Der Bildungslandesrat blickt auf ein außergewöhnliches Schuljahr und 15 belastende Monate im Zeichen der Pandemie zurück.<BR /><BR /><b>Herr Landesrat, wie ist das Schuljahr 2020/21 gelaufen? Besser als erwartet oder schlechter?</b><BR />Philipp Achammer: Ich habe mir zu Schulbeginn erhofft, dass es besser und geregelter wird als es schlussendlich geworden ist. Für mich war es ein Schuljahr der Unsicherheit und der Ungewissheit, geprägt vom ständigen Auf und Zu, was für alle Beteiligten, vor allem für die Schüler, eine unmögliche bis untragbare Situation war. Wobei ich aber sagen muss, dass wir zu jenen Ländern und Regionen im Umkreis gehören, die noch am meisten Präsenzunterricht gewährleisten konnten. Trotzdem hätten wir uns mehr Sicherheit erwartet und haben diese Hoffnung jetzt im Hinblick auf nächstes Schuljahr. <BR /><BR /><b>Wie realistisch ist diese Hoffnung?</b><BR />Achammer: Ich bin deutlich zuversichtlicher als im vergangenen Jahr. Heuer haben wir viel mehr Möglichkeiten – zum einen die Impfkampagne in der Bevölkerung, zum anderen die vielen Testmöglichkeiten. Wenn man das nutzt, dann trägt es dazu bei, geregeltere Umstände zu bekommen. Wir gehen heute nicht davon aus, dass es ein ganz normales Schuljahr werden wird, aber dass wir mit ähnlichen Rahmenbedingungen starten werden, mit denen wir jetzt enden. Sofern es notwendig ist, um Schulunterricht in Präsenz zu ermöglichen – und das bleibt unser Ziel – könnte es also wieder Nasenflügeltests geben wie bisher – trotz Anfeindungen und teils massiver Kritik. Wir möchten alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Präsenzunterricht zu ermöglichen...<BR /><BR /><embed id="dtext86-49412310_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Also Nasentests, Maske und Abstand in der Klasse?</b><BR />Achammer: Wir hoffen, dass wir mit den Nasenflügeltests und dem Tragen der Masken erreichen, auf die Abstände bei den Schulbänken verzichten zu können. Diese Vorschrift bringt mit sich, dass enorm viele Klassen mehr gebildet werden müssen – fast 200 Klassen waren es im vergangenen Jahr – und wir das mit dem Personal fast nicht schaffen. Etwas ist mir aber sehr wichtig: Die Schule hat Enormes geleistet in den letzten Monaten – mehr als andere, wenn ich zum Beispiel die Nasentests hernehme, die in anderen Bereichen nicht geklappt haben. Und vor allem die Kinder und Jugendlichen haben in der Corona-Zeit viel auf sich nehmen müssen und alles sehr tapfer getragen. Da können sich viele von der Schule und allen daran Beteiligten eine Scheibe abschneiden. <BR /><BR /><b>Bei den Prüfungen verzichtet man jetzt aber auf die Nasenflügeltests. Spürt man Gegenwind aus Rom, wo man von diesen Tests wenig hält?</b><BR />Achammer: Die Nasenflügeltests sind ja keine Südtiroler Erfindung. Sie wurden in Österreich durchgeführt sowie in einigen Teilen Deutschlands und Italiens. Deshalb sage ich mit Überzeugung: Wenn es im Herbst notwendig ist, dann ist mir 10 Mal lieber ein Schuljahr mit Testprogramm als ein Schuljahr der Ungewissheit und der Unsicherheit. Ich habe jeden Tag, den die Schule im Fernunterricht war, mitgelitten. <BR /><BR /><b>Hat sich der Fernunterricht nicht verbessert im Vergleich zur ersten Zeit im Vorjahr?</b><BR />Achammer: Doch. Der Fernunterricht ist mit sehr viel Einsatz der Lehrpersonen geleistet worden, wofür man ihnen nur danken kann. Aber der beste Fernunterricht kann Bildung in Präsenz nicht ersetzen. Er bringt die Gefahr mit sich, dass man Schüler nicht erreicht, dass sie sich ausklinken, dass man sie verliert. Und man darf nicht glauben, dass alle Schüler im feinen Zuhause sitzen: Wir haben Situationen, wo Kinder und Jugendliche die Schule, Mitschüler und Lehrer dringend brauchen. Deshalb ist mir Präsenzunterricht mit Tests allemal lieber als kein Präsenzunterricht.<BR /><BR /><b>Homeoffice wird vermutlich auch nach Corona ein Teil der Arbeitswelt bleiben, Fernunterricht also nicht ein Teil des Bildungssystems?</b><BR />Achammer: Gerade in der Oberstufe sind Elemente des selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernens, möglicherweise auch des digitalen Lernens bereits Teil des Unterrichtes. Deshalb kann man Elemente des Fernunterrichtes sicher aufgreifen und beibehalten. Es ist sicher falsch, alles zu verdammen. Aber ich bin prinzipiell ein Befürworter des Präsenzunterrichtes, weil es auch in der Oberschule wichtig ist, dass sich Schüler untereinander treffen, dass sie ihre Lehrer treffen, dass sie einfach soziale Kontakte haben – wie sehr diese fehlen können, haben wir alle miterlebt. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-49412311_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Sie sagen, die Schüler haben viel mitgemacht. Jetzt wird der Bücherscheck gestrichen: Wird hier nicht auf Kosten der Schwächsten gespart?</b><BR />Achammer: Corona hat den öffentlichen Haushalt belastet und bringt Mehrkosten auch im Bildungsbereich mit sich. Deshalb fehlen im Moment die Mittel. Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, wir werden sehen, was sich über den Nachtragshaushalt machen lässt. Jetzt müssen in erster Linie jene unterstützt werden, die am meisten unter Corona gelitten haben und Einkommensverluste hinnehmen mussten. Wenn ich also Prioritäten setzen muss, dann werde ich sie dort setzen, wo es um einkommensabhängige Leistungen geht, wie es Schüler- und Studentenbeihilfen sind, und nicht unbedingt bei einkommensunabhängigen Leistungen wie es der Bücherscheck ist. Denen helfen, die es am nötigsten haben, das werden wir auch in Zeiten von knapperen Kassen. <BR /><BR /><b>Sie haben von Anfeindungen gesprochen. Was bleibt nach 15 Monaten Corona bei einem Politiker, der Verantwortung in wichtigen Bereichen trägt?</b><BR />Achammer: Corona hat zu gesellschaftlichen Brüchen geführt. Wenn ein Staat, ein Land Regeln vorgibt und deren Einhaltung einfordert, sieht man, dass das, was man für das Land und den Staat bereit ist zu tun, unterschiedlich ausgeprägt ist. Deshalb taten sich Brüche auf zwischen jenen, die Regeln einhielten, um zu einer Normalisierung zu kommen und anderen, die nicht bereit dazu waren. Das hat etwa in der Schule zu ideologischen Kämpfen geführt, die auf dem Rücken der Schüler ausgetragen wurden. Es wird eine Zeit brauchen, bis wir die Gesellschaft wieder zusammenbringen. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn hat gesagt: „Wir werden einander viel verzeihen müssen“. Das wird auch bei uns so sein. Es ist schon sehr, sehr weit gegangen – von der Missbilligung von Regeln über Konflikte in den Schulen bis hin zu persönlichen Bedrohungen, die auch ich und meine Familie erfahren haben. Da muss man sich schon fragen, wie weit eine Diskussion gehen darf und wo man eine Grenze setzen muss.<BR /><BR /><b>Haben Sie Grenzen gesetzt?</b><BR />Achammer: Ich habe 3 Mal Strafanzeige erstattet wegen persönlicher Anfeindungen mir und meiner Familie gegenüber. Ich akzeptiere Kritik, und ich habe mit vielen geredet, die Regelungen missbilligt haben. Und es ist auch zu akzeptieren, wenngleich es nicht ideal ist, wenn jemand beschließt, das nicht mehr mitzutragen und seinen Weg zu gehen – und so wie im Fall der Schule zu Hause dem Unterricht zu folgen. Aber Einschüchterungen und Bedrohungen muss man nicht akzeptieren. Hier endet die Diskussion, hier muss man eine Grenze ziehen. <BR /><BR />Interview: Brigitta Willeit<BR />