In Zeiten des Lockdowns im Frühjahr haben die Südtiroler zuhause mehr Wein getrunken als sonst. Einer von wenigen Lichtblicken für die Südtiroler Weinwirtschaft im Jahr 2020. Tobias Zingerle, der Geschäftsführer der Kellerei Kaltern, spricht über die Erfahrungen der Kellerei im Ausnahmejahr und seinen Blick auf die Zukunft. <BR /><BR /><BR /><i>Von Rainer Hilpold</i><BR /><BR /><BR /><b>Herr Zingerle, stimmt es, dass die Menschen im ersten Lockdown zu Hause deutlich mehr Wein getrunken haben als sonst?</b><BR />Tobias Zingerle: Ja, das stimmt tatsächlich. Wir haben einen regelrechten Boom gespürt. Viele haben die Zeit im Frühjahr genutzt, um Zuhause zu kochen, dabei wurde auch mehr Wein getrunken. Aktuell, mitten in der zweiten Welle, ist von diesem Trend allerdings nichts mehr zu spüren, jetzt haben die allermeisten Menschen einfach nur genug von Corona, der romantische Aspekt ist passé. <BR /><BR /><BR /><b>Die Weinwirtschaft wurde von Corona erfasst, kurz bevor die wichtigsten Branchenmessen anstanden: die „ProWein“ in Düsseldorf und die „Vinitaly“ in Verona. Was bedeutete das für Ihre Kellerei?</b><BR />Zingerle: Zunächst glaubten wir alle nicht so recht daran, dass Corona tatsächlich zu einer Bedrohung werden könnte. Eher gingen wir davon aus, dass es sich um eine Sensationsmeldung handelte, so wie einst bei der Schweinegrippe oder der Vogelgrippe. Wenige Wochen später, als sich abzeichnete, was Corona für Folgen mit sich bringt, waren wir geschockt. Es folgte eine Phase, in der wir uns grob zu orientieren versuchten. Das heißt: Wir suchten nach Lösungen, um die Folgen für Mitarbeiter einzugrenzen bzw. gerecht zu verteilen. Es war ja so, dass einzelne Abteilungen, etwa die Lohnbuchhaltung und die Qualitätssicherheit in der Lockdown-Zeit besonders viel zu tun hatten, während Mitarbeiter im Außendienst und in den Geschäften der Kellerei ihre Arbeit ruhen lassen mussten. Da eine solidarische Regelung zu finden, war auch rechtlich nicht leicht umzusetzen. <BR /><BR /><BR /><b>Was änderte sich durch Corona im Absatz der Weine, schließlich produziert die Kellerei Kaltern an die 3,5 Millionen Flaschen im Jahr?</b><BR />Zingerle: Was das Firmenkundengeschäft angeht, war und ist 2020 ein sehr schwieriges Jahr. Bis auf die Monate Juli, August und September, die erstaunlich gut liefen, teilweise sogar besser als im Vorjahr, gab es ein dickes Minus, vor allem im Bereich Hotellerie und Gastronomie. Auch war schnell klar, dass an irgendeine Form von Neugeschäft in diesen Segmenten nicht zu denken war. <BR /><BR /><b>Die Kellerei Kaltern verkauft einige Weine auch in Supermärkten: Konnte wenigstens dieser Kanal des Privatkundengeschäfts gerettet werden?</b><BR />Zingerle: Ein kleiner Teil unseres Umsatzvolumens läuft über den Lebensmitteleinzelhandel. Die Geschäfte liefen nicht schlecht, aber große Sprünge machten wir nicht, zumal wir preislich in der eher gehobenen Kategorie positioniert sind. Profitiert haben vor allem Anbieter von Weinen im unteren Preissegment, zu denen wir nicht gehören.<BR /><BR /><embed id="dtext86-47168680_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Haben Sie nie überlegt, die Preispolitik vorübergehend anzupassen?</b><BR />Zingerle: In der Not haben wir mehrere Optionen diskutiert, auch einen Strategiewechsel. Aber ein verstärkter Fokus auf den Lebensmitteleinzelhandel ist nicht das, was wir als Kellerei anstreben wollten. Vielmehr suchten wir nach Wegen, irgendwie gut durchzukommen. Gerettet hat uns letztlich der Online-Verkauf. <BR /><BR /><BR /><b>Den Sie selbst betreiben oder läuft das Geschäft über Dritte?</b><BR />Zingerle: Einerseits verkaufen wir direkt, andererseits über Verkaufsportale von Fachhändlern. Wir haben als eine der ersten Kellereien in Südtirol schon vor 10 Jahren einen Online-Shop eingerichtet. Davon profitierten wir in Coronazeiten massiv: Aufs Jahr gerechnet haben sich unsere Verkäufe über den digitalen Kanal mehr als verdreifacht.<BR /><BR /><b><BR />Und das in dem doch sehr traditionellen Markt Wein…</b><BR />Zingerle: Viele unserer Kunden gehörten bis Corona nicht zu den klassischen Online-Käufern. Mit den Erfahrungen, die sie im Laufe des Jahres gemacht haben, sind sie es aber geworden. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Online-Kanal auch langfristig immer wichtiger werden wird. Durch Corona hat er einen gewaltigen Schub erhalten. Der starke Online-Verkauf hatte in diesem Jahr einen weiteren positiven Nebeneffekt: Er sicherte die Beschäftigung für zahlreiche Mitarbeiter in der Kellerei. <BR /><BR /><BR /><b>Die Kellerei Kaltern profitiert in Nicht-Coronazeiten sehr stark vom Weinverkauf an Touristen – über die 2 Detailhandelsgeschäfte, die Hotellerie und Gastronomie. Hat sich Ihr Blick auf den Tourismus durch Corona verändert?</b><BR />Zingerle: Nein, mir war eigentlich immer klar, dass wir alle enorm vom Tourismus abhängen. Und doch glaube ich, dass die Zeit mit wenig bzw. gar keinem Tourismus vielen Südtirolern ein Stück weit die Augen geöffnet hat. Viele haben erst so gemerkt, was das konkret bedeutet: nämlich weniger Einnahmen, weniger Arbeit usw. Der Tourismus ist für den Wohlstand unerlässlich. Das heißt nicht, dass wir künftig Themen wie Overtourism nicht unbedingt angehen müssen, allerdings ohne eine grundsätzliche Verteufelung der Branche. <BR /><BR /><embed id="dtext86-47168404_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wann sind Sie 2020 eigentlich das letzte Mal beruflich verreist?</b><BR />Zingerle: Das war kurz vor dem Lockdown, ich bin für einen Tag nach Holland geflogen. Nach einer Stunde Meeting mit einem Kunden, ging´s wieder retour. Heute weiß ich, dass solche Reisen reine Verschwendung sind – von Zeit und anderen Ressourcen. Der persönliche Kontakt ist wichtig, wenn es um ein so emotionales Produkt wie Wein geht, aber sicher nicht in dem Ausmaß wie vor der Krise. Corona war also in mehrerlei Hinsicht ein Augenöffner. <BR /><BR /><BR /><b>Was hat Sie abgesehen vom Siegeszug der digitalen Möglichkeiten in diesem Jahr am meisten überrascht?</b><BR />Zingerle: Da gab es 2 Dinge: Erstens war und bin ich überrascht, wie schnell man sich als Mensch ans Daheimbleiben gewöhnen kann. Oder ganz allgemein ans Herunterfahren des sozialen Lebens. Ich singe in meiner Freizeit im Chor. Das gemeinsame Singen fehlt uns zwar sehr, aber meine Befürchtung ist, dass durch dieses Coronajahr einiges von diesem ehrenamtlichen Engagement in den Vereinen auf der Strecke bleiben könnte. Schlicht weil man sich an das Leben fast ohne Vereine gewöhnt hat.<BR /><BR /><BR /><b>Zweitens?</b><BR />Zingerle: Erstaunt hat mich auch, wie viele Einschnitte der Mensch bereit ist, hinzunehmen, wenn er das Gefühl hat, dass sie notwendig sind, um eine ernste Krise zu überwinden. Wenn wir als Gesellschaft beim Kampf gegen den Klimawandel den selben Veränderungswillen an den Tag legen würden, hätten wir auch dieses große Problem der Menschheit binnen kürzester Zeit gelöst. Nur fehlt dafür noch das Bewusstsein – auch bei der Politik.<BR /><BR /><b><BR />Wie meinen Sie das?</b><BR />Zingerle: Es braucht mutige Schritte im Bereich der Nachhaltigkeit – und zwar auf allen Ebenen. Wenn die Politik so stark auf die Wissenschaft vertrauen würde, wie in Coronazeiten, dann wären längst konkrete Schritte gesetzt worden. Stattdessen fehlt einfach der Mut. Ich hoffe, das ändert sich in Zukunft – durch Corona.<BR />