Martina Kohlberger war kürzlich zu Gast bei der „Zukunftswerkstatt“ der Handelskammer Bozen und referierte zum Thema „Fachkräftemangel?! Strategien zur Nutzung des Potenzials erfahrener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“.<BR /><BR /><b>Frau Kohlberger, ältere Mitarbeiter gelten oft als unflexibel, wenig aufgeschlossen gegenüber Neuerungen und nicht unbedingt übermotiviert. Alles nur Vorurteile – oder ist etwas Wahres dran?</b><BR />Martina Kohlberger: Grundsätzlich sind wir natürlich geprägt von unseren Erfahrungen. Wenn ich mich in meinem ganzen Leben nie für neue Technik, neue Entwicklungen usw. interessiert habe, wird sich das im Alter nicht unbedingt ändern. Und wenn meine letzte Fortbildung 20 Jahre zurückliegt, hilft das auch nicht weiter. Aber man kann nicht sagen, dass Menschen im Alter weniger kreativ oder innovativ wären – im Gegenteil: Die sogenannte kristalline Intelligenz (die Fähigkeit, auf erworbenes Wissen und Erfahrungen zurückzugreifen, um Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen, Anm. d. Red.) nimmt ja zu. Man hat mehr Weitblick, kann Zusammenhänge besser erkennen usw. – Eigenschaften, die wichtig sind für Kreativität und Innovationskraft. Das heißt: Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen nehmen zwar die Gedächtnisleistung und die Denkgeschwindigkeit mit dem Alter ab, aber Wortschatz und Weltwissen, komplexes und dialektisches Denken sowie die emotionale Stabilität nehmen zu. Und grundsätzlich ist der Mensch bis ins hohe Alter sehr lernfähig – sofern er diese „Muskeln“, also die Neuronen, regelmäßig trainiert.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-70586183_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wie gehe ich als Unternehmer oder Führungskraft mit diesem Wissen um? Wie setze ich ältere Arbeitnehmer richtig ein?</b><BR />Kohlberger: Sich ständig wiederholende Tätigkeiten, extreme Monotonie ohne Überblick über das Ganze, Arbeiten mit hohem Tempo und Zeitdruck oder solche, bei denen Mitarbeiter extremen Umwelteinflüssen wie Lärm und Hitze ausgesetzt sind oder ständig in derselben Haltung arbeiten müssen – das wird mit zunehmendem Alter schwieriger. Die wirkliche Stärke älterer Arbeitnehmer liegt hingegen im ganzheitlichen Blick – und der kann für Unternehmen sehr wertvoll sein. Besser geeignet sind daher Aufgaben mit mehr Verantwortung, Tätigkeiten, bei denen es wichtig ist, Zusammenhänge zu erkennen. Ältere Mitarbeiter können beispielsweise Ansprechpartner für komplexe Fragestellungen sein, im Bereich Qualitätssicherung arbeiten, Experten für neue Unternehmensinitiativen sein oder ihr Wissen weitergeben, indem sie andere einschulen. Es geht also darum, gute individuelle Lösungen zu finden.<BR /><BR /><b>Dann bleiben die Leute auch motiviert…</b><BR />Kohlberger: Genau. Die Frage ist daher: Wie schaffe ich es als Betrieb, dass meine Leute ihre Kompetenzen gut einsetzen können? Denn wenn jemand 30 Jahre Berufserfahrung hat, dann hat er eine Kompetenz entwickelt – auch wenn KI-Systeme eingeführt werden oder andere technische Neuerungen kommen. Für die Motivation sind zudem autonomes Arbeiten – natürlich immer innerhalb gewisser Rahmenbedingungen – und soziale Einbindung sehr wichtig.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1187457_image" /></div> <BR /><BR /><b>Das eine ist ein Bürojob, das andere körperlich beschwerliche Arbeit…</b><BR />Kohlberger: Natürlich – Schichtbetrieb etwa ist im Alter schwerer auszuhalten: Wechselschichten, Nachtarbeit – das geht körperlich an die Substanz. Aber auch da gibt es Möglichkeiten, etwa durch flexible Arbeitszeit- und Schichtmodelle. Wichtig wäre auch hier, nicht ein starres Modell über alle zu stülpen, sondern den Abteilungen Autonomie zu lassen, sich das selbst einzuteilen. Das ist zwar mehr Aufwand, aber es hilft letztlich, Fehlzeiten zu reduzieren und die Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-70586188_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Würden Sie sagen, dass Betriebe Ihrer Erfahrung nach das Thema schon richtig einschätzen – oder gibt es noch Aufholbedarf?</b><BR />Kohlberger: Kleinere und mittelständische Unternehmen haben das Thema vermutlich besser im Blick, weil sie ihre Leute täglich sehen. Aber bei größeren Unternehmen ist das aus meiner Sicht noch ein blinder Fleck. Dabei steckt enormes Potenzial darin, wenn man stärker in betriebliche Gesundheitsvorsorge investieren würde. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch einen Beitrag leisten will – unabhängig vom Alter. Und nicht zuletzt brauchen die Unternehmen angesichts des Personalmangels ihre Mitarbeiter auch.<BR /><BR /><b>Sie sind auch als Unternehmensberaterin tätig. Von welchen Problemen hören Sie am häufigsten – gerade im Hinblick auf ältere Arbeitnehmer?</b><BR />Kohlberger: Ein großes Thema ist: Wie schafft man es, dass gemischte Teams gut zusammenarbeiten.<BR /><BR /><b>Weil die Jungen denken, die Älteren verstehen nichts – und die Älteren meinen, die Jungen wollen gar nicht arbeiten?</b><BR />Kohlberger: Genau. Da kann sogenanntes Reverse Mentoring helfen: Dabei werden zum Beispiel junge Leute Projekten zugeteilt, in denen sie Experten sind – etwa in Social Media –, und umgekehrt übernehmen Ältere Projekte, bei denen sie ihre Stärken ausspielen können, zum Beispiel als Buddy, wenn jemand neu im Betrieb startet. Eine andere Möglichkeit ist ein Generationen-Café: Die Firma gibt Gutscheine aus, mit denen verschiedene Generationen gemeinsam einen Kaffee trinken können – einfach, um den zwischenmenschlichen Austausch zu fördern, damit sie das Gefühl bekommen, voneinander lernen zu können.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-70586792_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wenn man als Betrieb das Thema angehen möchte, ist der erste Schritt, sich die Ist-Situation anzuschauen und zu analysieren, wie das Team zusammengestellt ist – richtig?</b><BR />Kohlberger: Ja. Es ist dann Aufgabe der Führungskraft zu prüfen: Wenn offene Positionen zu besetzen sind – welche Generation, welche Perspektive fehlt? Denn wir wissen: Je vielfältiger Teams sind – nicht nur im Hinblick auf Geschlecht, sondern auch auf das Alter –, desto größer sind Innovations- und Kreativitätsfähigkeit. Allerdings gilt das nur, wenn die Führungskraft das Team auch gut leitet. Das ist kein Selbstläufer. Als erster Schritt ist es wichtig, die Ist-Situation zu analysieren. Dann erkennt man vielleicht, dass man heute zwar noch gut aufgestellt ist, aber in fünf Jahren eine Lücke entsteht, weil mehrere Mitarbeiter in Rente gehen. Dann muss man frühzeitig planen, wie man etwa den Wissenstransfer organisiert oder die Nachfolge regelt.<BR /><BR /><b>Dass Wissen mit älteren Mitarbeitern verloren geht, die in Rente gehen, ist ein großes Thema?</b><BR />Kohlberger: Ja, auf jeden Fall. Ich rate dazu, spätestens ein halbes Jahr vor dem Austritt eines Mitarbeiter den Übergang einzuplanen. Dann muss man Zeit und Ressourcen bereitstellen, um die Nachfolge einzuarbeiten oder – falls es keinen Nachfolger gibt – die Aufgaben im Team zu verteilen. Man sollte dem Betreffenden die Zeit einräumen, sich wirklich hinzusetzen und zu dokumentieren, was die wesentlichen Themen sind. Fragen wie: Wer sind die Netzwerkkontakte? Wie komme ich zu meinen Informationen? Wo sind diese abgelegt – nur in meinem Kopf? Das muss eine Priorität im letzten Jahr sein. Und ganz wichtig: Die Führungskraft sollte regelmäßig nachfragen – und nicht erst zwei Tage vor dem Abschied sagen: „Wo hast du denn jetzt dein Wissen aufgeschrieben?“ Eine andere Möglichkeit ist, die Mitarbeiter nach der Pensionierung auf geringfügiger Basis weiterzubeschäftigen, um weiterhin Zugriff auf ihr Wissen zu haben. Es gibt zwar auch Unternehmen, die bewusst auf einen Neustart setzen und den Wissenstransfer vernachlässigen – aber das halte ich für problematisch, weil dabei viel verloren geht.