Südtirol ist stolz auf seinen Wohlstand: Vollbeschäftigung, hohe Lebensqualität, wirtschaftliche Stabilität. Doch in einem Bereich gibt es Aufholbedarf, der sich mit jedem Jahr deutlicher abzeichnet: die Pflege älterer und beeinträchtigter Menschen. Es ist ein stilles Drama, das sich in Wohnzimmern, Küchen und Schlafzimmern vieler Südtiroler Familien abspielt – dort, wo Pflege nicht institutionell, sondern privat, oft unter großen Opfern, geleistet wird.<BR /><BR />70 Prozent der Pflegebedürftigen in Südtirol werden zu Hause betreut. Ein beeindruckender Wert. Doch hinter jeder Zahl steht eine Tochter, ein Sohn, ein Ehepartner, der sich Tag für Tag kümmert – oft ohne professionelle Hilfe, ohne Pause. Diese Menschen stützen unser Pflegesystem – und riskieren dabei ihre eigene Gesundheit, ihre berufliche Existenz und ihre Altersvorsorge.<BR /><BR /><embed id="dtext86-70962207_quote" /><BR /><BR />Dass das staatliche 104er-Gesetz aus dem Jahr 1992 stammt und heute weitgehend an der Realität vorbeigeht, ist längst kein Geheimnis mehr. Es ist ein Gesetz aus einer Zeit, in der Pflege noch als Ausnahme galt – nicht als strukturelle Aufgabe einer alternden Gesellschaft. Dass eine pflegebedürftige Person nur zwei Jahre lang von Angehörigen betreut werden darf und danach aus der Regelung fällt, ist angesichts der demografischen Entwicklung schlichtweg absurd.<BR /><BR />Ja, ein neues gesamtstaatliches Gesetz ist in Arbeit – das sogenannte „Dekret 62“. Es soll 2027 in Kraft treten. Doch bis dahin? Mehr Hauspflegestunden, mehr Tagespflegeplätze, ein rentenrechtlicher Ausgleich für pflegende Angehörige im öffentlichen Dienst – all das wird vom Land Südtirol angeboten und ist ein guter Anfang. Aber es braucht weit mehr.<BR /><BR />Pflege ist nicht nur ein soziales Thema. Wer sie ernst nimmt, muss endlich dafür sorgen, dass Pflegearbeit keine Privatangelegenheit bleibt, die still im Familienkreis abgewickelt wird. Es braucht landesweite Initiativen, die berufsgruppenübergreifend greifen, die private Pflege finanziell und sozial absichern – und die Angehörigen nicht länger im Schatten stehen lassen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-70962208_quote" /><BR /><BR />Dass derzeit nur öffentlich Bedienstete rentenversichert pflegen dürfen, ist eine klare Ungleichbehandlung. Wer seine Eltern oder Partner pflegt, verdient dieselbe Anerkennung – unabhängig davon, wo er oder sie arbeitet.<BR /><BR />Südtirol rühmt sich gerne seiner Lebensqualität. Doch eine Gesellschaft zeigt ihre wahre Stärke nicht an der Zahl der Luxushotels oder an BIP-Zahlen, sondern daran, wie sie mit den Schwächsten umgeht. Die alternde Bevölkerung ist keine ferne Zukunftsfrage – sie ist unsere Gegenwart. Es ist höchste Zeit, dass das Land den Pflegebereich zur politischen Priorität erklärt.<BR /><BR />Denn bei aller berechtigten Wertschätzung für wirtschaftlichen Erfolg bleibt eine Grundüberzeugung zentral: Die Würde des Menschen endet nicht mit dem Eintritt ins Alter oder bei Krankheit. Sie zeigt sich dort, wo Fürsorge als gemeinschaftliche Verantwortung verstanden und entsprechend gestaltet wird.<BR /><BR /> <a href="mailto:arnold.sorg@athesia.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">arnold.sorg@athesia.it</a>