Zuerst war es Putin und sein grundloser Überfall auf die Ukraine. Dann überfiel die Terrorgruppe Hamas mit unglaublicher Brutalität Israel von Gaza aus, tötete 1400 Israelis, die meisten davon Zivilisten und entführte über 200 von ihnen als Geiseln nach Gaza.Eine Terrorgruppe hat mit tödlicher Präzision die stärkste Militärmacht des Nahen Ostens mit den besten Geheimdiensten aus dem Nichts heraus überrascht.<BR /><BR /> Wie war das möglich? Und diese Frage zu stellen, wirft sofort die weitere Frage auf: Kann eine Terrororganisation diese Aufgabe überhaupt allein bewältigen?<BR /><BR />Diese präzise Planung, die skrupellose Brutalität gegenüber israelischen Zivilisten, unterschiedslos Alte, Frauen, Junge, ganze Familien bis hin zu Babys mit dem einen Ziel, das Trauma der Juden zu reaktualisieren, nämlich die Erinnerung an die Shoah, den Versuch der deutschen Nazis schon einmal das jüdische Volk zu ermorden. Juden sollten sich, trotz dem militärisch übermächtigen Staat Israel, nirgendwo sicher fühlen, lautete die Botschaft des 7. Oktober. Kann dies eine Terrorgruppe für sich allein planen und umsetzen? Oder steht vielmehr ein Staat dahinter? Wenn ja, wer? Der Iran?<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="960307_image" /></div> <BR /><BR />Seit dem 7. Oktober dieses Jahres steht die gesamte weite Region des Nahen Ostens vor einem großen Krieg, in den auch die USA und Europa hineingezogen werden können und bei dem es um die Existenz des Staates Israel geht. Aber auch andere Länder wie China (ein wichtiger Importeur von iranischen Kohlenwasserstoffen) haben Berichten zufolge Kriegsschiffe in die Region entsandt.<BR /><BR />Israel wird militärisch zurückschlagen müssen, um seine Abschreckungsfähigkeit wiederherzustellen. Und dieser Krieg wird weitere zivile Opfer kosten und noch mehr Hass zwischen beiden Seiten sähen. Aber auch diese Konsequenzen dürften die Planer skrupellos eingeplant haben, was ebenfalls gegen die alleinige Täterschaft einer Terrorgruppe spricht.<h3> Krieg um die Existenz von Staaten</h3>Es fällt auf, dass beide Kriege, sowohl der in der Ukraine als auch der in Israel und Gaza um die Existenz von Staaten und Nationen geführt werden. Der militärische Konflikt im Nahen Osten macht aber auch eine neue Weltordnung sichtbar. Der globale Süden mit seiner Kolonisierungserfahrung steht überwiegend auf der Seite der Palästinenser, und der autoritären Weltmächte Russland und China, der Westen auf Seiten Israels.<BR /><BR />Diese Neuordnung hat sich bereits nach Putins Angriff auf die Ukraine abgezeichnet und darf vom Westen nicht einfach hingenommen werden, sondern wird großer diplomatischer Anstrengungen bedürfen, denn„the West against the rest,“ kann auf Dauer nicht gutgehen.Der „globale Süden“ ist nun einmal ein wesentlicher Teil der neuen Weltordnung und fordert Anerkennung und Berücksichtigung.<BR /><BR /><embed id="dtext86-62030728_quote" /><BR /><BR />Neben den beiden Kriegen in der Ukraine und in Nahen Osten drohen zudem in Fernost im Südchinesischen Meer und in der Taiwan-Straße weitere militärische Konflikte, diesmal direkt zwischen den beiden Supermächten USA und China. Ein Krieg, wie der im Südkaukasus zwischen Armenien und Aserbeidschan um die Region Berg-Karabach gerät angesichts dieser aktuellen Entwicklungen beinahe in Vergessenheit.<BR /><BR />Es ist jedoch nicht nur der Versuch, die internationalen Gewichte neu zu justieren, und so die Weltordnung zu revidieren und eine neue durchzusetzen, was in der Regel in der Geschichte nie ohne Gewalt geschehen ist. Noch beunruhigender ist jedoch der in letzter Zeit zu beobachtende aggressive Ton im Umgang der Großmächte miteinander.<BR />Die amerikanische Weltordnung scheint angreifbar, die wichtigsten Rivalen scheinen nicht abwarten zu wollen, sondern scheinen ihre Schwäche zu einer aktiven Ablösung zu wollen. Das Interesse am Erhalt des Status Quo scheint daher spürbar abgenommen zu haben und dies birgt zahlreiche Risiken.<h3> Erinnerungen an das Jahr 1914</h3>Man kann sich des Eindrucks nur schwer erwehren, dass eine Erinnerung an das Jahr 1914 unsere Zeit bestimmt. Die Gefahr, dass sich die Ereignisse verselbstständigen, ist unschwer festzustellen. Prestige und Ambition rangieren vor Vernunft, ebenso religiöse und nationale Leidenschaften. <BR /><BR />In diesen Tagen erleben wir auch, wie chaotisch die Welt ohne eine Ordnungsmacht aussähe. Wie würde denn die Krise im Nahen Osten verlaufen ohne die Ordnungsmacht USA und die kluge, ja weise Vernunft jenes oft belächelten älteren Herrn im Weißen Haus, Joe Biden? Sie wäre ein sehr viel unsicherer und gefährlicher Platz, dessen bin ich mir gewiss.<BR /><BR />DER AUTOR<BR /><BR />Joschka Fischer war von 1998 bis 2005 deutscher Außenminister und Vizekanzler. In den beinahe 20 Jahren seiner Führungstätigkeit bei den Grünen trug er dazu bei, aus der ehemaligen Protestpartei eine Regierungspartei zu machen.<BR /><BR />© Project Syndicate 1995–2023<BR /><BR />