Andy Frötscher, Jahrgang 1969, wohnt in Klobenstein am Ritten und arbeitet als Lehrer an einer Oberschule. Er hat bereits 2003, 2005, 2007 und 2009 am X-Alps (Infos zum Bewerb finden Sie hier) teilgenommen. Südtirol Online: Quer durch die Alpen von Salzburg nach Monaco vorbei an acht „turnpoints“ – fixen Punkten, die die Teilnehmer auf ihrem Weg passieren müssen (die direkte Luftlinie beträgt 864 Kilometer) – und alles ausschließlich zu Fuß oder per Gleitschirm. Blasen an den Füßen, Schlafmangel, Entkräftung. Warum tun Sie sich das immer wieder an – und das mit 42 Jahren?Andy Frötscher: Ganz einfach: Weil ich nach Monaco kommen will (lacht). Weil ich finde, dass es eine tolle Herausforderung, ein großes Ziel ist; man macht etwas, das nicht alltäglich ist. Es ist eine interessante Kombination aus Fliegen und Ausdauersport. Und bezüglich des Alters ist es nicht unwichtig, dass man älter, erfahrener ist. Wenn man sich die Teilnehmer anschaut, dann sind einige älter als ich. Der Japaner Kaoru Ogisawa ist sogar schon im Jahr 1959 geboren.STOL: Wie war das Verhältnis Gehen vs. Fliegen bei Ihnen beim bis dato letzten X-Alps im Sommer 2009?Frötscher: Das Verhältnis war ungefähr 50:50 – ich bin in zwölf Tagen 510 geflogen und 530 Kilometer gegangen, habe 30.000 Höhenmeter gemacht. STOL: Fünftes X-Alps – fünfter Start: Ebenso wie der Rumäne Toma Coconea sind Sie bisher bei jedem X-Alps gestartet und kennen die Herausforderungen, die auf die X-Alps-Teilnehmer warten. Welche ist die größte?Frötscher: Das ist schwer zu sagen, denn man wird mit vielen Dingen konfrontiert, die man im Normalfall beim Fliegen nicht braucht. STOL: Zum Beispiel?Frötscher: Man muss sich beim Wetter immer auf jemand anderen verlassen, weil es während des Wettbewerbs einfach zu viel Zeit beanspruchen würde, das selbst zu erledigen, und es auch die technischen Möglichkeiten – sprich die Internetverbindung während des Gehens oder Fliegens – manchmal nicht zulassen. Dazu kommt das Fliegen selbst: Man ist täglich in neuen Gebieten unterwegs, einmal ist man in den hohen Bergen, dann sind sie wieder niedriger, die Thermik ändert sich, die Winde, dann kommt man in die Schweizer Berge mit den Gletschern hinein, wo wieder alles ganz anders ist …STOL: Und die körperliche Leistung?Frötscher: Die ist natürlich auch Herausforderung: Täglich geht man zwischen 40 und 70 Kilometer zu Fuß. Man legt also über mehrere Tage hinweg jeden Tag mindestens eine Marathonstrecke zurück – und das in den Alpen, also mit Höhenmetern. STOL: Gibt es etwas, was Ihnen Sorgen macht?Frötscher: Es geht immer um die Sicherheit. Und auch wenn man seine Ziele erreichen möchte, so ist es dennoch immer am wichtigsten, dass wir alle gesund wieder nach Hause kommen. Denn das X-Alps ist eine Sache, die extrem ist – es ist eine ganz harte körperliche Anstrengung und wir gehen zum Teil bei Wetterverhältnissen fliegen, bei denen wir im Normalfall nicht fliegen gehen würden.STOL: Stichwort Schuhe: Ein Paar genügt nicht, um den gesamten Bewerb zu überstehen …Frötscher: Nein, es waren immer mehrere Paare, wie viele genau kann ich gar nicht sagen. Für das X-Alps 2011 habe ich wieder einige Paare bestellt – ich setze seit Jahren auf denselben Schuh, der dieselbe Schuhstruktur hat. Während des Wettbewerbs verwende ich drei, vier verschiedene Schuhtypen jeweils in zweifacher Ausfertigung. Jedes Paar ziehe ich zwei Mal an – dazwischen braucht es einen Tag zum Trocknen: Denn man darf ja nicht vergessen, dass so ein Schuh, wenn man ihn den ganzen Tag trägt und viel Zeit darin läuft, nass wird. Was aber wichtiger ist, als der Schuh selbst, sind in meinem Fall Einlegesohlen, die speziell auf meinen Fuß und auf das, was ich mache, zugeschnitten sind. Das hat mir auch in den vergangenen Jahren sehr geholfen: Ich hatte keine Entzündungen mehr und fast keine Blasen.STOL: Alle X-Alps-Teilnehmer haben einen Begleiter, der ihnen mit dem Auto folgt und sie vom Boden aus unterstützt. Ihrer ist der Rittner Robert Mur. Warum ist dieser Supporter so wichtig?Frötscher: Ohne ihn wäre ich „aufgeschmissen“: Er folgt mir am Boden mit dem Camper, bringt die Lebensmittel, die Kleidung, die Schuhe hinterher, hat Internetverbindung und damit die Wettervorhersagen usw. Die Person des Supporters wird immer etwas vernachlässigt, obwohl er sicher ähnlich viel leistet wie wir Athleten – zwar nicht vom Körperlichen her, aber er steht zumindest gleich früh auf wie der Athlet, geht nach ihm schlafen, muss alles organisieren, damit sich der Athlet ausschließlich aufs Gehen und Fliegen konzentrieren kann. Zum Beispiel vergisst man während des Gehens leicht die Zeit, der Supporter muss dir beim letzten Treffen vor Einbruch der Dunkelheit eine Stirnlampe mitgeben, damit du nicht plötzlich im Dunkeln stehst.STOL: Warum haben Sie die Stirnlampe nicht einfach immer mit dabei?Frötscher: Weil sie ein Gewicht darstellt – und jedes gesparte Gramm hilft. Heuer werde ich ständig zwischen zehn und 12 Kilogramm mit mir herumtragen – je nachdem, wo ich hingehe und wie lange ich meinen Supporter nicht sehe. Allein die Grundausrüstung – ein speziell entwickelter nur 4,2 Kilo schwerer Gleitschirm, das Gurtzeug, die Rettungsausrüstung und die elektronischen Geräte, die ich dabei haben muss – kommt auf 9,2 Kilo. Dazu kommen noch Verpflegung, eine Windjacke und eine Hose. STOL: Anfangs haben Sie gesagt, es sei Ihr Ziel in Monaco anzukommen – das gelingt beim X-Alps stets nur einer Handvoll Teilnehmern, denn nachdem der erste im Hafen von Monte Carlo landet, läuft der Bewerb noch 48 Stunden und dann fällt die Zielflagge.Frötscher: Ich glaube, dass viel drinnen ist – sofern alles gut läuft. An einem guten Tag kann man schnell nach vorne kommen, an einem schlechten schnell weit nach hinten. Für mich ist wichtig, dass ich dieses Ziel habe. Denn meine Motivation ist es nicht, irgendwo auf dem 15. Platz herumzugurken; das ist nicht die Motivation, wegen der man sich das alles antut, wegen der man täglich trainiert.STOL: Sie waren bisher noch nie unter den X-Alps-Finishern, die das Ziel in Monaco erreicht haben. Warum schaffen Sie es heuer?Frötscher: Zum einen habe ich mich wieder gut vorbereitet, zum anderen weil ich mir fest vorgenommen habe, Fehler zu vermeiden. Vor zwei Jahren beispielsweise haben wir einen Fehler gemacht, der uns viel gekostet hat – auch ohne den Fehler hätte ich es nicht nach Monaco geschafft, aber im besten Fall wäre eben der dritte Platz drinnen gewesen anstatt der 12., der es schlussendlich geworden ist. STOL: Was für einen Fehler sprechen Sie an?Frötscher: Damals bin ich in Ulten auf die falsche Talseite hinaufgegangen – ich hatte dann Nordwind, konnte nicht fliegen, musste wieder hinunter ins Tal und auf die andere Seite hinauf. Dabei habe ich viel Zeit verloren und das gute Flugwetter in der Valtellina verpasst, während andere an dem Tag 150 Kilometer geschafft haben, waren es bei mir nur 50. STOL: Wie schaut der Trainingsaufwand denn aus?Frötscher: Am 1. September habe ich mit dem Training begonnen. Bisher habe ich zwischen 200 und 300 Trainingsstunden absolviert, knapp 2000 Kilometer zu Fuß gemacht. Trainiert habe ich mit 13 bis 15 Kilogramm Gewicht auf dem Rücken – das ist zwar etwas mehr als dann beim Wettkampf, doch für die Vorbereitung passt das. Außerdem bin ich auch geflogen. Was man nicht vergessen darf und was ja zur Vorbereitungszeit dazukommt, sind die Routenplanung, die Organisation und die Sponsorensuche. Alles in allem ist der Zeitaufwand schon ziemlich groß.STOL: Die X-Alps-Route führt durch Südtirol. Werden Sie auch heuer wieder einen Abstecher auf Ihren Hausberg, den Ritten, unternehmen?Frötscher: Ich bin im Rahmen von X-Alps zwei Mal daheim gewesen und habe mit dieser Route über den Ritten eigentlich immer aufgeholt. Vor zwei Jahren sind die anderen zum Großteil über den Karerpass und dann auf die Mendel; ich konnte vom Ritten aus Richtung Meran immer etwas Fliegen. In diesem Jahr wird sich der Weg über den Ritten nicht ausgehen, weil wir nicht mehr die Marmolata als Wendepunkt haben sondern die Drei Zinnen. Ich denke, dass ich heuer etwas weiter nördlich bleiben werde, entweder durchs Pustertal oder über die Plose und dann über Schalders ins Sarntal und nach Meran. Die tatsächliche Route wird dann aber wetterabhängig sein. STOL: Sie sind der einzige Teilnehmer aus Italien. Wie das?Frötscher: Vonseiten der Organisation hieß es, dass sich zu wenig interessante Leute gemeldet hätten. Interessant bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Leute viel Erfahrung haben sollten. Wichtig ist aber auch, dass es Leute sind, die viel in den Alpen fliegen – denn wenn Leute viel im Alpenvorland fliegen, dann sind sie ganz andere thermische Bedingungen gewohnt. Und an Tagen, an denen starke thermische Bedingungen in den hohen Bergen sind, die man nicht gewohnt ist, dann kann es durchaus zu Problemen kommen. Und von den Leuten, die diese Erfahrungen haben, melden sich offenbar zu wenig. STOL: Insgesamt starten heuer 30 Athleten aus 22 Nationen beim X-Alps. Aus wie vielen Bewerbern werden die ausgesucht?Frötscher: Genau kann ich das nicht sagen. Ich schätze aber, dass es einige Hundert sind. STOL: Nach welchen Kriterien sucht Red Bull die Teilnehmer aus? Frötscher: Einmal wird versucht, eine Nationenvielfalt zu haben – denn das X-Alps soll ja nicht ein Wettbewerb zwischen Schweizern und Österreichern sein. Dann wird geschaut, wer den Bewerb körperlich durchstehen kann. Dafür ist kein medizinischer Test nötig, sondern Informationen über den Bewerber werden eingeholt, zum Beispiel über die nationalen Red-Bull-Filialen, die sich dann ihrerseits in der Szene kundig machen. Außerdem muss man fliegerisch gut drauf sein und Bergerfahrung haben. Für jemanden, der in den Bergen lebt, ist das einfacher – er muss nicht x Nordwände im Curriculum haben, er kennt die Bedingungen in den Bergen und kann damit umgehen. Außerdem sind alle Teilnehmer Leute, die spezielle Sachen machen.STOL: Welche sind das in Ihrem Fall?Frötscher: Zum Beispiel dass ich, als ich noch Rennen geflogen bin, mit einem Serienschirm gegen die Wettkampfschirme zwei Mal den Südtirolcup gewonnen habe. Und dass ich in der Luft viel ausprobiere: Ich fliege oft Routen, die sonst niemand fliegt. Ich glaube, dass mir das persönlich sehr viel bringt, weil man immer wieder neue Sachen herausfinden muss und dadurch sehr, sehr viel dazulernen kann.STOL: Am Sonntag, 17. Juli, wird der fünfte X-Alps-Event in Salzburg gestartet. Wann werden die ersten Teilnehmer in Monaco sein?Frötscher: Das hängt – wie auch in den vergangenen Jahren – sehr vom Wetter ab. Realistisch sind zehn bis 14 Tage.STOL: Wer ist Ihr Favorit für den X-Alps-2011-Sieg? Frötscher: Vorne dabei wird wohl der Schweizer Christian „Chrigel“ Maurer sein, der das X-Alps 2009 gewonnen hat. Er wird körperlich sicher besser vorbereitet sein als vor zwei Jahren, fliegerisch ist er wahnsinnig gut – da kommt von uns anderen kaum einer ran. Auch in einer Favoritenrolle – sofern sie gesund bleiben – sind u. a. der Österreicher Heli Eichholzer und der Schweizer Martin Müller. Doch auch einer derjenigen, die zum ersten Mal teilnehmen, könnte ganz nach vorne kommen: Die Leute gehen manches ganz anders an als wir X-Alps-Veteranen, die wir glauben, dass es so nie funktionieren kann – und dann funktioniert genau das Neue perfekt. Interview: Simone TreibenreifDie Routen der X-Alps-Teilnehmer, der genaue Standpunkt, die Distanz zum Ziel und zur Konkurrenz etc. können hier via Live Tracking rund um die Uhr verfolgt werden.