Es herrscht Erleichterung. Man kann es in Kommentaren lesen und in Gesprächen hören: Österreich ist ein „Volkskanzler“ Herbert Kickl erspart geblieben. Auch im europäischen Ausland wird es den einen oder anderen Stoßseufzer der Entspannung geben. von Andreas Schwarz<BR /><BR />Aber stimmt das? Sind <Kursiv>die</Kursiv> Österreicher nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP erleichtert? Bleibt ihnen dieser Herbert Kickl tatsächlich erspart?<BR /><BR />Frage 1 ist wahrscheinlich mit Ja zu beantworten. Es stimmt, dass es in Österreich traditionell eine Mehrheit rechts der Mitte gibt. Am 29. September stimmten 55 Prozent der Wähler für die rechtspopulistischen Freiheitlichen und die bürgerlich-christliche ÖVP, mit der wirtschaftsliberalen Kleinpartei NEOS gar 64 Prozent. Zugleich stimmten aber alle, die nicht FPÖ wählten (über 70 Prozent), für Parteien, die ausnahmslos mit einem „Nicht mit der FPÖ“ in die Wahl gegangen waren! Man darf also davon ausgehen, dass eine Mehrheit der Österreicher erleichtert ist.<BR /><BR />Zumal Kickl, und das ist Teil der Antwort auf Frage 2, als er doch noch den Auftrag zur Regierungsbildung erhielt, zu sehr sein wahres Gesicht zeigte. Er konnte seine tiefe Verachtung der ÖVP nicht verhehlen, sein Rachemomentum dafür, dass ihn die Volkspartei unter Sebastian Kurz 2019 aus der Regierung gekickt hatte. <BR /><BR />Der Mann, der über die Jahre nur geifernde Oppositionspolitik betrieben hat und nie eine erwachsene Gesprächsbasis zu anderen Parteien aufbauen konnte, demütigte die ÖVP schon bei der Aufnahme der Verhandlungen am 7. Jänner, indem er ihr die Schuld fürs „An-die-Wand-Fahren“ der Republik gab und ihr signalisierte, dass sie als Zweiter wenig zu reden habe. Und er konfrontierte den Verhandlungspartner mit Forderungen und Positionen, die eine ÖVP halbwegs bei Trost nie und nimmer annehmen konnte.<h3>Realpolitische Fakten</h3>Kickls weinerliche Pressekonferenz am Tag des endgültigen Scheiterns der Verhandlungen – er sei der ÖVP ja so entgegengekommen – wird konterkariert durch realpolitische Fakten: In 5 Bundesländern arbeiten ÖVP und FPÖ in Koalition zusammen, weitgehend friktionsfrei, mit (meist) gemäßigten Freiheitlichen im Boot. Im Bund klappt es nicht, was einzig am Aggressionspotenzial des Herbert Kickl liegt. <BR /><BR />Ihm „fehlt die Statur zum Kanzler“, heißt es in einem Kommentar, der den Vergleich zu Jörg Haider, dem verstorbenen Übervater der Freiheitlichen, zieht: Der zog sich, international geächtet, 2000 in die zweite Reihe zurück, um eine Koalition seiner FPÖ mit der ÖVP zu ermöglichen – obwohl die FPÖ vorne gelegen war. <BR /><BR />„Susanne, geh Du voran“, lautete der legendäre Satz an seine Stellvertreterin (Riess-Passer, Anm. d. Red.). Das wäre einem Kickl im Machtrausch nie eingefallen. Er setzt lieber auf Neuwahlen, weil die Umfragen ihm ein weiteres Plus vorhersagen. Aber viel spricht dafür, dass sich Kickl in seinem Höhenflug einfach verrechnet hat. Erstens findet der Freiheitliche auch nach einem neuerlichen Wahlsieg keinen Koalitionspartner. Zweitens kann es Neuwahlen nur geben, wenn es im Parlament eine Mehrheit dafür gibt – und danach sieht es zur Zeit nicht aus.<BR /><BR />Vielmehr liefen gestern erste Gespräche beim Bundespräsidenten – alle Parteichefs außer Kickl marschierten zu Einzelgesprächen auf - , die einen neuerlichen Regierungsbildungsversuch etwa von SPÖ, ÖVP und NEOS oder die Zustimmung zu einer Minderheits-, vielleicht auch zu einer Expertenregierung zu Ziel haben. <BR /><BR />Was immer dabei heraus kommt, wird Kickl stärker machen, wird gerne orakelt. Mag sein. Aber eine Absolute wird es für ihn nie geben. Daher ist ein Kanzler Kickl wohl sehr unwahrscheinlich geworden.