Updike, Kundera, Hesse! Roy Hodgson liebt die Literatur. Die Herzen seiner Spieler und der heißblütigen Fans muss die Nummer 13 auf der Trainerbank der „Three Lions“ aber erst noch gewinnen. Vor der EM steht der sprachgewandte Feingeist vor vielen Baustellen.Roy Hodgson liebt die Bücher von John Updike, Milan Kundera und Hermann Hesse. „Ich habe Werke von fast allen Nobelpreis-Gewinnern gelesen“, erzählte Englands Nummer 13 als Fußball-Nationaltrainer einmal stolz. Er lauscht außerdem gerne in stillen Momenten George Bizets Oper „Die Perlenfischer“.Und ausgerechnet so ein Feingeist soll die „Three Lions“ für die EM in Polen und der Ukraine auf Kurs bringen? Ja, er soll! Aber vor dem 64-Jährigen türmen sich die Probleme regelrecht auf.Die erste Baustelle stellt Hodgson selbst dar. Viele Fans des Weltmeisters von 1966 sehnten sich nach dem hemdsärmeligen Harry Redknapp, genannt „Harry Houdini“, von Tottenham Hotspur als neuem Coach, der vor kurzem mit der Aussage überraschte, nicht schreiben zu können. Stattdessen entschied sich der Verband FA für Hodgson. Der ist zwar Engländer und hat reichlich Erfahrung als Nationalcoach (Schweiz, Vereinigte Arabische Emirate, Finnland) – die Anerkennung vieler Fans muss er sich aber erst noch erarbeiten.Wie Hodgson, der rund ein Dutzend Sprachen spricht, das zerstrittene Team wieder zusammenschweißen will, ist ein weiteres Rätsel. Auf Wayne Rooney von Manchester United wird der Nachfolger des Italieners Fabio Capello jedenfalls vorerst verzichten müssen. Der Stürmerstar ist in den ersten beiden Spielen gegen Frankreich und Schweden noch gesperrt. Knackiges Selbstbewusstsein lebt Hodgson aber vor. „Ich denke, dass auch die Spieler sehr enttäuscht wären, wenn wir weniger als den Turniersieg anpeilen würden“, sagte er forsch.Als wenig förderlich für das Binnenklima erweist sich auch der Auslöser des überraschenden Rücktritts von Capello: der Rassismus-Skandal um John Terry (FC Chelsea). Der soll den dunkelhäutigen Anton Ferndinand beleidigt haben, den Bruder von Rio Ferdinand – Terry bestreitet dies.Der englische Verband FA setzte Terry jedoch als Kapitän ohne Capellos Wissen ab – dieser schmiss daraufhin die Brocken hin. Terry steht nun im 23-Mann-Kader, Rio Ferdinand hingegen nicht. Neuer Kapitän ist Liverpool-Legende Steven Gerrard.Immerhin ist die T-Frage bei den „Three Lions“ geklärt. Joe Hart von Manchester City spielte eine starke Saison. Sogar ManUniteds Trainer Sir Alex Ferguson meinte: „Er ist wohl der beste englische Torhüter der vergangenen 20 Jahre.“ FrankreichMit Zoff und Zankereien beschädigten Frankreichs Fußballer ihr Image bei der WM in Südafrika. Zwei Jahre später ist Friede eingekehrt in der Equipe Tricolore. Große Töne werden nicht mehr gespuckt. Auch der Trainer gibt sich zurückhaltend.Die Schmach von Südafrika hat Fußball-Frankreich Demut gelehrt. Trotz der jüngsten Erfolgsserie und der Testspielsiege gegen Brasilien (1:0), England (2:1) und Deutschland sieht Laurent Blanc sein Team noch längst nicht im Favoritenkreis für die EM. „Wir müssen den Befund verkraften: Frankreich gehört nicht mehr zu den großen Nationen Europas“, bekannte der Coach der Equipe Tricolore kürzlich.Auch das 2:1 gegen die Elf von Bundestrainer Joachim Löw Ende Februar in Bremen als 18. Spiel ohne Niederlage nacheinander habe daran nichts geändert. „Wir nehmen die Euro zwar mit Ehrgeiz in Angriff, aber wir hängen das nicht an die große Glocke. Unser erstes Ziel bleibt, aus unserer Gruppe herauszukommen.“Zu präsent sind noch die Ereignisse der vergangenen WM, als die ambitionierten Franzosen in der Vorrunde scheiterten und sich mit einem Trainingsboykott vor der Weltöffentlichkeit blamierten. Inzwischen sind Franck Ribery und Patrice Evra nach ihren Verbandssperren als reuige Sünder zurückgekehrt, die endgültige Rehabilitation soll nun beim Turnier in Polen und der Ukraine folgen.Vom Erfolg in den Gruppenspielen gegen England, Ukraine und Schweden wird abhängen, ob Blanc die „Phase des Aufbaus mit einer neuen Generation“ weiter verantworten wird. Den Vertrag des früheren Abwehrchefs, der bei europäischen Topclubs als Trainer gehandelt wird, will Verbandsboss Noël Le Graët erst nach der EM verlängern.Denn über allem steht beim Europameister von 1984 und 2000 ein langfristiges Ziel. Die Generation um Kapitän und Torwart Hugo Lloris, Spielmacher Samir Nasri, Ribery und Stürmer Karim Benzema soll bei der EM 2016 im eigenen Land ihren Höhepunkt erreichen – wie es den Franzosen dann 32 Jahre zuvor vor heimischen Publikum bereits gelang. „Natürlich hoffen wir alle, dass sich dieses Szenario wiederholt“, sagte Blanc, „der Sieg 2012 oder 2014 wäre aber vermessen.“ Die Konkurrenten haben Frankreich allerdings auf der RechnungSchwedenSchweden fährt als Außenseiter zu EM. In der Gruppe mit Gastgeber Ukraine, Frankreich und England wäre der Viertelfinal-Einzug eine Überraschung. Richten soll es im Team von Trainer Erik Hamren der große Star Zlatan Ibrahimovic.Die großen Zeiten des schwedischen Fußballs sind vorbei. In der EM-Qualifikation hatte es das Team um Superstar Zlatan Ibrahimovic hinter den souveränen Niederländern schwer. Durch das 3:2 am letzten Spieltag gegen die bereits qualifizierte „Elftal“ schaffte Schweden als bestes Team der neun Gruppenzweiten den direkten Sprung zur Europameisterschaft.Nach dem Sieg gab es außergewöhnliche Lobesworte. Mikael Lustig hatte mit einem Einwurf das 3:2 durch Ola Toivonen vorbereitet und bedankte sich bei einem „Unbeteiligten“. „Ich habe den Ball sehr schnell vom Balljungen bekommen“, erzählte Lustig später. „Dieser Junge hat auch seinen Anteil an dem Tor.“Für die EURO ist das aktuelle Team um Ibrahimovic schwer einzuschätzen, zählt aber sicher nicht zum Favoritenkreis. Ohne den Milan-Star rangen die Schweden Deutschland im November 2010 immerhin ein 0:0 ab. Trainer Erik Hamren setzt auf einen Mix aus Talenten sowie alten Hasen. Bei der fünften EM-Teilnahme des Drei-Kronen-Teams warten in der schweren Gruppe D nun Co-Gastgeber Ukraine, Frankreich und England.Zum ersten Mal überhaupt war Schweden 1992 im eigenen Land dabei. Damals unterlag das Team Deutschland im Halbfinale mit 2:3. Zwölf Jahre später verpassten die Skandinavier den Einzug in die Vorschlussrunde nur knapp durch eine Niederlage nach Elfmeterschießen gegen die Niederlande im EM-Viertelfinale.Mitte des vergangenen Jahrhunderts war Schweden noch eine Macht im Weltfußball. 1950 gab es einen dritten WM-Platz. Bei der Heim-WM 1958 scheiterte Tre Kronor erst im Finale an Peles Brasilien. Unvergessen ist das Halbfinale gegen Deutschland (3:1) in Göteborg. Die damals in Deutschland unbekannten Fan-Gesänge („Heja, Heja“) irritierten die DFB-Elf ebenso sehr wie die harte Gangart des Gegners. Knapp 40 Jahre später erreichte Schweden mit den Topstars Thomas Ravelli im Tor, Tomas Brolin und dem Ex-Gladbacher Martin Dahlin Platz drei bei der WM 1994 in den USA.UkraineMit Technik und Taktik will Co-Gastgeber Ukraine beim Heimturnier durchstarten. Gegen England, Frankreich und Schweden wäre ein Einzug ins Viertelfinale schon ein Erfolg – doch die zwischen Ost und West zerrissene Nation will mehr.Zerrissen zwischen dem „russischen“ Osten und dem „europäischen“ Westen: Die Ukraine gilt als gespaltenes Land am Rande Europas, doch ein Traum eint die Fußballfans in der Ex-Sowjetrepublik – der Gewinn der Heim-EM 2012. Das Team von Trainer Oleg Blochin geht als Außenseiter in die EM. In der Gruppe D mit Frankreich, England und Schweden setzt die Mannschaft um Andrej Schewtschenko auf eine begeisterungsfähige Kulisse bei den Partien in Kiew und Donezk.Zu Hause im Olympiastadion von Kiew gelang im Testspiel gegen Topfavorit Deutschland im November 2011 ein 3:3. Gegen den dreimaligen Weltmeister standen die Männer in Gelb oft mit dem Rücken zur Wand, bei Kontern ist das Team aber brandgefährlich. In EM-Testpartien maß die Ukraine ihre Kräfte mit etablierten Teams – und bezog oft derbe Pleiten: 0:4 in Tschechien, 1:4 gegen Frankreich.„Wir müssen uns auf unsere Tugenden konzentrieren, auf Technik und Taktik“, unterstreicht Blochin. In seiner aktiven Zeit machte es der Trainer vor: Der Linksaußen wurde 1975 zu Europas Fußballer des Jahres gewählt. Nur mit Geschlossenheit könne der Gastgeber bei der EM etwas erreichen, meint Mittelfeldspieler Anatoli Timoschtschuk vom FC Bayern München, einer der wenigen Stars der Nationalmannschaft.Mut für das Turnier im eigenen Land macht dem zweitgrößten Flächenstaat Europas der historische Erfolg bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Bei seiner bisher einzigen Endrunden-Teilnahme schied das Team von Blochin damals sensationell erst im Viertelfinale gegen Italien aus. Ausgerechnet eine der damaligen Stützen, Torhüter Alexander Schowkowski, fällt aber wegen einer Schulterverletzung für die EM aus. Und auch Schowkowskis Ersatzleute Andrej Dikan (verletzt) und Alexander Rybka (Dopingsperre) werden beim Heimturnier fehlen.Stattdessen könnte ein Dynamo-Moskau-Profi zum Schlüsselspieler werden: Andrej Woronin erlebt in der russischen Hauptstadt als Sturmpartner von Kevin Kuranyi seinen dritten Frühling.dpa