„Jetzt gilt es, den Boden für neues Wachstum zu bereiten“, sagt er. <BR /><BR /><b>Vom Schriftsteller Mark Twain stammt der Ausspruch: „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“ Mit Blick auf die Zeiten, die wir momentan erleben, scheinen historische Parallelen schwer zu finden. Helfen Sie uns doch bitte bei der Einordnung…</b><BR />Christoph Kaserer: Es ist die Kombination der verschiedenen Krisen, die die Situation so besonders und damit schwer vergleichbar macht. Einerseits gibt es da die Hauptkrise im Energiebereich, die ausgelöst wurde durch den Krieg in der Ukraine. Daneben koexistieren weitere Krisen, angefangen bei den Lieferkettenproblemen über die Inflation bis hin zu Corona. Alles ist mit allem verflochten. Zudem ist die Ursache der Hauptkrise nur bedingt beeinflussbar. Bei Corona war das anders, da war ziemlich schnell klar, dass die Lösung im Bereich technologisch-medizinischer Innovationen liegt: Eine Impfung gegen den Krieg gibt es nicht. Anders ausgedrückt könnte man sagen, dass wir während der Pandemie am Fahrersitz saßen, jetzt hingegen sind wir nur Beifahrer, haben es also nicht selbst in der Hand. <BR /><BR /><b>Die Politik ist darum bemüht, es eben nicht nach „Beifahren“ aussehen zu lassen. Beispiel Deutschland: Erst vor wenigen Tagen hat Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt, 200 Milliarden Euro für Bürger und Betriebe bereitstellen zu wollen, um die Folgen der Energiekrise abzufedern. Wie bewerten Sie diesen Vorstoß?</b><BR />Kaserer: Vieles hängt davon ab, wofür diese 200 Milliarden Euro nun eingesetzt werden. Weniger problematisch ist es, wenn das Geld als eine Form der Subvention eingesetzt wird, das heißt, dass die Stromrechnung von Unternehmen und privaten Haushalten für eine begrenzte Zeit nach unten gedrückt wird. Anders wäre es, wenn die Bundesregierung direkt auf dem Markt intervenieren möchte. Dann wäre es nämlich nichts anderes als ein Alleingang im europäischen Kontext, der zurecht von vielen anderen EU-Ländern kritisiert wird.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="818501_image" /></div> <BR /><BR /><b>Selbst wenn es sich „nur“ um eine Form der Subventionierung handelt, ruft Deutschland damit doch den Neid jener Staaten hervor, die sich derartige Milliardenpakete nicht leisten können, zum Beispiel Italien…</b><BR />Kaserer: Diese Gefahr ist da, keine Frage. Womit wiederum das Risiko einhergeht, dass die Ungleichheiten innerhalb der EU und der Eurozone größer werden könnten. Zum Nachteil vor allem der hochverschuldeten Staaten im Süden. Was wir zur Bewältigung der Energiekrise jetzt unbedingt benötigen würden, ist eine rasche Einigung auf gesamteuropäischer Ebene. Lokal und national sind die Spielräume sehr begrenzt.<BR /><BR /><b>Am Freitag haben sich die EU-Energieminister darauf geeinigt, dass Energiekonzerne einen Teil ihrer Krisengewinne an den Staat abgeben müssen. Dieses Geld soll dann dazu verwendet werden, um die Bürger in den Mitgliedsländern zu entlasten. Genügt das?</b><BR />Kaserer: Diese Maßnahme ist ja gut und recht, aber sie bringt in der aktuellen Situation wenig. Das Verfahren ist bürokratisch und dauert viel zu lange. Bis die Betriebe und Bürger davon etwas merken, ist es zu spät. Wir müssen den europäischen Strommarkt so rasch wie möglich drastisch regulieren und uns auf Höchstpreise einigen. Dazu zählt auch, dass der Strom- vom Gaspreis entkoppelt gehört. Mit dem Festhalten an marktwirtschaftlichen Prinzipien kommt man in dieser außergewöhnlichen Lage nicht weit. Um die temporäre Notlage zu überbrücken, muss Europa entschlossen eingreifen. Eine solche Regelung sollte nur vorübergehend eingeführt werden, also für maximal 2 Jahre. Das halte ich auch für ausreichend, aber sie muss schnell kommen, sonst werden die Folgen gravierend sein. <BR /><BR /><b>Nach einer Einigung sieht es bei dieser Frage aktuell noch nicht aus.</b><BR />Kaserer: Das stimmt schon, aber eine Einigung halte ich schon noch für möglich, zumal auch der Druck von außen täglich größer wird. Wir müssen was tun, sonst wird es zu Pleitewellen und Massenarbeitslosigkeit überall in Europa kommen. Samt aller sozialen und auch politischen Folgen, inklusive einer Radikalisierung größerer Teile der Bevölkerung. Ich habe übrigens bewusst vom Strom- und nicht vom Gasmarkt gesprochen, weil Europa in Sachen Strom unabhängiger ist und die Mittel hätte, regulierend einzugreifen, beim Gas ist das deutlich schwieriger.<BR /><BR /><b>Nun wissen wir, dass die Energiekrise maßgeblich dazu beiträgt, dass die Inflation derart hoch ist, in Südtirol und der Eurozone sogar zweistellig, und damit die Kaufkraft der Menschen dramatisch schwindet: Hätte die Strompreisregulierung also auch einen inflationsdämpfenden Effekt?</b><BR />Kaserer: Ja sicherlich, bis zu einem bestimmten Punkt jedenfalls. Dazu muss man sagen, dass nicht nur die Kostenexplosion an den Energiemärkten schuld an der hohen Inflation ist.<BR /><BR /><b>Sondern auch die Coronahilfen, die stark nachfragefördernd gewirkt haben…</b><BR />Kaserer: Richtig, diese wiederum hängen mit der Politik des billigen Geldes der Zentralbanken zusammen. Es wurde sehr viel Geld verteilt, weil es ja schließlich fast nichts kostete. Die Folge war, dass die Staatsverschuldung in vielen Ländern dramatisch angestiegen ist und die Inflation angeheizt wurde. Im Klartext: Die Inflation wäre nach Corona vor allem aus diesem Grund sowieso nach oben geklettert, die Energiekrise hat diese Entwicklung aber natürlich extrem verstärkt. Dazu kommt das zögerliche Verhalten der Europäischen Zentralbank in Sachen Zinswende, das Europa weitere Inflation gekostet hat. Der Euro war zuletzt im Vergleich zum US-Dollar deutlich unter der Parität, diese massive Entwertung müssen wir wohl zu wesentlichen Teilen der EZB-Politik zuschreiben.<BR /><BR /><b>Mittlerweile hat auch die EZB einen neuen Kurs eingeschlagen und den Leitzins auf 1,25 Prozent angehoben, weitere kräftige Zinsschritte werden erwartet…</b><BR />Kaserer: Ich kritisiere nicht den Umfang der Zinserhöhungen, sondern, dass sich die EZB so lange nicht getraut hat, aktiv zu werden. Die US-amerikanische Zentralbank Fed hat den Leitzins im März erhöht, die EZB erst im Juli. Sicherlich spielte da die Überlegung mit, dass die EZB hoch verschuldete Euroländer durch die teurere Refinanzierung nicht zusätzlich belasten wollte, aber unterm Strich war genau dieses Zögern dafür verantwortlich, warum der Euro so schlecht dasteht.<BR /><BR /><b>Hat die EZB etwas von ihrer Glaubwürdigkeit eingebüßt?</b><BR />Kaserer: Ja, so würde ich das schon sehen. Die EZB verfolgt als höchstes Ziel die Preisstabilität. Als die Inflationsrate vor einigen Jahren unter die Zielmarke von 2 Prozent rutschte, wurden sofort alle Schleusen geöffnet, um die Inflation nach oben zu bringen. In der aktuellen Krise reagierte man lange Zeit nicht, obwohl sich abzeichnete, dass die Inflationsrate weit über 2 Prozent liegen und auch eine Weile dort verharren könnte. Das sieht nicht nach unabhängiger Notenbankpolitik aus.<BR /><BR /><b>Halten Sie es für möglich, dass die EZB zeitnah zu einem abermaligen Kurswechsel gezwungen werden könnte, weil die Wirtschaft in eine tiefe Rezession rutscht? </b><BR />Kaserer: Es ist davon auszugehen, dass eine Rezession in Europa kommen wird. Daran zweifelt eigentlich niemand mehr. Und die steigenden Zinsen verstärken den Abschwung. Deshalb aber wieder die Zinsen zu senken, wäre fatal und würde die Glaubwürdigkeit der EZB auf lange Sicht beeinträchtigen. Erst muss die Inflation runter, und dazu wird auch eine sich abschwächende Wirtschaft ihren Beitrag leisten. Sobald dies geschehen ist, sollte man wieder ernsthaft über eine nachfragestimulierende Geld- und Fiskalpolitik nachdenken. Das heißt auch, dass wir uns alle auf einige herausfordernde Jahre einstellen werden müssen.<BR /><BR /><b>Wohlstandsverluste inklusive?</b><BR />Kaserer: Kurzfristig ja, schmerzfrei wird diese Phase nicht zu überstehen sein. Mittel- bis langfristig bin ich aber optimistisch. Derzeit wird der Boden für neues Wachstum bereitet. Die ökologische Transformation wird weitergehen und das in einem noch höheren Tempo als bisher. Daraus entsteht eine Vielzahl neuer Chancen.<BR /><BR /><b>Könnte sich dieser Prozess nicht verzögern, wenn die öffentlichen Kassen durch die aktuelle Energiekrise zusätzlich strapaziert werden?</b><BR />Kaserer: Nein, weil es primär nicht die öffentliche Hand ist, die mit Hochdruck am Umbau arbeitet, sondern es werden vor allem Investitionen von Unternehmen und privaten Haushalten sein, die die Energiewende und den ökologischen Umbau in Europa in den nächsten Jahren rasant voranbringen werden. Bis 2025 werden wir in vielen Bereichen enorme Fortschritte sehen. Davon bin ich überzeugt. Auch alle anderen Begleitkrisen werden sich nach und nach auflösen.<BR /><BR /><BR /><BR />