Die Formel „Nahrung für Nischen“ machte den Burgstaller Betrieb zum Weltmarktführer bei glutenfreien Produkten. s+ hat mit CEO Philipp Schoeller über den Umgang mit Food-Trends und Rohstoffkapriolen sowie das Jubiläumsprojekt „Field 100“ gesprochen.<BR /><BR /><b>Herr Schoeller, vor 100 Jahren hat der Innsbrucker Arzt Dr. Anton Schär den Grundstein für die heutige weltweit erfolgreiche Unternehmensgruppe Dr. Schär gelegt. Was ist denn von der Idee von damals heute noch übrig?</b><BR />Philipp Schoeller: Die Mission hat sich an sich nicht geändert, es geht in erster Linie darum, hochwertige Produkte für Menschen mit spezifischen Ernährungsbedürfnissen anzubieten. Anders als damals spielen heute auch Genussaspekte eine wesentliche Rolle. Die Produkte sind für unsere Kundengruppen nicht nur gut verträglich, sondern schmecken auch gut, sodass sie nicht das Gefühl haben, auf etwas verzichten zu müssen. Das ist zum Beispiel in Familien, in denen ein Kind Zöliakie hat und andere Familienmitglieder nicht, ein wichtiger Faktor. Was sich seit dem Beginn von Dr. Schär vor 100 Jahren natürlich auch geändert hat, sind die Dimensionen: Von den Anfängen bis zur Gründung der heutigen Dr. Schär in Burgstall im Jahre 1981 wurden die Produkte handwerklich hergestellt und hauptsächlich regional, vereinzelt auch überregional verkauft; danach folgte der Umstieg auf die industrielle Fertigung. Dr. Schär ist heute ein Familienunternehmen, das einen starken internationalen Fokus hat. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="785990_image" /></div> <BR /><b>18 Standorte in 11 Ländern mit 1500 Mitarbeitern zählen zur Unternehmensgruppe, die im Bereich von glutenfreien Produkten weltmarktführend ist. Wie behält Dr. Schär seine Position, obwohl in dem Markt mittlerweile auch Lebensmittelkonzerne wie Nestlé, Barilla und Dr. Oetker/Cameo mit sehr viel höheren Budgets für Marketing und Produktentwicklung mitmischen?</b><BR />Schoeller: Der „First Mover“-Effekt, dass wir also schon seit den 1980er-Jahren am Markt für glutenfreie Ernährung sind, ist ein Grund dafür. Ein weiterer ist, dass wir einer von ganz wenigen Vollsortimentsanbietern sind, zugleich haben wir bei vielen Erzeugnissen einen Innovationsvorsprung. Die von Ihnen angesprochenen Konzerne haben sich größtenteils auf einzelne Produktgruppen spezialisiert, bei uns sind es 160 verschiedene Erzeugnisse – vom Brot bis hin zu Snacks, einschließlich lokaler Spezialitäten, die wir als glutenfreie Alternative anbieten. Zudem sind wir trotz der wachsenden Größe noch immer ein Mittelständler geblieben, für den glutenfreie Produkte nicht ein winzig kleiner Teil im Sortiment, sondern der wichtigste Teil sind. <BR /><BR /><b>Welches dieser 160 Produkte verkauft sich am besten und in welchen Stückzahlen?</b><BR />Schoeller: Brote und Brötchen stehen klar auf Platz 1. Pro Monat verkaufen wir rund 10 Millionen Brote und Brötchen in die ganze Welt.<BR /><BR /><b>Durch prominente Persönlichkeiten wie Novak Djokovic und Kim Kardashian hat das Thema Glutenfrei vor einigen Jahren den Mainstream erreicht. Inwieweit spüren Sie davon aktuell noch etwas?</b><BR />Schoeller: Das ist richtig, in den Jahren von 2013 bis 2016 haben wir einen regelrechten Boom erlebt. Teilweise konnten wir der extrem gestiegenen Nachfrage nicht mehr nachkommen. Aber wie Sie schon sagen, es handelt sich dabei um vorübergehende Trends, die kommen und gehen. Konsumenten, die solchen Trends folgen, haben sich inzwischen anderweitig umorientiert.<BR /><BR /><b>Wer sind neben Zöliakiepatienten die wichtigsten Zielgruppen von Schär?</b><BR />Schoeller: Menschen, die eine Gluten-/Weizensenitivität haben oder zum Beispiel an einem Reizdarm-Syndrom leiden. Dann gibt es noch eine dritte Konsumentengruppe, und zwar jene Menschen, die sich bewusst glutenfrei ernähren möchten. <BR /><BR /><b>Worin sehen Sie das größte Wachstumspotenzial?</b><BR />Schoeller: Wir erkennen in verschiedenen Bereichen starke Wachstumspotenziale. Was wir klar sehen, ist, dass es sehr viele Menschen gibt, die nicht wissen, dass der Verzehr von Weizenprodukten ursächlich für ihre Bauchschmerzen, Energielosigkeit oder Übelkeit ist. Da ist noch sehr viel Aufklärungsarbeit nötig. Wir unterstützen dies auf vielfältige Weise, zum Beispiel im Austausch mit Allgemeinmedizinern, aber auch indem wir uns kürzlich an einem Start-up beteiligt haben, das eine Diagnose-App fürs Smartphone entwickelt hat. Mit einem Symptomtest auf der Webseite kann jeder schnell feststellen, ob der Verdacht einer Unverträglichkeit gegenüber Gluten besteht und ob man sich lieber an einen Arzt wenden sollte. Im Allgemeinen wünschen wir uns, dass der Ernährungsaspekt noch viel stärker als jetzt als Teil einer langfristig erfolgreichen Therapie eingesetzt wird.<BR /><BR /><b>Kommen wir zum Thema Rohstoffe: Inwiefern haben sich die enormen Kostensteigerungen auf Ihr Geschäft ausgewirkt, mussten Sie die Produktpreise bereits nach oben schrauben?</b><BR />Schoeller: Natürlich leiden auch wir darunter. Einer unserer wichtigsten Rohstoffe ist Mais. Die Ukraine ist eine der wichtigsten Anbauregionen von Mais in Europa. Auch wenn wir ihn nicht von dort beziehen, wirkten sich die Spannungen und die Unsicherheit auch auf uns aus. Durch die hohe Volatilität fehlt die nötige Planbarkeit. Die Preise mussten wir bereits etwas anheben und werden wir wohl noch weiter anpassen müssen, nicht zuletzt weil sich die Energie stark verteuert hat, aber wir versuchen da sehr umsichtig vorzugehen. Positiv ist, dass wir nie mit Versorgungsproblemen bei Rohstoffen zu kämpfen hatten, was wiederum auf unsere „Filiera-Strategie“ zurückzuführen ist.<BR /><BR /><b>Worum geht es dabei?</b><BR />Schoeller: Um beim Beispiel Mais zu bleiben: Vertragsbauern in Italien bauen unser Saatgut und in unserem Auftrag für alle Produkte, die wir in Europa verkaufen, an. Später wird der Mais in Vertragsmühlen zu Maismehl weiterverarbeitet und gelangt schließlich in unsere Produktionsstandorte. Dadurch haben wir die volle Kontrolle über den Anbau und die komplette Verarbeitungskette. Auch bei Reis, Hirse, Linsen und Hafer greift diese „Filiera-Strategie“, die uns zumindest teilweise unabhängig macht von den Dynamiken am Markt. Vor Preisschwankungen bewahrt sie uns nicht, da sich die Preise, die wir an die Bauern zahlen auch an den Marktpreisen orientieren. Was die Nachhaltigkeit beim Packaging betrifft, haben wir uns zum Ziel gesetzt, bis 2024 ausschließlich Materialien einzusetzen, die entweder recyclebar, recycelt oder kompostierbarsind. Das ist keine leichte Aufgabe, zumal wir die höchsten Anforderungen in puncto Produktsicherheit erfüllen müssen, weil jegliche Kontamination mit Weizenprodukten zu ernsten Beschwerden bei den Patienten führen kann. <BR /><BR /><b>Mit „Field 100“ haben Sie anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums von Schär ein Landwirtschaftsprojekt in Südtirol lanciert. Worum handelt es sich da genau?</b><BR />Schoeller: Das „Field 100“ ist eines der vielfältigsten Felder in Südtirol und darüber hinaus. So werden auf der Fläche in Dietenheim bei Bruneck Mais, Hafer und Buchweizen, aber auch Hirse und Sorghum, Amaranth und Quinoa angebaut. Insgesamt sind es 100 verschiedene Sorten, heimische Landsorten ebenso wie Sorten aus der ganzen Welt. Wir möchten dadurch die Biodiversität fördern und die nachhaltige Landwirtschaft unterstützen. Das Versuchszentrum Laimburg ist unser wissenschaftlicher Partner beim Projekt und wird im Detail analysieren, wie sich die Anbaukulturen entwickeln. <BR /><BR /><b>Nehmen wir an, es zeigt sich, dass zum Beispiel Quinoa hierzulande besonders gut und ertragreich gedeiht. Inwieweit könnte diese Erkenntnis nützlich sein für die Südtiroler Landwirtschaft?</b><BR />Schoeller: Ich denke die Erkenntnisse aus „Field 100“ könnten ganz allgemein ein interessanter Ansatzpunkt für die hiesige Landwirtschaft sein, neu zu denken. <BR /><BR /><b>Wenn wir zum Abschluss das Feld der glutenfreien Ernährung verlassen: Sehen Sie innerhalb der Unternehmensgruppe einen Produktbereich, der sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ähnlich gut entwickeln könnte wie Schär?</b><BR />Schoeller Wir sind aktuell in verschiedenen Bereichen der medizinischen Ernährung aktiv. Wir bieten etwa Produkte für die Bedürfnisse von Patienten mit Niereninsuffizienz an, ebenso wie speziell entwickelte Kost für Epilepsiepatienten oder Erzeugnisse für eine ketogene, also kohlenhydratarme Ernährung. Das Thema ketogene Diät könnte in Zukunft noch groß werden, steckt aber momentan noch eher in den Kinderschuhen. Wie Sie sehen bemühen wir uns weiterhin, das Leben von Menschen mit spezifischen Bedürfnissen zu verbessern. <BR /><BR /><b>Wie viel wird die Dr-Schär-Gruppe 2022 umsetzen?</b><BR />Schoeller: Bei Fortschreitung der Zahlen dürften wir auf über 450 Millionen Euro kommen. <BR />