Schnee, Eis, Kälte, Stille, aber viel öfter der heulende Wind sind die Arbeitskollegen der Staudammwächter am Grünsee, einem der 5 Alperia-Stauseen in Ulten. Ganz auf sich gestellt, überwachen sie den 423 Meter langen Damm, der dem Wasser standhalten muss. <i><BR /><BR /><BR />Von Luise Malfertheiner</i><BR /><BR /><BR />Das kleine Wächterhaus neben der Höchster Hütte hat eine Schaltwarte, Küche, Stube und 5 kleine Zimmer unterm Dach – eines für jeden Wächter. An diesem Tag ist der Ultner Bernd Staffler im Dienst – 34 Jahre jung, von Beruf Elektriker und seit 8 Jahren Staudammwächter. Mit Ronald Kainz, Thomas Zöschg, Fabian Gruber und Michael Schwienbacher ist er einer der 5 Wächter am Grünsee. <BR /><BR />Alle 24 Stunden wechseln sie sich ab, es sei denn, das Wetter wirbelt die Dienstpläne durcheinander. Wie im vergangenen November. Da schüttete es, als wären die Schleusen des Himmels offen, oder bei den starken Schneefällen um den Nikolaustag. Die Straße nach Weißbrunn gesperrt, die Seilbahn außer Betrieb und an Hilfe aus der Luft nicht zu denken. Dann heißt es: Allein ist der Wächter. Und das kann dauern – das letzte Mal 5 Tage. <BR /><BR />Angst macht das keinem. „Vorsichtig sind wir aber schon, dass wir uns nicht verletzen, weil es keine Hilfe gibt“, sagt Bernd. Da spült er Messer vorsichtig separat. „Sogar eine Schnittwunde könnte gefährlich werden.“<BR /><BR /><b>Der urige Dammwächter Helmut</b><BR /><BR />Gern erinnern sich die Jungen an den alten Dammwächter Helmut, einen urigen Ultner, den das Wetter einmal etliche Tage auf der Höchster Hütte einsperrte. Immer wieder wurde er besorgt vom Tal aus angerufen, ob es ihm gut gehe. „Mir fahlt do nicht“, wiederholte Helmut Tag für Tag in seiner langsamen Art. Das ging 3, 4 Tage so, bis zum fünften Tag. „Bis morgn zu Mittog hon i no Zigarettn, donoch miaßt es mir a poor owerfn.“ Der Zigaretten-Not war ärger als das Eingeschneit sein.<BR /><BR /> „Mir werdn olle wie der Helmut“, sagt Bernd und grinst. Fehlt ihm denn nicht, mit jemandem reden zu können? „Oft isch es direkt fein, wenn i net redn muaß“, sagt’s und lacht übers ganze Gesicht. Mit den Kollegen der anderen 4 Staudämme kann man telefonieren. „Aber mir ist fast lieber, von niemandem etwas zu hören“, sagt Bernd. Nicht weil er ein „Ungustl“ wäre, sondern weil er mit sich selbst gut auskommt.<BR /><BR />Auch Heiligabend hat Bernd alleine oben verbracht. „Ich habe noch keine Familie, andere Kollegen schon. Diesmal habe ich mir einen kleinen Christbaum heraufgenommen und meine Mama hat mir Essen mitgegeben. Nicht der Rede wert.“<BR /><BR /><b>Handwerkliches Können ist gefragt</b><BR /><BR />Wäre es nach dem früheren Besitzer, der ENEL, gegangen, hätte der Dammwächter mindestens einen Studientitel haben müssen. „Dabei brauchen wir Leute, die die Wildnis gewöhnt sind. Wir brauchen keinen Computerspezialisten, sondern jemanden, der eine Leitung reparieren, einen Baum umsägen und mit der Schneeschaufel umgehen kann. Alleskönner statt Superexperten, weil sie neben ihrem Wächterdienst im Tal für die Wartungsarbeiten der Kraftwerke und die Beifassungen zuständig sind“, sagt Oswald Mairhofer, Koordinator aller 18 Ultner Staudammwächter. Deren gemeinsamer Nenner seien Naturverbundenheit, umgängliches Wesen, Kollegialität. „Und ein Wächter muss damit umgehen können, auf sich allein gestellt zu sein“, betont Oswald.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="617750_image" /></div> <BR />Nicht jeder Damm-Riese kriegt einen Wächter, entweder er staut mindestens eine Million Kubikmeter Wasser oder hat 15 Meter Dammhöhe.<BR /> Der Grünsee-Damm ist ein trapezförmiger aus Stein, erbaut 1963 und abgedichtet mit Blech. Er staut 7 Millionen Kubikmeter Wasser – 7 Milliarden Liter. Zum Vergleich: Der Arzkar-Stausee staut 13 Millionen Kubikmeter, der Zoggler-Stausee 33.<BR /><BR /><b>„Jeder Damm ist anders“</b><BR /><BR />„Jeder Damm hat sein fixes Team, weil jeder völlig anders ist. Wer Damm wechselt, muss geschult werden“, sagt Mairhofer. Eine „Tagschicht“ umfasst 24 Stunden, 8 normaler Arbeitstag und 16 Stunden Bereitschaftsdienst. Nach 17 Uhr übernimmt die Fernleitstelle in Kardaun. <BR />Geht dort eine Störungsmeldung ein, wird sie ausgewertet, sofort an den Wächter weitergeleitet, der das Problem beseitigt. <BR /> „Geahsch aui zu liegn“, wird manchmal im Tal gelästert. Aber Liegen ist nicht drinnen. Bei Dienstantritt um 8 Uhr steht die Kontrolle der Seilbahn an, die den Wächter zur Arbeit bringt. Dann gilt es den Mitternachtsreport nach etwaigen Anomalien zu durchforsten. Weiter geht’s mit Wasserstand messen, in einem klaustrophobisch kleinen Aufzug 60 Meter hinab zum Dammfuß, Drainagewasser messen, Schleusen überprüfen, Dammbewegungen messen. Ist der Stausee voll, neigt sich der Damm vor, bei wenig Wasser geht er zurück. Alles im Millimeter-Bereich. Und die Antennen gilt es in Schuss zu halten. Neben Glasfaseranschluss auf 2500 Metern Meereshöhe (!) dienen die Antennen zur Kommunikation und Alarmmeldung. <BR /><BR /><b>Warum Luft in den See gepumpt wird</b><BR /><BR />Zentral am Grünsee ist im Winter die Kompressorstation, die Luft in den See pumpt, damit das Wasser an der Staumauer in Bewegung bleibt. Es gilt absolut zu verhindern, dass Eis am Abdeckungsblech festfriert und das Blech beim Absenken des Pegelstandes beschädigen oder gar wegreißen könnte. Wenn der Damm und das Blech im Sommer gewartet werden, machen sich die Wächter einen Spaß daraus und erklären „wundrigen“ Wanderern, dass über die Druckrohre Luft ins Wasser gepumpt werde, weil das Wasser in dieser Höhe so sauerstoffarm sei, dass fürs Überleben der Fische Sauerstoff in den See gepumpt werden müsse. <BR /><BR />Aber zurück zum Winter: „Oft geht so ein Wind, dass man nicht mehr vor die Tür gehen kann“, sagt Bernd. Deshalb wird der Riese unterirdisch überwacht. Wie bei einem Maulwurfsbau ist alles Wichtige unterirdisch erreichbar – der Damm und die Seilbahn für den Nachschub. „Und der Winter ist lang. Frühjahr, Sommer und Herbst teilen sich die Zeit von Juni bis Oktober“, sagt Mairhofer trocken.<BR /><BR /><b>Wilde Tiere zu Besuch</b><BR /><BR />Da beginnt der Arbeitstag schon um halb 6 Uhr morgens, weil der Wind soviel Schnee in die Seilbahn-Bergstation gepresst hat, dass der Wächter Stunden lang schaufelt, damit seine Ablöse überhaupt „landen“ kann. Und im kurzen Sommer? „Da wimmelt es. Da müssen wir die Hüttentür zusperren, sonst gibt’s ungebetenen Besuch“, sagt Bernd und lacht.<BR />Die Höchster Hütte ist aber nicht nur Job, sondern auch Schule fürs Leben. Putzen, kochen – allein ist der Wächter auch da. Die Meisten können sich bei Job-Antritt kaum ein Spiegelei braten. Aber weil Not erfinderisch macht, mausern sie sich zu kleinen Küchenmeistern. Wen wundert’s, dass Bernd sogar Hasenbraten drauf hat.<BR /><BR />Und die Höchster „Köche“ haben spezielle Kostgänger. „Ich werfe nichts weg. Was übrig bleibt, wird auf den Balkon gebracht. Da kommen dann Fuchs, Marder oder Hermelin bis herauf zum Balkongeländer und fressen die Essensreste auf. Großartiger Besuch“, sagt Bernd. Auch ein Wolf war schon da. <BR />Apropos Fuchs: Seinen pensionierten Kollegen war es sogar gelungen, einen Fuchs mit Essen bis in die Stube zu locken, um sich dort schnell eine Scheibe Wurst von der Messerklinge zu schnappen. Schaute er einmal nicht vorbei, ging er ihnen ab.<BR /><BR /><b>Verwurzelt mit dem Tal</b><BR /><BR />Hütte wie Damm, Aggregate und Kompressor, Aufzug, Seilbahn und Tunnels sind perfekt in Schuss, blank und sauber als wäre das Bauwerk erst vor wenigen Jahren errichtet worden. „Jedes ,Türl„, jede Maschine, jede Leitung wird gewartet, als wär’s das Eigentum der Wärter“, sagt Mairhofer. „Natürlich machen wir das gewissenhaft“, stellt Bernd fest, „wir wohnen ja alle darunter.“ Diese Verwurzelung mit dem Tal mache das Ultner Team aus. Sie leben ihren Beruf. Rauscht ein Bach lauter als sonst, führt er zu viel oder zu dreckiges Wasser, wird sofort bei der „Inkehr“, die Wasserfassung fürs E-Werk, nachgeschaut.<BR /><BR />Die Ultner haben längst Frieden gemacht, dass italienische Firmen Ulten in den 1960ern mit Dämmen und Stromleitungen zwangsbeglückt haben. „Vielen Ultnern bescherte das Arbeit und Einkommen. Sie konnten sich ein Häusl bauen, ihre Familie ernähren“, sagt Mairhofer.<BR />Staudämme werden mitunter als Gefahrenquelle gesehen; weniger, dass sie auch Speicherbecken sind, die Wassermassen zurückhalten und die Dörfer schützen, wenn es wie aus Kübeln regnet. „Dann halten wir Wasser zurück, so viel es nur geht“, sagt Mairhofer.<BR /><BR /><b>Oft extremes Wetter</b><BR /><BR /> Mensch und Elektronik sind da gefragt. „Das Digitale und Automatische kann immer versagen. Geschweige denn, wenn das Wächterhaus von der Außenwelt abgeschnitten ist, der Strom ausfällt. Dass extreme Wetterereignisse immer öfter vorkommen, möchte ich nicht unbedingt sagen. Aber dass die Intensität der Unwetter immer unberechenbarer wird, haben wir in den letzten Jahren wiederholt feststellen müssen. Niederschläge und Sturmböen, wie wir sie im Tal nicht gewohnt sind. Genau in diesen Augenblicken braucht es den Wächter dort oben, der mit seiner Erfahrung die Anlage im Griff hat“, sagt Mairhofer.<BR />