Im November 1922, also vor 100 Jahren, veröffentlichte er in den beiden wichtigsten liberalen Zeitungen des deutschen Sprachraums, der „Vossischen Zeitung“ in Berlin und der „Neuen Freien Presse“ in Wien, einen Aufruf zur Einigung Europas. Die Programmpunkte wirken heute noch brennend aktuell.<BR /><BR />Geboren wurde Richard Graf Coudenhove-Kalergi am 17. November 1894 in Tokio als Sohn des österreichisch-ungarischen Diplomaten Heinrich Graf Coudenhove-Kalergi und der japanischen Kaufmannstochter Mitsuko Aoyama. 1896 übersiedelte er mit seiner Familie auf deren Besitz im böhmischen Ronsperg/Poběžovice, der unweit der oberpfälzischen Stadt Furth im Wald in der heutigen Tschechischen Republik liegt. <BR /><BR />Richards Vater Heinrich machte aus Ronsperg, das sich zwischen der böhmisch-bayerischen Staatsgrenze und der in Böhmen verlaufenden deutsch-tschechischen Sprachgrenze befand, eine kosmopolitische Oase, in der sich führende Vertreter von Christen, Juden, Muslimen und Buddhisten sowie Gelehrte aller Kulturen begegneten. <BR /><BR />Dieser Hintergrund prägte auch den jungen Richard, der sich sein Leben lang dem Kampf gegen Intoleranz und Nationalismus sowie für die Völkerverständigung widmete.<h3> Pan-Europa</h3>Im November 1922, also vor 100 Jahren, veröffentlichte er in den beiden wichtigsten liberalen Zeitungen des deutschen Sprachraums, der „Vossischen Zeitung“ in Berlin und der „Neuen Freien Presse“ in Wien, einen Aufruf zur Einigung Europas. Die Programmpunkte wirken heute noch brennend aktuell und reichen von der deutsch-französischen Aussöhnung über eine gemeinsame europäische Verteidigung gegen die Bedrohung aus dem Osten und einen europäischen Volksgruppen- und Minderheitenschutz, um Nationalitätenkonflikte zu entschärfen, bis hin zur Forderung nach einer Europäischen Verfassung. <BR /><BR />Sein 1923 veröffentlichtes Buch „Pan-Europa“, in dem er diese Ideen ausformulierte, wurde ein Bestseller und in die meisten europäischen Sprachen übersetzt. Gemeinsam mit seiner Frau, der berühmten jüdischen Schauspielerin Ida Roland, baute er die bis heute in den meisten europäischen Ländern aktive Paneuropa-Bewegung auf, der sich Persönlichkeiten anschlossen wie Arturo Toscanini, Albert Einstein, Franz Werfel, Stefan Zweig, Rainer Maria Rilke, Bronislaw Hubermann, Sigmund Freud, Arthur Schnitzler oder zeitweise auch die Gebrüder Thomas und Heinrich Mann.<BR /><BR />Vorsitz der Paneuropa-Union in Deutschland übernahm der sozialdemokratische Reichstagspräsident der Weimarer Republik, Paul Löbe. 1926 veranstaltete die Paneuropa-Union mit 2000 Teilnehmern aus ganz Europa ihren ersten großen Kongress, der zugleich der erste Europa-Kongress der Geschichte überhaupt war. <h3> Von der Idee zur Staatsaktion</h3>Die Ehrenpräsidentschaft der Paneuropa-Union auf internationaler Ebene übernahm auf Vermittlung des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Tomáš G. Masaryk der französische Premier- und Außenminister Aristide Briand. Dieser brachte im September 1929 Coudenhoves Idee eines geeinten Europa in die Vollversammlung des Völkerbundes in Genf ein. Coudenhove und Briand fanden zumindest teilweise Unterstützung beim deutschen Außenminister Gustav Stresemann und zahlreichen kontinentaleuropäischen Staaten, stießen aber auf den klaren Widerstand Großbritanniens sowie der nationalistischen Kräfte in den eigenen Ländern. <BR /><BR />Von Genf heimgekehrt, starb Stresemann; die Weltwirtschaftskrise brach aus, Briand verlor seine innenpolitische Basis. Gleichzeitig vollzog sich der Aufstieg des Nationalsozialismus, und am Horizont zeichnete sich der von Coudenhove schon 1922 prophezeite Zweite Weltkrieg ab, dem er sich mit einer Flut von Aktivitäten auf dem ganzen Kontinent entgegenstemmte. <BR /><BR />Im Jahre 1933 wurde die Paneuropa-Union im nationalsozialistischen Deutschland verboten, ihre Vertreter verfolgt und die Bücher Coudenhoves verbrannt. Hitler nannte ihn tobend einen „Allerweltsbastard“. <BR /><BR />Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Wien 1938 wurde das Generalsekretariat der internationalen Paneuropa-Union in der Hofburg, das die österreichische Bundesregierung zur Verfügung gestellt hatte, aufgelöst. Coudenhove und seine Frau flohen zuerst in die Schweiz und schließlich in die Vereinigten Staaten, wo sie weiter für die europäische Einigung warben, so mit dem 5. Paneuropa-Kongress 1943 in New York. <BR /><BR />Nicht nur Hitler hasste Coudenhove, sondern auch Stalin, der seine Kontakte in die USA nutzte, um die Rückkehr des Ehepaares Coudenhove nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1946 hinauszuzögern.<h3> Churchills Zürcher Rede am 19. September 1946</h3> Der damals berühmteste Staatsmann Europas, Winston Churchill, unterstützte allerdings wie schon in den dreißiger Jahren die Paneuropa-Idee und hielt am 19. September 1946 seine berühmte Zürcher Rede, in der er auf den unermüdlichen Einsatz Coudenhoves in der Zwischenkriegszeit hinwies und „so etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa“ forderte.<h3> Europäische Parlamentarier-Union </h3> Die europaweite Begeisterung über Churchills Rede nutzte Coudenhove, der durch seine Arbeit in den zwanziger und dreißiger Jahren ebenfalls auf dem ganzen Kontinent bekannt war, um 4256 Abgeordnete aus 13 europäischen Staaten schriftlich zu fragen, ob sie für eine Europäische Föderation im Rahmen der Vereinten Nationen seien. <BR /><BR />Sie antworteten zu 97,2 Prozent positiv, worauf der Paneuropa-Präsident Anfang September 1947, also vor 75 Jahren, im schweizerischen Gstaad die Europäische Parlamentarier-Union (EPU) ins Leben rief, der er als einziger Nicht-Parlamentarier angehörte. Diese gab den Anstoß zur Gründung des Europarates in Straßburg und schlug schon damals die Direktwahl eines Europäischen Parlamentes vor. <h3> Das erste Europaparlament</h3>Ein Jahr nach dem Treffen von Gstaad, das die internationale Presse als das „erste Europaparlament“ würdigte, verabschiedete die EPU den von Coudenhove verfassten Interlaken-Plan, den ersten modernen Entwurf einer Europäischen Bundesverfassung. Aufgrund seiner engen Freundschaft mit Konrad Adenauer, der schon 1926 der Paneuropa-Union beigetreten war, und General Charles de Gaulle trieb Coudenhove außerdem die deutsch-französische Aussöhnung voran, die 1962 mit der von der Paneuropa-Union initiierten feierlichen „Hochzeit“ beider Völker in der Kathedrale von Reims gekrönt wurde. Coudenhove nahm auf persönliche Einladung beider Staatsmänner als eine Art „Trauzeuge“ teil. <BR /><BR />Wichtigstes Anliegen des Paneuropa-Gründers war in den sechziger Jahren die Schaffung einer gemeinschaftlichen Außen- und Sicherheitspolitik für den von ihm propagierten Europäischen Bundesstaat. <BR /><BR />1972 brachte er bei der 50-Jahr-Feier der Paneuropa-Union in der Wiener Hofburg den Festredner, Österreichs sozialdemokratischen Bundeskanzler Bruno Kreisky, der sich schon 1926 als Jugendlicher der Bewegung angeschlossen hatte, mit dem Paneuropa-Vizepräsidenten, dem österreichischen Kaisersohn Otto von Habsburg, zusammen, der Coudenhoves Wunschnachfolger war. <h3> Händedruck zwischen von Habsburg und Kreisky</h3>Der symbolische Händedruck zwischen Kreisky und dem ehemaligen Thronfolger versöhnte nicht nur die Republik mit dem einstigen Kaiserhaus, sondern machte deutlich, dass es Otto von Habsburg nicht um Restauration, sondern um ein geeintes Europa ging. <BR /><BR />Als Coudenhove wenige Wochen nach dem Fest in Wien im vorarlbergerischen Schruns, seinem Urlaubsort, starb, übernahm der Habsburger provisorisch die Leitung der Organisation und wurde ein Jahr später auf Vorschlag des französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou, der lange Zeit Paneuropa-Schatzmeister war, als Coudenhoves Nachfolger an die Spitze der ältesten europäischen Einigungsbewegung gewählt. Heutiger internationaler Präsident der Paneuropa-Union ist der französische Europapolitiker Alain Terrenoire, ein Wegbereiter der deutsch-französischen Aussöhnung und des Elysée-Vertrages; Präsident der Paneuropa-Union Deutschland ist der langjährige Münchner Europaabgeordnete und „Dolomiten“-Kolumnist Bernd Posselt.