Nach zwei Tagen wurde Bilanz gezogen – von Marcegaglia und ihrem deutschen Kollegen Hans-Peter Keitel vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).„Wir kämpfen mit den gleichen Problemen“ Beide hielten vor allem eines fest: Während sich die politischen Realitäten in Deutschland und Italien stark unterscheiden, seien die wirtschaftspolitischen Realitäten dieselben.„Die deutsche und die italienische Wirtschaft sind sich sehr ähnlich. Nicht nur von der Struktur und der Ausrichtung. Wir haben die gleichen Projekte im Auge und kämpfen mit den gleichen Problemen“, betonte Marcegaglia.„Europa steht auf dem Spiel“ Ein Thema beschäftigt derzeit nicht nur Deutschland und Italien, sondern ganz Europa: Die Eurokrise.Laut Marcegaglia steht viel auf dem Spiel: Werde die Krise nicht endlich an der Wurzel gepackt, dann riskiere man das zu verlieren, was in den vergangenen sechzig Jahren in mühsamer Kleinarbeit in der Europäischen Union aufgebaut worden sei, warnte sie."Es geht nur gemeinsam, es geht nur als EU""Es geht jedoch nur gemeinsam, es geht nur als Europa. Das müssen wir uns vor Augen führen, das müssen wir besser und stärker kommunizieren. Ohne Europa, ohne Europäische Union, sind wir nicht überlebensfähig".Die Krise dürfe nicht kleingeredet, sondern müsse gelöst werden: Nicht mit rhetorischen Slogans, sondern mit konkreten Maßnahmen. Momentan werde sowohl auf europäischer, als auch auf nationaler Ebene noch zu wenig getan, kritisierte Marcegaglia und spielte dabei auf den am Sonntag stattfindenden Euro-Gipfel an.Vor allem in Richtung ihrer eigenen Regierung, dem Berlusconi-Kabinett, richtete sie den Appell dahingehend zu intervenieren und effiziente Anti-Krisen-Maßnahmen zu ergreifen.„Sorge bereitet mir vor allem die Vertrauenskrise, die derzeit unser Land erschüttert: Diese wirkt sich auf alle Lebenslagen, nicht zuletzt auch auf die Wirtschaft aus“, betonte sie.„Wir sind am Höhepunkt der europäischen Krise“Ihr deutscher Kollege, Hans-Peter Keitel, blickt mit ähnlich sorgenvollem Blick auf die derzeitigen Entwicklungen. „Wir sind am Höhepunkt der europäischen Krise“, brachte er seine Bestandsaufnahme auf den Punkt.Die Politik bekäme nun den Spiegel ihrer Arbeit präsentiert. „Wir Unternehmen sind es gewohnt, dass die Märkte auf unsere Arbeit reagieren, uns den Spiegel vorhalten. Die Politik muss nun in diesen Spiegel blicken, aus Fehlern lernen, in die Zukunft investieren und wieder für eine feste Basis sorgen“, appellierte er in Richtung Politik-Vertreter.Für kleinkariertes, nationalistisches Denken sei kein Platz mehr: „Die Zeiten, in denen die Politik an den Grenzen Halt gemacht und der Staat nur auf sein Inneres geblickt hat, sind vorbei. Sowohl die Arbeit der Unternehmen als auch die Arbeit der Staaten sind grenzenlos geworden.“Absage an einheitliche gelenkte Wirtschaftspolitik aus Brüssel Eine klare Absage erteilte der BDI-Präsident einer einheitlich gelenkten Wirtschaftspolitik aus Brüssel: Deutschland sei für eine koordinierte, aber nicht für eine standardisierte europäische Wirtschaftspolitik. Die EU müsse in der Vielfalt stärker werden, die Einheit in der Vielfalt ausbauen, keinesfalls aber die Vielfalt aufgeben, appellierte er.Dass Deutschland, als größter EU-Nettozahler, in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise eine schwere Bürde zu tragen habe, bestätigte Keitel. Er machte aber auch klar, dass auch seine Heimat an Grenzen stoße.„Auch Deutschland hat eine zu hohe Verschuldung und leidet unter den Finanzkrisen. Der Rettungsschirm für EU-Länder mit Liquiditätsproblemen kann nicht x-beliebig ausgebaut werden. Das haben wir Brüssel kommuniziert, nur ist diese Botschaft in der EU noch nicht zur Gänze angekommen“, kritisierte er.Fazit des ersten Deutsch-Italienischen Business-Forums Ziel des ersten Deutsch-Italienischen Business-Forums war es, die bilateralen Kontakte zwischen Italien und Deutschland auszubauen, sich persönlich besser kennenzulernen. Ein Vorsatz, der umgesetzt werden konnte, bestätigten Keitel und Marcegaglia.Abseits der Beratungen zur Euro-Krise habe man den Fokus auch auf neue Absatzmärkte gerichtet: auf Nordafrika, vor allem auf Ägypten. China sei derzeit mit „aggressiver Politik" unterwegs, diesen Markt zu erorbern. Sowohl Keitel als auch Marcegaglia warnten davor, hier als EU nicht den Anschluss zu verlieren.Nicht nur deshalb will man in den kommenden Jahren alljährlich nach Bozen zurückkehren, um über anliegende wirtschaftspolitische Themen zu diskutieren. „Bozen ist ein idealer Standort dafür, schon allein, weil die Stadt sowohl die deutsche, als auch die italienische Kultur in sich birgt“, hielt Marcegaglia fest.Lob für die Veranstalter Für die Veranstalter, allen voran für den Südtiroler Unternehmerverband und dessen Präsident Stefan Pan, gab es ein dickes Lob. Man habe sich in Bozen sehr wohl gefühlt, die zwei Tage seien zu einer „Familienfeier“ geworden, bei der sehr offen, sehr freundschaftlich und sehr direkt über zahlreiche brisante Themen gesprochen worden sei, bedankte sich Keitel abschließend.Johanna Gasser