<b> Herr Sperb, im Mittelpunkt der Südstern-Tagung stehen die Perspektiven für den Kapitalmarkt. Darum gleich zum Einstieg die Frage: Was würden Sie einem Freund raten, wenn er aktuell – sagen wir – 10.000 Euro zur Verfügung hätte?</b><BR />Walter Sperb: Ganz egal, ob 10.000 Euro, 100.000 Euro oder mehr – jeder, der sein Geld für mindestens 5 Jahre, besser 10 Jahre anlegen möchte, sollte nicht auf Aktien verzichten. Allein schon wegen der Inflation, die aus unserer Sicht noch sehr lange über den Zielwerten der Notenbanken verharren dürfte. Dafür sorgen strukturelle Faktoren, die langfristig wirken: Die Demographie etwa, die den Druck auf die Löhne erhöht oder die Deglobalisierung, die viele Produkte ebenso verteuern dürfte wie die politisch angestrebte Dekarbonisierung. Die Realzinsen bleiben negativ und nur mit Sachwerten lassen sich Kaufkraftverluste mindestens ausgleichen. Und Sachwerte sind eben bei liquiden Anlagen vor allem Aktien.<BR /><BR /><b>Welche Aufteilung – ETF, Einzelaktien, andere Anlagen - würden Sie vorschlagen?</b><BR />Sperb: Das kann man pauschal leider nicht sagen, es hängt immer von dem konkreten Einzelfall ab. Grundsätzlich raten wir dazu, die Risiken sinnvoll zu streuen – auf verschiedene Anlageklassen, Einzeltitel und Währungsräume. In vielen Fällen sollten Aktien wohl den Löwenanteil ausmachen. Wir empfehlen aber nicht irgendwelche Aktien oder gleich den ganzen Markt, sondern eine professionelle, aktive Auswahl. Anleihen können im Zuge der gestiegenen Zinsen wieder die Aufgabe eines Risikopuffers spielen. Wir haben zuletzt wieder begonnen, hier Positionen aufzubauen. Zudem ist Gold für uns ein strategisch wichtiges Investment. Es schützt das Vermögen gegen die bekannten und unbekannten Risiken eines aus unserer Sicht fragilen Finanzsystems.<BR /><BR /><b>Wie gehen Sie vor, um zu ermitteln, ob bestimmte Aktien ein Investment wert sind oder nicht?</b><BR />Sperb: Wir fokussieren uns vor allem auf die Aktien von Qualitätsunternehmen. Darunter verstehen wir erstklassige Unternehmen mit attraktiven Geschäftsmodellen, die in Zukunft lukrative Erträge erwarten lassen. Dazu nehmen unsere Analysten zunächst die Zielmärkte unter die Lupe, auf denen der Umsatz erzielt wird. Ist hier Wachstumspotenzial vorhanden und verfügt das Unternehmen zudem über eine gute Marktposition und Wettbewerbsvorteile, die von der Konkurrenz nicht so leicht nachzuahmen sind, geht es in die nähere Untersuchung. Die Unternehmen müssen solide finanziert sein und auch das Management-Team muss überzeugen. Zu guter Letzt sollte der von uns errechnete Wert des Unternehmens unter dem Börsenkurs liegen, damit die Aktien ins Portfolio gelangen. Denn auch das beste Unternehmen muss noch lange kein günstiges Investment sein.<BR /><BR /><embed id="dtext86-59071792_quote" /><BR /><BR /><b> Man beobachtet, dass die Nervosität an den Märkten seit geraumer Zeit beachtlich ist. Erst Corona, dann Krieg, Energiekrise, Inflation, steigende Zinsen, Bankenbeben: Was kommt da in diesem Jahr noch auf uns zu?</b><BR />Sperb: Auf Sicht rechnen wir mit einem Auf und Ab der Kurse, auch ausgelöst durch die Wendungen der Geldpolitik. Grundsätzlich gehen wir schon seit einigen Jahren davon aus, dass es immer wieder zu Fragilitäten an den Finanzmärkten kommen kann. Unsere Anlagestrategie haben wir im Nachklang an den Dotcom-Börsencrash ab 2000 entwickelt und über die Jahre verfeinert. Unser Ziel ist ein robustes Portfolio, das von Krisen weniger stark getroffen wird und in guten Zeiten attraktive Renditen erzielen kann. <BR /><BR /><b> Der IWF hat kürzlich vor weiteren Verwerfungen gewarnt, Banken, Versicherungen und Pensionskassen seien großen Risiken ausgesetzt. Teilen Sie diese Auffassung?</b><BR />Sperb: Bisher würden wir angesichts der Pleite der Silicon Valley Bank und der Notübernahme der Credit Suisse durch die UBS eher von Kollateralschäden sprechen, auch wenn es zynisch klingen mag. Wir sehen die Turbulenzen im Bankenbereich derzeit vor allem als Kollateralschäden der scharfen Leitzinserhöhungen an. Einen Flächenbrand erwarten wir allerdings nicht, weil Notenbanken wie Regierungen nach den Erfahrungen der Finanzkrise möglichen Liquiditätsproblemen im Banksystem begegnen, was die Auswirkungen von Bankschieflagen auf den Rest der Volkswirtschaft begrenzt. <BR /><BR /><b>Glauben Sie, dass die Ankündigung von Zinssenkungen allein genügen wird, um wieder Ruhe einkehren zu lassen und den nächsten Aufwärtstrend in Gang zu setzen?</b><BR />Sperb: Die Aussicht auf Zinssenkungen könnte zwar grundsätzlich den Bewertungen helfen und den Aktienmärkten Rückenwind verleihen. Doch wir halten eine kurzfristige Ankündigung von Zinssenkungen in den USA und in Europa für wenig wahrscheinlich. Wir erwarten, dass die Notenbanken die Inflationsbekämpfung ernstnehmen und ihre restriktivere Geldpolitik erst dann beenden, wenn ein nachhaltiger Rückgang der Inflation erkennbar ist oder nicht mehr akzeptable Kollateralschäden drohen. Und die Inflation dürfte aus unserer Sicht auch wegen der demografisch bedingten Situation am Arbeitsmarkt und daraus resultierender Lohnsteigerungen noch längere Zeit deutlich über den zwei Prozent liegen, die von den Notenbanken als Zielmarke angestrebt wird.<BR /><BR /><b> Wann rechnen Sie also mit besseren Zeiten an den Märkten?</b><BR />Sperb: Es ist tatsächlich ruckelig an den Märkten, „bumpy roads“, wie wir sagen. Die Zeit des Rückenwinds durch die niedrigen Zinsen ist vorbei. Und die Flut wird nicht mehr alle Schiffe heben. Dennoch sollten wir nicht vergessen, dass Inflation bedeutet, dass die Preise für Verbraucher steigen. Und es sind Unternehmen, die Preise erhöhen. Wenn es also darum geht, in Aktien zu investieren, sind Unternehmen im Vorteil, die in der Lage sind, Preiserhöhungen bei ihren Kunden durchzusetzen, selbst wenn es womöglich wirtschaftlich enger werden sollte. Damit wird die Auswahl der Aktien künftig vermutlich wichtiger denn je und vieles spricht für aktives Portfoliomanagement. <BR /><BR /><b> Im letzten Jahrzehnt und vor allem in Zeiten der Coronapandemie haben die Tech-Aktien eine massive Rallye hingelegt. Die Partystimmung ist nun vorerst vorüber – war´s das mit dem Tech-Hype?</b><BR />Sperb: Richtig ist, dass die Aktien vieler Unternehmen, für die Investoren besonders hohe Wachstumserwartungen hatten, letztes Jahr besonders stark gefallen sind. Dies ist grundsätzlich auch plausibel mit Blick auf die deutlich erhöhten Zinsen. Denn wenn ein größerer Teil der Unternehmensgewinne weit in der Zukunft liegt, drückt der gestiegene Diskontzins überproportional stark auf die Bewertung. Hinzu kommt, dass 2022 manche Technologieaktien darunter litten, dass sich Investoren einen großen Wachstumsschub durch die Auswirkungen der Pandemie versprochen hatten – etwa in den Bereichen Digitalisierung oder Onlinehandel. Doch diese Erwartungen stellten sich als zu hoch heraus. Inzwischen hat das Management mancher Technologieunternehmen sinnvolle Maßnahmen ergriffen, um die Effizienz, die in dieser Boomzeit manchmal gelitten hatte, wieder zu erhöhen.<BR /><BR /><b>Welche Branchen sehen Sie als künftige Wachstumssektoren – werden es nach wie vor Technologiefirmen sein, etwa im Bereich KI, oder ist eine Verlagerung in Richtung anderer Sektoren wahrscheinlicher? </b><BR />Sperb: Es gibt einige vielversprechende Ansätze. Doch leider lassen sich Innovationsschübe aus Investorensicht nur schwer vorhersehen.