<BR /><b>Frau Castegnaro, welche Fehler in der Mitarbeiterführung begegnen Ihnen immer wieder – bei denen Sie sich nur wundern können?<BR /></b>Gabriele Castegnaro: Als ich 2021 ausgestiegen bin (bis 2021 hat Castegnaro 20 Jahre den Familienbetrieb Konen geleitet und dann an das Modehaus Breuninger verkauft. Anm.d.Red.), dachte ich, das Thema Patriarchat sei von vorgestern, das gäbe es nicht mehr. Aber: Es ist so aktuell wie eh und je. Ich berate mit meinem Netzwerk immer gleichzeitig vier Unternehmen aus den verschiedensten Branchen. Und auch da zeigt sich wieder: Alle sind irgendwie patriarchalisch geprägt. Das sind alles hochengagierte Unternehmer, die auf ihrem Fachgebiet fantastisch sind. Aber sie holen sich Inputs zu zeitgemäßer Führung.<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1167579_image" /></div> <BR /><BR /><b>Warum holen diese Unternehmer Sie als Beraterin?</b><BR />Castegnaro: Sie sehen, dass es mit den Mitarbeitern nicht gut läuft – und vor allem sehen sie, dass ihnen die guten Leute davonlaufen. Oft gibt es auch einen Generationswechsel im Betrieb: Jüngere Menschen in den Dreißigern, die aus einem Fachgebiet kommen, steigen in die Firma ein. Sie selbst kennen aber nur das Patriarchat. Diese jungen Menschen wollen es oft anders, wissen aber nicht, wie es geht. Es braucht also eine gewisse Aufgeschlossenheit – und meistens einen Leidensdruck.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-69950572_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>War das bei Ihnen auch so? Sie haben ja auch Ihren Familienbetrieb, das Modehaus Konen in München, von einer klassisch patriarchalischen zu einer modernen Führung transformiert.</b><BR />Castegnaro: Bei uns war das tatsächlich eher ein Zufallsprodukt. Unser Ausgangspunkt war eigentlich das Thema Kundenversprechen.<BR /> Wir wollten die Kunden anders behandeln. Also ließen wir uns von unserer Beraterin überzeugen, dass der Kunde heute Großzügigkeit und Vertrauen braucht – und dass man seine Bedürfnisse erspüren soll. Zunächst habe ich das – sehr naiv – in Notizen formuliert: „Ihre Arbeitspflichten konkretisieren sich wie folgt: Sie haben ab jetzt die Bedürfnisse zu erspüren.“ Geändert hat sich natürlich nicht viel. Heute sage ich, ich hätte da mal auch ein paar Führungskräfte miteinbeziehen können und besser mündlich und nicht schriftlich kommuniziert und Vieles mehr. Der Wendepunkt kam dann in unserer Kantine, wo ich ein Aha-Erlebnis hatte. Ich habe gemerkt, wie schlecht die Mitarbeiter behandelt werden. Sie durften nicht einmal eine Beilage wechseln, ohne dass die Mitarbeiterin in der Kantine gleich laut wurde. In dem Moment war mir klar: Die Mitarbeiter können nur dann die Kundenbedürfnisse erspüren und erfüllen, wenn wir ihre Bedürfnisse erspüren und erfüllen. Und so haben wir uns auf den Weg gemacht – hin zu mehr Nähe und Partizipation.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-69950578_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Aber dieser Prozess war nicht einfach. Sie haben beim Südtiroler Führungsforum in Bozen von einer einschneidenden Episode berichtet: Sie haben zu Mitarbeitergesprächsrunden geladen und wollten sich über die Kunden austauschen – und die Reaktion war ...</b><BR />Castegnaro: …dass sich all der angestaute Frust entladen hat. Was da alles hochkam: nur Kleinkram und kindisches Gemeckere: Der Boden ist zu hart, die Musik zu laut, der Aufzug zu langsam, und das Toilettenpapier passt auch nicht. Ich war erst einmal beleidigt und sauer. Ich habe die Gesprächsrunde dann an dem Punkt abgebrochen. Ich hatte den Eindruck, die nehmen mich nicht ernst. Wir haben so viel aufgebaut und die kommen mit solchen Kritikpunkten daher. Ich habe das nicht verstanden. Meine Beraterin hat mich dann beiseitegenommen und mir gesagt, dass die Menschen eine ganz andere Perspektive haben – und dass all das, was da passiert ist, nicht gegen mich gerichtet war. Mir ist dann auch klar geworden: Nur wenn ich mich auch mit den Emotionen der Mitarbeiter beschäftige, sie ganzheitlich mitnehme, werde ich sie irgendwann als Leader richtig führen können. <BR /><BR /><b>Gut, aber wie macht man dann weiter?</b><BR />Castegnaro: Indem man den Mitarbeitern erklärt, worum es eigentlich geht – und das Thema darauf lenkt, warum man im Unternehmen ist. Es ist eben wichtig, sich mit dem Kunden zu beschäftigen. Und wenn dann etwas fehlt, um das zu erfüllen, was wir erreichen wollen, dann müssen wir uns damit auseinandersetzen. Der ganze Frust, der bei mir abgeladen worden war, war ein Schrei, gesehen und gehört zu werden – ein Signal: „Ihr kümmert euch nicht um uns.“ Als wir das verstanden hatten, haben sich die Dinge verändert. Ob wir dann tatsächlich das bessere Toilettenpapier aufgehängt haben, weiß ich gar nicht mehr. Aber je tiefer und näher wir gekommen sind, desto mehr sind solche Themen verschwunden. Einfach, weil wir mehr erklärt und die Leute mitgenommen haben.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-69950683_listbox" /><BR /><BR /><BR /><b>Wenn in einem Betrieb eine patriarchalische Kultur vorherrscht, kann es natürlich auch sein, dass sich die Menschen an der Unternehmensspitze in ihrer Rolle als Patriarch und Kontrolleur ganz wohlfühlen...<BR /></b>Castegnaro: Sicher. Aber die berate ich nicht. Wenn ich merke, dass das Menschenbild zu negativ ist und die tiefe Überzeugung besteht, dass die Mitarbeiter alles faule Idioten sind, die sowieso nicht arbeiten wollen – dann hat eine Beratung keinen Sinn.<BR /><BR /><b>Was bringt es überhaupt, zu einem modernen Führungsstil zu wechseln?<BR /></b>Castegnaro: Ich würde sagen: Heute ist das unerlässlich. Sie finden sonst keine Mitarbeiter mehr – ganz einfach. Wenn Sie die Kultur verändern, die Menschen ernst nehmen und alles, was von den Mitarbeitern kommt, aufnehmen und transformieren, dann kann etwas Tolles und Neues entstehen. Und das ist eigentlich das, was sich jeder wünscht. Jeder Mitarbeiter möchte gesehen werden. Das ist entscheidend.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-69950685_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Aber Sie sagen selbst: Ihr Vater hat das Unternehmen patriarchalisch geführt und den Betrieb lange sehr gut geleitet. Warum ist patriarchalische Führung dann falsch – oder ist sie einfach nicht mehr zeitgemäß?</b><BR />Castegnaro: Nun, früher gab es nichts anderes. Das Patriarchat war der Führungsstil der Stunde. Und es ist nicht per se schlecht – aber heute nicht mehr zeitgemäß. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Früher hat der Chef – wie mein Vater – sehr einsam entschieden, alle Informationen ausgewertet, alles nach schriftlicher Aktenlage und nach Zahlen entschieden. Das geht heute nicht mehr. Die Welt ist viel zu komplex und so nicht mehr beherrschbar. Deshalb braucht man Mitarbeiter mit all ihren unterschiedlichen Talenten, die sie in den Betrieb einbringen. Das habe ich recht schnell verstanden: Dass die Mitarbeiter uns bereichern – und dass es mein Job ist, das Ganze zusammenzuführen und ihm einen Rahmen zu geben. Denn sonst haben wir Anarchie. Und was auch wichtig ist: Mitarbeiter brauchen Orientierung. Man muss ihnen sagen, was geht und was nicht – und was man von ihnen erwartet. Ich erlebe es in meinen Beratungsprojekten immer wieder, dass die Leute in einem luftleeren Raum schweben: Kann ich jetzt Homeoffice machen? Kann ich es nicht machen? Ich werde böse angeschaut vom Chef... Als Chef muss ich vorher sagen, ob es in Ordnung ist oder nicht. Das verstehe ich auch unter „auf Augenhöhe kommunizieren“. Man kann nicht im Nachhinein kommen und sagen: Das war falsch. Das beste Argument, um heute Mitarbeiter zu halten, ist eine starke Unternehmenskultur, die auf Ehrlichkeit beruht – in der die Dinge ausgesprochen werden, in der mit den Menschen geredet wird, anstatt über sie.<BR /><BR /><b>In Ihren Beratungen sprechen Sie – wenn möglich – auch mit allen Mitarbeitern des Betriebs. Woran fehlt es am häufigsten?</b><BR />Castegnaro: An der Kommunikation und der Klarheit. Also: Mein Chef grüßt mich nicht, ich weiß nicht, wer mein Vorgesetzter ist. Die Regeln gelten nur für die einen, für die anderen nicht. Ungleichbehandlung ist auch oft ein Thema. <BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1167582_image" /></div> <BR /><BR /><b>Was war für Sie das Schwierigste, als Sie Ihren Familienbetrieb transformiert haben?</b><BR />Castegnaro: Meine eigenen Befindlichkeiten – und meine eigene Unprofessionalität. Ich habe alles persönlich genommen. Und ich habe – wie die meisten – von mir auf andere geschlossen. Erst über viele Jahre habe ich gelernt, dass die Menschen in einer ganz anderen Welt aufgewachsen sind, ganz andere Erfahrungen und Hintergründe haben – und dass jeder in seinem Horizont einen wichtigen Beitrag leistet. Oder eben nicht. Aber dann muss man sich trennen. Das war für mich das Schwierigste: aus diesem „Ich nehme alles persönlich“ und „Jeder muss so ticken wie ich“ herauszukommen. Das beobachte ich auch bei meinen Mandanten.<BR /><BR /><b>Was war eigentlich Ihre wichtigste Lektion?<BR /></b>Castegnaro: Dass es ein Geschenk ist, sich mit anderen Menschen in einer Gemeinschaft, die auf ein Ziel hinarbeitet, weiterentwickeln zu dürfen. Am Anfang dachte ich, ich müsste die Mitarbeiter kontrollieren, hinter ihnen her sein. Ich musste erst erkennen, dass auch ich Fehler mache und auf Menschen in einer Weise zugehe, die nicht förderlich für moderne Führung ist – dass ich viel zu vorurteilsbeladen und streng bin. Als ich mich dann öffnen durfte und erkannt habe, dass ich als Mensch okay bin, war das für mich etwas ganz Befreiendes. Und etwas ganz Tolles. Man kommt dann mit den Mitarbeitern auf eine ganz andere Basis als diese klassische Chef-Mitarbeiter-Ebene: Wir sind beide an einem gemeinsamen Ziel interessiert, und jeder hat eine bestimmte Rolle, um dieses Ziel zu erreichen. Ich sehe mich menschlich nicht über irgendjemanden – sondern eher als Dirigentin, als diejenige, die das Ganze zusammenhält. Andere haben andere Rollen: Der eine verkauft, der andere kauft ein, der nächste ist in der Logistik. Und jede Rolle ist wichtig.