Doch brauchen Italien und Südtirol wirklich gesetzlich festgelegte Mindestlöhne? Das sagt ASGB-Chef Tony Tschenett. <BR /><BR /><b>Herr Tschenett, in Italien hat man bislang Lohnuntergrenzen über die Tarifverträge geregelt, über 80 Prozent der Arbeitnehmer sind dadurch abgedeckt. Braucht es dann in Italien und vor allem in Südtirol überhaupt einen gesetzlichen Mindestlohn? </b><BR />Tony Tschenett: Absolut. Südtirol braucht einen gesetzlichen Mindestlohn und Italien sowieso. Das belegen schon allein die Zahlen des Fürsorgeinstituts INPS: Laut den Daten aus dem Jahr 2019 beziehen in Italien 23 Prozent der Arbeitnehmer einen Stundenlohn von weniger als 9 Euro brutto. Und davon erhalten 8 Prozent weniger als 8 Euro. Und auch in Südtirol gibt es Betriebe, die sich nicht an Kollektivverträge halten, also sogenannte Piratenverträge anwenden, und untertariflich zahlen. Deswegen ist ein gesetzlicher Mindestlohn auch für uns wichtig. <BR /><BR /><b> Welche Berufe sind am meisten betroffen?</b><BR />Tschenett: In erster Linie sind es Berufe im Dienstleistungssektor, vor allem in Reinigungsbereich und Tätigkeiten für Niedrigqualifizierte. Es sind sicher nicht die Südtiroler Betriebe, die die Kollektivverträge nicht anwenden, aber es gibt eben Unternehmen, die sich nicht daran halten.<BR /><BR /><b>Wird dann für jeden Beruf vorgeschrieben, wie hoch der Mindestlohn sein muss oder soll der Mindestlohn nur für jene Bereiche gelten, in denen es keinen Kollektivvertrag gibt? </b><BR />Tschenett: Der gesetzliche Mindestlohn wird für alle Bereiche kommen und er wird dann auch für jene Sparten gelten, wo die Mindestlöhne laut dem Kollektivvertrag unter 9 Euro brutto liegen. <BR /><BR /><b>Wird es bei 9 Euro bleiben oder könnte es mehr werden?</b><BR />Tschenett: In der EU-Bestimmung steht, dass man den Mindestlohn alle 2 Jahre anpassen sollte, und das müsste aus meiner Sicht schon auch im Gesetz verankert werden, um ständige Diskussionen zu vermeiden. <BR /><BR /><embed id="dtext86-54747385_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wird der gesetzliche Mindestlohn heuer noch kommen, wie von Arbeitsminister Andrea Orlando gewünscht, oder rechnen Sie mit einer langwierigen Diskussion?</b><BR />Tschenett: Ich rechne schon damit, dass das heuer noch kommt, auch weil sich die Position der Sozialpartner in den vergangenen Jahren etwas geändert hat. <BR /><BR /><b>Vor 3 Jahren waren sogar die Gewerkschaften dagegen….</b><BR />Tschenett: Das stimmt. Wir als ASGB haben uns damals schon angesichts der INPS-Zahlen dafür ausgesprochen, aber auf gesamtstaatlicher Ebenen haben die großen italienischen Gewerkschaften damals den gesetzlichen Mindestlohn noch nicht befürwortet. Sie haben argumentiert, es wäre besser, mehr Tarifverträge abzuschließen. Damit haben sie ja auch Recht, aber wenn das nicht möglich ist, dann soll der Mindestlohn gezahlt werden. Mittlerweile hat sich die Meinung der Gewerkschaften aber etwas geändert, ebenso wie jene der Arbeitgeberverbände. <BR /><BR /><b>Stichwort: Tarifverträge: Aktuell bereitet den Arbeitnehmern die hohe Inflation Sorgen. Wird es Kollektivvertragsverhandlungen mit Lohnaufbesserungen geben?</b><BR />Tschenett: Es braucht auf jeden Fall Lohnerhöhungen über die Kollektivverträge. Zudem ist es dringend erforderlich, die Steuern auf Arbeit zu reduzieren. Das wäre besser, als Boni wie den 200-Euro-Bonus zu verteilen. Denn die Steuern auf Arbeit zu reduzieren, würde allen etwas bringen – und das dauerhaft, während solche Boni nur kurzfristige Lösungen sind. In dem Punkt sind sich auch Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter einig. Es wird aber auf römischer Ebene mehr Druck von beiden Seiten brauchen. <BR /><BR />