einberufen, um sich mit der instabilen Lage im Nahen Osten nach einem Flächenbrand (dem Jom-Kippur-Krieg 1973) zu befassen, der die wirtschaftliche und politische Stabilität des „Westens“ gefährdete. <BR /><BR />Die Gipfelteilnehmer fanden sich im November 1975 in Rambouillet vor den Toren von Paris ein, um eine Alternative zu einer direkten militärischen Intervention zu finden.<h3> Demokratie unter Druck – damals wie heute</h3>Die Anwesenden waren verzweifelt bemüht, dem Gefühl der wirtschaftlichen und politischen Instabilität entgegenzuwirken, das die Demokratie in ihren Ländern gefährdete.<BR /><BR />Das Thema des Gipfels war zwar aus regelmäßigen Treffen der Finanzminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und Japans heraus entstanden, aber auch Italien war mit dabei – nicht weil das Land nutzbare Ressourcen zu bieten gehabt hätte, sondern weil es sich in der tiefsten Krise befand und seine Demokratie am stärksten gefährdet war.<h3> Kissingers Vision: Geld statt Gewalt</h3>Es war Henry Kissinger, der 1974 die Alternative zu militärischen Maßnahmen vorgeschlagen hatte: Regionale Mächte, insbesondere Saudi-Arabien und Iran, sollten eingebunden werden, indem man sie ermutigte, ihre hohen Einnahmen aus Ölexporten in westlichen Banken zu deponieren. <BR /><BR />Diese Petrodollars sollten dann an die großen Schwellenländer der damaligen Zeit – Länder in Südamerika, aber auch in dem von der Sowjetunion dominierten Mitteleuropa – als Kredite vergeben werden, sodass alle durch Geld miteinander verbunden wären. Auf diese Weise würde die Finanzwelt dafür sorgen, dass in Hinkunft kostspielige und gewaltsame Auseinandersetzungen vermieden werden.<h3> Neoliberalismus am Ende – aber keine Alternative in Sicht</h3>Später wurde diese Denkart als eine Form des ungezügelten Neoliberalismus verworfen, und politische Führungspersönlichkeiten von Joe Biden über Wladimir Putin bis hin zur Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, distanzierten sich davon. <BR /><BR />Doch obwohl der Neoliberalismus und die damit verbundene Überzeugung, Handel könne Frieden bringen, von allen Seiten angeprangert wurden, bot kaum jemand eine schlüssige Alternative an.<BR /><BR />Die Skeptiker hätten gut daran getan, in der antiken Mythologie nachzuschlagen, wo der Gott des Handels, Merkur, als Rivale des Kriegsgottes Mars dargestellt wird. Nur Putin verfügte über die intellektuelle Konsistenz, um zu erkennen, dass Mars die Folge der Zurückweisung Merkurs war. Er setzte darauf, dass der Kriegsgott ein neues Russland schaffen könnte.<h3> G20 als Hoffnungsträger – und ihre Enttäuschung</h3>Ein Teil des Problems bei der Suche nach einer Alternative lag in der unzureichenden institutionellen Struktur der G7. Zur Jahrtausendwende war sie nicht mehr das geeignetste Format für die globale Koordination, und mit der Finanzkrise der Jahre 2007/2008 trat die G20 als führende Organisation in Erscheinung. <BR /><BR />Doch obwohl die G20 auf ihrer Tagung im April 2009 in London unverzüglich ein wirksames Maßnahmenpaket vorlegte, verlor die Gruppe bald an Zugkraft, als die USA, China, Deutschland und andere Länder in Streitigkeiten über Handels- und Währungsfragen gerieten.<h3> Russlands Rückkehr? Trumps bizarre Prioritäten</h3>Ein paar Jahre später wurde Russland nach der Annexion der Krim und dem Angriff auf die Ostukraine 2014 aus der G7 (ehemals G8) ausgeschlossen. Diesen Umstand beklagte Trump schon während seiner ersten Amtszeit, und kürzlich kam er in Kananaskis erneut auf dieses Thema zurück. <BR /><BR />Seine Behauptung, Russland sei für die Lösung internationaler Probleme unverzichtbar, ist jedoch bizarr, wenn man bedenkt, dass Russland derart viele dieser Probleme selbst verursacht oder verschärft hat – unter anderem durch die Unterstützung der Diktaturen in Syrien und im Iran. Viel überzeugender wäre es, die G7 um China zu erweitern (und vielleicht die Gipfeltreffen zu verkleinern, etwa indem man der EU nur noch einen Vertreter oder eine Vertreterin zugesteht).<BR /><BR /><BR />Auf jeden Fall erinnerte die Dynamik in Kananaskis auf unheimliche Weise an jene in Rambouillet vor fast 50 Jahren. Während der französische Präsident Emmanuel Macron über einen Waffenstillstand diskutieren wollte, erklärte Trump (bei seiner Abreise), dass er „viel größer denke. Ob mit Absicht oder nicht, Emmanuel liegt immer falsch.“ Mars triumphierte über Merkur.<h3> Der Widerspruch in Trumps Strategie</h3>Doch einen multilateralen Gipfel zu verlassen, um in den Krieg zu ziehen, ist ein seltsamer Schritt für einen Mann, der immer darauf pocht, um einen Friedens-Deal bemüht zu sein. Das Versprechen „America First“ – globaler Rückzug und Abkehr von „ewigen Kriegen“ – ist für viele Menschen in Amerika das Hauptargument für Trump. <BR /><BR />Tatsächlich scheint seine Entscheidung auch im Widerspruch zu seiner jüngsten Reise in den Nahen Osten zu stehen, wo er die Golfstaaten besuchte, Israel mied und sich auf finanzielle und wirtschaftliche Deals konzentrierte.<h3> Kissingers Erbe – wer übernimmt den Staffelstab?</h3>Im Jahr 2019 erklärte Trump in der für ihn typischen Art, dass das militärische Engagement im Nahen Osten die „schlechteste Entscheidung aller Zeiten“ gewesen sei. Doch nun, im Jahr 2025, ist der Meister im Bereich „Art of the Deal“ zu dem Schluss gekommen, dass er dieselbe Eskalation der Drohungen wie in seinem Zollkrieg braucht. <BR /><BR />Was aber, wenn die derzeitigen Bombardements nicht ausreichen, um die iranische Führung einzuschüchtern? Was, wenn die GBU-57-Superbomben die unterirdische Atomanlage in Fordo nicht zerstören konnten?<h3> Zeit für neue Führung</h3>Von der Gefahr einer Eskalation des militärischen Konflikts bis hin zur tiefen Unzufriedenheit mit der Demokratie im eigenen Land – die Parallelen zu Rambouillet sind frappierend. Die Frage lautet, ob es heute jemanden gibt, der Kissingers Einschätzungen weiterführen kann. <BR /><BR />Das Drehbuch für eine derartige Führungspersönlichkeit ist klar: Sie hat sich an Merkur zu orientieren, nicht an Mars. Nun ist der Moment gekommen, an dem jemand in Europa, China oder im Globalen Süden aufstehen und sagen muss: „Unsere Probleme sind viel größer. Ob mit Absicht oder nicht, Donald liegt immer falsch.“<BR /><BR /><b>Zum Autor</b><BR />Harold James ist Professor für Geschichte und internationale Angelegenheiten an der Princeton University und Verfasser des zuletzt von ihm erschienenen Buchs Schockmomente – Eine Weltgeschichte von Inflation und Globalisierung 1850 bis heute (Herder Verlag, 2022).