„Ich habe die Nase voll von den Politikern, alle Italiener haben die Nase voll“, sagt etwas die Inhaberin einer teuren Boutique in der Innenstadt und schüttelt den Kopf. Wie viele enttäuschte Berlusconi-Anhänger will die 58-jährige diesmal für den Protest-Politiker und Starkomiker Beppe Grillo stimmen, „weil er kein Politiker ist,“ so die Begründung.Die Zahl der Unzufriedenen und Unentschlossenen ist eine Woche vor der Wahl sehr groß. Begeisterung oder Hoffnung zu wecken, ist keinem der Kandidaten gelungen. Die meisten Italiener haben einfach genug von den unglaubwürdigen, exzessiven Versprechungen, dem TV-Marathon der Spitzenpolitikern und den nicht abreißenden Medienberichten über Finanz- und Korruptionsskandale, die nur für wenige Tage vom Papst-Rücktritt auf die hinteren Seiten verdrängt wurden. Mittlerweile beherrschen sie wieder die Titelseiten und Politiker aller traditionellen Parteien sind darin verstrickt.Zur Wahl gehen wollen aber doch die meisten Italiener und dort ihren Unmut kundtun. Bei der letzten Wahl 2008 lag die Wahlbeteiligung bei über 80 Prozent. Diesmal wird sie sicher ein paar Prozentpunkte sinken, aber trotzdem hoch bleiben, glauben Politologen. Enttäuschung überwiegtEine freundliche junge Frau mit kurzem dunklem Haar an einer Straßenbahnhaltestelle erklärt, an diesem Wochenende auf jeden Fall wählen gehen zu wollen: „Um zu zeigen, dass es mich gibt und ich unzufrieden bin mit allen Politikern, werde ich ungültig wählen,“ sagt die 36-jährige Sekretärin eines PR-Büros. „Keiner überzeugt mich, es sind immer die gleichen Gesichter.“ Auch sie hat früher für Berlusconi gestimmt, räumt sie beschämt ein.Aber auch viele traditionelle Mitte-Links-Wähler sind von ihren Politikern enttäuscht. „Wir halten uns die Nase zu und gehen wählen“, bringt es ein 57-jähriger Gemeindebediensteter Giovanni auf den Punkt. Dass die Mitte-Links-Partei von dem Finanzskandal um die älteste italienische Bank Monte di Paschi nichts gewusst haben soll, überzeugt ihn nicht, aber „wen soll ich sonst wählen?“ fragt er und lächelt gequält.Trotzdem findet man in der Heimat des Medienmoguls auch noch Leute, die erneut für Berlusconi stimmen werden. Es sind vor allem die Kleinunternehmer, die unter der erdrückenden Steuerlast leiden. „Wir glauben an Berlusconi, weil er ein Unternehmer ist und selbst was von Unternehmen versteht“, erzählt ein Kleinunternehmer um die 70, der mit seiner Frau auf dem Nachhauseweg von einer kleinen Wahlveranstaltung der lokalen Partei Berlusconis „Popolo della libertá“ ist.Die große UnbekannteDie große Unbekannte dieser Wahl ist, wie viele schließlich eine Proteststimme für den Starkomiker Grillo abgeben werden, der mit seinem Schimpftiraden gegen die politische „Kaste“ wachsenden Zuspruch findet. Auch weil er als einziger die physische Nähe zu den Wählern sucht. Weil der Wahlkampf diesmal erstmals im Winter stattfindet, gibt es kaum Veranstaltungen auf den Straßen und Plätzen. Auch die wenigen Wahlplakate hängen unbeachtet auf viel befahrenen Straßen. Besonders Ex-Premier Silvio Berlusconi und sein Nachfolger Mario Monti meiden öffentliche Auftritte. Berlusconi offiziell aus Sicherheitsgründen, der Wirtschaftsprofessor Monti spricht lieber in Hörsälen und auf Konferenzen vor ausgewähltem Publikum. Fast täglich sind die Spitzenkandidaten im Fernsehen zu sehen. Außer Beppe Grillo, der tourt durch die Städte und füllt bei seinen Auftritten mühelos die Plätze.„Die anderen haben vermutlich Angst, dass nicht genügend Leute kommen würden“, meint der 26-jährige Francesco, der soeben sein zweites Geschäft für elektronische Zigaretten eröffnet hat. Das Geschäft laufe gut, weil die Leute kein Geld mehr für echte Zigaretten hätten, erzählt er. Aber die anderen Läden in der Nachbarschaft im Zentrum der Wirtschaftsmetropole Italiens würden wegen der Wirtschaftskrise nacheinander schließen. „Monti ist ein Mann der Banken, ein Buchhalter, der keine Ahnung hat von den Problemen der Leuten,“ schimpft er. Grillo dagegen mache die Dinge möglicherweise anders, „weil er kein Politiker ist“. Das ist das wohl schlagendste Argument in einem Land, in dem das Ansehen der Politiker einen neuen Tiefpunkt erreicht hat.apa