Gefährlicher ist es allerdings, wenn sie Empörung schüren und ihre Anhänger sogar zu Gewalt anstiften.<BR /><BR />Es ist keine Überraschung, dass Bolsonaro, der den Spitznamen „Tropen-Trump“ trägt, Trump in dieser Hinsicht nacheifern würde. Trump hat gezeigt, wie ein Wahlverlierer eine mächtige – sogar dominierende – Kraft in der Politik eines Landes bleiben kann. Doch die Akzeptanz von Wahlergebnissen ist eines der grundlegendsten Elemente der Demokratie. Wenn das Leugnen von Wahlergebnissen zu einem neuen globalen Trend wird, müssen wir uns fragen, warum so viele Bürger Führer akzeptieren, die in betrügerischer Absicht „Betrug“ schreien.<BR /><BR />Bolsonaro trat gegen Luiz Inácio Lula da Silva (besser bekannt als Lula) an, einen linksgerichteten ehemaligen Präsidenten, der nach wie vor sehr beliebt ist, wie sein großer und beständiger Vorsprung in Meinungsumfragen zeigt. Es wird erwartet, dass der rechtsextreme Bolsonaro verlieren wird. Er hat seine Anhänger allerdings jahrelang darauf vorbereitet, dieses Ergebnis nicht zu akzeptieren. <BR /><BR />Besonders unheilverheißend ist, dass Bolsonaro Zweifel an Brasiliens elektronischem Wahlsystem gesät hat, das seit dem Jahr 2000 verwendet wird und allgemein als zuverlässig und effizient gilt. Nach dem Aufstand vom 6. Januar 2021 in Washington, D.C., warnte er: „Wenn wir 2022 keine gedruckten Stimmzettel haben, keine Möglichkeit, die Stimmen zu überprüfen, werden wir größere Probleme haben als die USA.“ Bolsonaros Sohn Eduardo, ebenfalls Politiker, äußerte beifällig, dass die Aufständischen im US-Kapitol ihr Ziel erreicht hätten, wenn sie nur besser organisiert und bewaffnet gewesen wären.<BR /><BR />Tatsächlich ist die es ziemlich wahrscheinlich, dass populistische Verlierer Betrug schreien, weil ihre Anziehungskraft ganz und gar auf der Behauptung basiert, dass sie, und nur sie, „das wahre Volk“ (oder „die schweigende Mehrheit“) repräsentieren. Daraus folgt, dass alle anderen Anwärter auf die Macht korrupt sind und dass Bürgerinnen und Bürger, die den populistischen Führer nicht unterstützen, nicht wirklich zum Volk gehören und die von ihnen abgegebenen Stimmen nicht legitim sind. Beim Populismus geht es nicht nur darum, die Eliten zu kritisieren (was oft gerechtfertigt ist). Vielmehr handelt es sich um eine grundlegend antipluralistische Haltung: Populisten geben vor, die einzig maßgebliche Stimme eines völlig homogenen Volkes zu sein, das sie selbst heraufbeschworen haben.<BR /><BR />Wenn Populisten die einzigen authentischen Vertreter des Volkes sind, muss eine Wahlniederlage dieser Logik zufolge bedeuten, dass jemand („liberale Eliten“) etwas getan hat („die Wahl manipuliert“), um den Willen der vermeintlichen Mehrheit zu unterlaufen. So behauptete Ungarns derzeitiger Ministerpräsident Viktor Orbán nach der unerwarteten Niederlage seiner Partei bei den Parlamentswahlen 2002, dass „das Vaterland nicht in der Opposition sein kann“. Und nach seiner gescheiterten Kandidatur für die mexikanische Präsidentschaft im Jahr 2006 verkündete der derzeitige Präsident Mexikos, Andrés Manuel López Obrador, dass „der Sieg der Rechten moralisch unmöglich ist“. Nachdem er „das wahre Volk“ (das heißt seine eigenen Anhänger) in den Straßen von Mexiko-Stadt versammelt hatte, erklärte er sich zum „legitimen Präsidenten Mexikos“.<BR /><BR />Es ist wichtig zu erkennen, wie populistische Rhetorik die demokratische politische Kultur eines Landes untergräbt, selbst wenn Wahlen nicht zu Aufständen im Stil des 6. Januar führen. Populistische Politiker indoktrinieren ihre Anhänger, dem System niemals zu vertrauen und immer davon auszugehen, dass Ergebnisse hinter den Kulissen von Eliten manipuliert werden.<BR /><BR />Das soll nicht heißen, dass Wahlgesetze und -verfahren über jeden Zweifel erhaben sind. Vor allem in den Vereinigten Staaten kann man alles Mögliche bemängeln, angefangen bei den Regelungen zur Wahlkampffinanzierung bis hin zu den praktischen Schwierigkeiten, mit denen Bürger konfrontiert sind, wenn sie versuchen zu wählen (viele davon sind das Ergebnis von Gesetzen, die die Stimmabgabe erschweren sollen). Es ist allerdings ein Unterschied, ob man Kritik an undemokratischen Merkmalen des Systems übt oder das gesamte Unterfangen für undemokratisch erklärt, nur weil man verloren hat. Ersteres könnte die Demokratie durchaus stärken, während Letzteres allein dazu dient, sie zu untergraben.<BR /><BR />Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wahlergebnis geleugnet wird nimmt zu, wenn die Wählerschaft polarisiert ist, weil sich dadurch Chancen für politische Unternehmer wie Trump und Bolsonaro eröffnen, die beide nie an eine politische Partei gebunden waren. Bolsonaro hat immer wieder die Partei gewechselt und war zwei Jahre seiner Präsidentschaft parteilos; und während Trump heute die Republikanische Partei dominiert, hat er ihr gegenüber nie Loyalität gezeigt (er war früher Demokrat). Beide Männer haben über die sozialen Medien eine sektenähnliche Anhängerschaft aufgebaut und damit die Notwendigkeit eines Parteiapparats im engeren Sinne überflüssig gemacht, der früher für jede ernsthafte politische Mobilisierung unerlässlich war.<BR /><BR />Ohne funktionstüchtige Parteien ist keiner der beiden Männer mit jemandem aus dem gleichen politischen Lager konfrontiert, der ihn bremsen könnte; und keiner von beiden hat eine wirkliche Regierungsphilosophie oder ein politisches Programm. Beide stehen im Wesentlichen für einen endlosen, auf einem Personenkult fußenden Kulturkampf. Hätten sie ein Parteiprogramm, das ihnen tatsächlich am Herzen läge, wären sie vielleicht bereit, für parteiinterne Konkurrenten beiseitezutreten, die eher in der Lage wären, künftige Wahlen zu gewinnen und somit das Programm umzusetzen.<BR /><BR />Man kann davon ausgehen, dass solche Persönlichkeiten alles auf eine Karte setzen und eine faktische Niederlage leugnen, auch wenn sie sie als solche erkennen. Viel folgenreicher ist, wie sich andere verhalten. Trump hat es geschafft, die Unterstützung seiner großen Lüge von der gestohlenen Präsidentschaftswahl zu einem Lackmustest für einen echten Republikaner zu machen. Dementsprechend weigern sich eine Reihe republikanischer Kongress-, Senats- und Gouverneurskandidaten zu sagen, ob sie eine Wahlniederlage im November einräumen werden. In Brasilien ist der Bolsonarismo nach wie vor eine Minderheitsposition, aber sein Protagonist hat es geschafft, das Militär auf seine Seite zu bringen, und er genießt erhebliche Unterstützung durch die Polizei.<BR /><BR />Was Populisten als „schweigende Mehrheit“ präsentieren, ist oft eine laute Minderheit, wie es sowohl bei den Trumpisten als auch den Bolsonaristas der Fall ist. Und während Minderheiten jedes Recht haben, sich Gehör zu verschaffen, obliegt es der tatsächlichen Mehrheit, nicht zu schweigen, wenn eine Minderheit antidemokratisch und gewalttätig wird.<BR /><BR />Aus dem Englischen von Sandra Pontow<BR /><BR /><b><BR />Zum Autor</b><BR />Jan-Werner Müller ist Professor für Politik an der Princeton University. Sein jüngstes Buch trägt den Titel Democracy Rules (Farrar, Straus and Giroux, 2021; Allen Lane, 2021).<BR /><BR />Copyright: Project Syndicate, 2022.<BR /> <a href="https://www.project-syndicate.org/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.project-syndicate.org</a><BR /><BR />