Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte im zweiten Quartal so massiv zu wie seit 20 Jahren nicht mehr und feuerte damit auch die europäische Wirtschaft an. Statistiker sprechen erstmals wieder von einem Aufschwung, einzelne Ökonomen und Politiker gar von einem Sommermärchen. Andere hingegen warnen vor maßloser Euphorie: Das rasche Erholungstempo sei nicht durchzuhalten, der nächste Frust komme bestimmt.Das BIP schoss im zweiten Vierteljahr gegenüber dem ersten Quartal um 2,2 Prozent nach oben. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts vom Freitag ist das der größte Anstieg seit der deutschen Vereinigung 1990. Der zum Jahreswechsel 2009/2010 ins Stocken geratene Aufschwung der Wirtschaft habe sich damit eindrucksvoll zurückgemeldet, sagten die Statistiker. Gegenüber dem zweiten Quartal des vergangenen Krisenjahres stieg das BIP preisbereinigt um 4,1 Prozent und kalenderbereinigt um 3,7 Prozent. Den größten Anteil am Aufschwung hatte die Dynamik der Investitionen und des Außenhandels.Getrieben vom Konjunkturmotor Deutschland legte auch das BIP in EU und Eurozone im zweiten Quartal kräftig zu: Gegenüber dem ersten Quartal 2010 stieg die Wirtschaftsleistung in beiden Gebieten um 1,0 Prozent, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 1,7 Prozent. Im Quartalsvergleich ist das die höchste Wachstumsrate in vier Jahren. „Aufschwung XL“Der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sprach angesichts der Zahlen von einem „Aufschwung XL“. Obwohl man nicht von einem Wachstumswunder sprechen könne, habe sich die Erholung der Wirtschaft als weitaus kräftiger erwiesen, „als dies noch vor kurzer Zeit von vielen für möglich gehalten wurde“, sagte der Minister.Zusammen mit dem nach oben revidierten BIP-Anstieg der Vorquartale lasse die Dynamik des zweiten Quartals ein Wachstum von weit über zwei Prozent für 2010 in den Bereich des Möglichen rücken, sagte Brüderle weiter. In ihrem Jahreswirtschaftsbericht von Ende Jänner hatte die Berliner Regierung im Schnitt lediglich einen Anstieg um 1,4 Prozent prognostiziert.Warnung vor hohem EnttäuschungspotenzialDer Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnte angesichts des überraschend kräftigen Wachstums indes vor einem hohen Enttäuschungspotenzial. Bei allem berechtigten Optimismus sei das rasche Erholungstempo nicht zu halten, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. „Wir haben zudem kaum mehr als die Hälfte der Krisenverluste aufgeholt. Daher müssen wir jetzt weiter arbeiten, statt uns gegenseitig auf die Schultern zu klopfen.“Deutlich skeptisch äußerte sich auch der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. „Aus meiner Sicht erleben wir im Augenblick ein Zwischenhoch, das den sehr expansiven Maßnahmen der Fiskalpolitik und der Geldpolitik geschuldet ist“, sagte Bofinger „Zeit online“. Dem Volkswirt zufolge droht die Konjunktur schon bald wieder einzubrechen. „Was wir erleben, ist eine Bestätigung keynesianischer Theorie: Man kann durch den Staat in einer schweren Krise die Wirtschaft wieder drehen“, sagte Bofinger. Ziehe sich der Bund wieder aus der Wirtschaft zurückziehe, stoppe auch der Aufschwung.Vorsichtig gab sich auch das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Im Laufe dieses Jahres endeten die meisten Konjunkturprogramme, sagte Wissenschaftsdirektor Gustav Horn. Erst danach werde sich zeigen, ob die Wirtschaft nur eine Erholung nach der tiefen Krise erlebe, oder einen selbst tragenden Aufschwung. „Wir sehen da noch eine Menge Risiken“, sagte Horn. apa/apn