Die deutsche Politikwissenschaftlerin erklärt im Interview auch, wo wir ansetzen müssen, um unsere Demokratie zu stärken und damit unsere Freiheiten abzusichern. <BR /><BR /><b>In Südtirol wird im Oktober der neue Landtag gewählt. Es sieht stark danach aus, dass die Wahlbeteiligung weiter zurückgeht – wie in vielen anderen Ländern. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für die Krise der Demokratie?</b><BR />Manon Westphal: Ob wir es tatsächlich mit einer Krise der Demokratie zu tun haben, ist umstritten. Eine niedrige und gegebenenfalls weiter sinkende Wahlbeteiligung ist in jedem Fall ein Zeichen dafür, dass viele Bürgerinnen und Bürger eine Distanz zur Politik in ihrer gegenwärtigen Form fühlen. Die Ursachen dafür sind vermutlich vielfältig. Dazu können eine Unzufriedenheit mit den zur Wahl stehenden Alternativen gehören, das Gefühl, nicht repräsentiert zu werden, oder enttäuschte Erwartungen an die Politik.<BR /><BR /><b>Sind im Grunde schlechte Politiker Schuld, die wie es oft heißt?</b><BR />Westphal: Was einzelne Politikerinnen und Politiker tun, ist zweifelsfrei wichtig. Allerdings sollte die Unzufriedenheit mit Politik nicht übermäßig personalisiert und an Führungsfiguren festgemacht werden. Viele Probleme, die wir einbeziehen sollten, wenn wir die gegenwärtige Situation verstehen und über tragfähige Zukunftsperspektiven nachdenken wollen, erfordern komplexere Betrachtungen. Zum Beispiel zeigt politikwissenschaftliche Forschung zu politischer Responsivität in Demokratien, dass die politischen Präferenzen von sozioökonomisch bessergestellten Bürgerinnen und Bürgern in politischen Entscheidungen stärker abgebildet werden als diejenigen der weniger privilegierten. Da zeigt sich ein Muster, was nahelegt, dass ein Verweis auf „schlechte Politiker“ zu kurz greift. Ferner haben wir es heute mit neuen Herausforderungen zu tun, für die es noch keine vorgefertigten Antworten gibt. Ich denke an die Klimakrise oder Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz. Dass Politikerinnen und Politiker hier noch keine Patentlösungen parat haben, lässt sich ihnen kaum vorwerfen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="935500_image" /></div> <BR /><BR /><b>Ist verstärkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger – also die Partizipation – das beste Gegenmittel?</b><BR />Westphal: Es gibt gute Argumente für eine Erweiterung von Partizipationsmöglichkeiten. Aktivitäten von Bürgerinnen und Bürgern auf das Wählen zu beschränken, bedeutet ein sehr enges Verständnis von politischer Beteiligung. Gerade in einer Situation, in der viele Menschen das Gefühl haben, nicht hinreichend repräsentiert zu sein und es belegte Defizite in der politischen Repräsentation gibt – ich erinnere an die erwähnte Forschung zu ungleicher politischer Responsivität – lohnt es sich, über ein breiteres Spektrum an Beteiligungsmöglichkeiten zu diskutieren. Gleichzeitig darf man sich hiervon auch kein Allheilmittel versprechen.<BR /><BR /><b>Als Möglichkeit der Partizipation werden oft neue Beratungsgremien genannt, für die Bürgerinnen und Bürger – auch per Zufallsprinzip – ausgewählt werden. Südtirol versucht das zum Beispiel bei der Umsetzung des Klimaplans. Was halten Sie von solchen Gremien?</b><BR />Westphal: Solche Gremien sind eine attraktive Möglichkeit, um Partizipation zu ermöglichen. Wir sind in repräsentativen Demokratien daran gewöhnt, dass Wahlen über die Zusammensetzung von Gremien entscheiden. Aber die Zufallsauswahl lässt sich als ein sehr demokratisches Auswahlprinzip verstehen: Jede und jeder kann ausgewählt werden. So wird auch die Idee zum Ausdruck gebracht, dass prinzipiell alle Menschen für die Aufgaben in den betreffenden Gremien qualifiziert sind. Es gibt mittlerweile viele Beispiele für solche über Losung zusammengesetzten Beratungsgremien, die konkrete Handlungsempfehlungen aussprechen. Gerade im Bereich Klima zeigt sich, dass dabei oft ehrgeizige Vorschläge erarbeitet werden. Allerdings bleiben die Empfehlungen oft ohne Konsequenzen, weil diese Gremien in der Regel nur eine beratende Funktion haben und Politikerinnen und Politiker frei entscheiden können, ob sie die Empfehlungen berücksichtigen oder nicht.<BR /><BR /><b>In vielen Ländern haben es machtversessene Politiker geschafft, die Demokratie praktisch auszuhebeln. Wo wir ansetzen, um unsere demokratischen Freiheiten besser zu schützen?</b><BR />Westphal: Ich wäre mit der Formulierung „machtversessene Politiker“ vorsichtig, weil sie für eine Diskreditierung von Politik instrumentalisiert werden kann. Es gehört zu demokratischer Politik dazu, dass Machtfragen verhandelt werden. Aber natürlich beobachten wir Angriffe auf demokratische Prinzipien und Verfahren, die besorgniserregend sind. Zu den Antworten muss der Schutz von demokratischen Institutionen gehören. Dazu sollten aber auch Diskussionen über Möglichkeiten kommen, die Qualität von demokratischer Politik zu verbessern und die von vielen Menschen gefühlte Distanz zur Politik zu überwinden. Um den Gedanken vereinfacht zusammenzufassen: Je stärker die Demokratie ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Versuche einzelner Politikerinnen und Politiker, demokratische Prinzipien und Verfahren zu unterlaufen, erfolgreich sein können.<BR /><BR />EIN TERMIN<BR /><BR />Dr. Manon Westphal ist Referentin bei den Brixner Philosophietagen, die am Freitag, 8. September, und Samstag, 9. September, an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen abgehalten werden. Bei der Tagung zum Thema „Wie kann Demokratie gelingen? Politisches Engagement zwischen Partizipation und Agitation“ wird u.a. der frühere EU-Kommissar Franz Fischler sprechen. Das genaue Programm gibt es <a href="https://www.pthsta.it/de/angebote-und-projekte/brixner-philosophietage.html" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">hier</a>!<BR />