Die interessanten Ergebnisse besprechen wir im ausführlichen Interview mit Bausch. <BR /><BR /><b>Wie geht man vor, um die Meinung der Südtiroler zu den Themen Lebensqualität und Tourismus zu erfragen?</b><BR />Thomas Bausch: Wir haben die 2 Aspekte zunächst getrennt voneinander abgefragt. Das Thema Tourismus haben wir einleitend bei der Abfrage der Lebenszufriedenheit und den Bereichen des täglichen Lebens ausgeklammert, damit die Menschen bei Bereichen wie Verkehr und Mobilität, Erreichbarkeit usw. nicht gemäß ihrer Einstellung zum Tourismus antworten. Das Kernergebnis des ersten Teils ist, dass die Menschen in Südtirol mit der Situation in ihrem Wohnumfeld mehrheitlich zufrieden sind. Auch die künftige Entwicklung, was ihre subjektive Situation angeht, sehen mehr Menschen positiv als negativ. Lediglich im Bereich Siedlungsentwicklung und Wohnen zeigt sich eine deutliche Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung.<BR /><BR /><b>Im Tourismus-Teil haben sie die in Vergangenheit gerne gestellte, aber doch recht überflüssige Frage: „Tourismus – ja, nein“. </b><BR />Bausch: Richtig, solche Studien gibt es bereits, ich finde aber, dass es nicht zielführend ist, ein so komplexes und vielschichtiges Thema auf diese Frage zu beschränken. Wir wollten ein etwas differenzierteres Bild ermitteln, und in der Tat haben wir gesehen, dass die Südtiroler und Südtirolerinnen sehr wohl nach Themen unterscheiden. Etwa zwischen wirtschaftlichen Effekten, Auswirkungen auf Umwelt und Natur oder die örtliche Versorgungssituation. <BR /><BR /><b>Verbinden die Südtiroler den Wohlstand im Land mit dem Tourismus?</b><BR />Bausch: Das sieht man ganz eindeutig. Die Mehrheit erkennt an, dass der Tourismus Wertschöpfung generiert und Arbeitsplätze schafft. Das muss man den Südtirolern nicht mehr groß erklären. <BR /><BR /><b>Gibt es Unterschiede in der Einschätzung zwischen jenen, die direkt Teil der Wertschöpfungskette des Tourismus sind, und jenen, die nicht direkt davon profitieren?</b><BR />Bausch: Wir sehen, dass in peripheren Gebieten mit einem hohen Wertschöpfungsanteil aus dem Tourismus seine Auswirkungen vielfach besser bewertet werden, als in urbanen und wirtschaftlich stärker ausdifferenzierteren Räumen Südtirols.<BR /><BR /><embed id="dtext86-60095386_quote" /><BR /><BR /><b>Der wirtschaftliche Wert wird also wahrgenommen. Wo wird der Zusammenhang zwischen Tourismus und Lebensqualität nicht oder weniger hergestellt? </b><BR />Bausch: Überrascht hat mich etwas, dass viele Südtiroler den Zusammenhang zwischen dem Tourismus und der Verfügbarkeit von örtlichen Dienstleistungen, der Qualität von Infrastrukturen, Freizeitangeboten, ja sogar der Erreichbarkeit, in der Breite nicht so wahrnehmen. De facto ist es jedoch so, dass es in Südtirol viele kleine Gemeinden gibt, die gerade auch durch den Tourismus nahezu eine Vollversorgung haben – so etwas sucht man in bevölkerungsarmen, nicht-touristischen Gemeinden ländlicher Räume meist vergebens. <BR /><BR /><b>Abgefragt wurde auch, welche negativen Effekte der Tourismus – in den Augen der Einheimischen – mit sich bringt. </b><BR />Bausch: Genau, wenig überraschend äußerten sich viele kritisch was die Auswirkungen auf den Verkehr und allgemein die Umweltbelastungen durch den Tourismus angeht. Schon erstaunlicher ist, dass man den Tourismus in hohem Umfang auch für Probleme Südtirols im Bereich Wohnen und der Siedlungsentwicklung verantwortlich macht. <BR /><BR /><b>Sind die Kritikpunkte nicht nachvollziehbar?</b><BR />Bausch: Was den Verkehr angeht, spielt der Tourismus ganz klar eine Rolle. Zweifellos muss bei den Gästelenkungssystemen und beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs noch viel getan werden. Aber der Tourismus ist nicht alleine Verursacher von Staus und überfüllten Straßen. Vielmehr hat das Verkehrsaufkommen in Südtirol in den letzten 2 Jahrzehnten massiv zugenommen. Das heißt, die Grundlast im Verkehrssystem ist gestiegen. Nehmen wir das Beispiel Pustertaler Straße her: Dort waren 2019 im touristisch unbedeutenden Monat November 60 Prozent mehr Fahrzeuge unterwegs als noch vor 20 Jahren. Dies vor allem aufgrund des gestiegenen Individualverkehrs der Südtirolerinnen und Südtiroler sowie der Lieferverkehre der Unternehmen im Pustertal. Der Tourismus bildet in einem solchen Kontext mit einer zu hohen Grundlast nur den sprichwörtlichen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Es ist natürlich leichter mit dem Finger auf andere zu zeigen, in diesem Fall auf den Tourismus, als etwas am eigenen Verhalten zu ändern bzw. einzugestehen, dass die einheimische Bevölkerung den höchsten Beitrag zum gesamten Verkehrsaufkommen leistet.<BR /><BR /><b>Wie sieht es beim Thema Wohnen aus?</b><BR />Bausch: Auch da lohnt sich eine etwas differenzierte Betrachtung. In einigen Gemeinden ist der Zweitwohnungsmarkt sicher ein Problem, die Politik versucht da ja bereits gegenzusteuern. Aber am knappen Wohnungsangebot, der geringen Verfügbarkeit von Bauland und den hohen Preisen im Immobilienbereich ist nicht pauschal der Tourismus schuld. Bemerkenswert ist, dass vor allem die Bewohner der Städte Bozen und Meran den Bereich Wohnen und Siedlungsentwicklung subjektiv als besonders schlecht bewerten und dann dem Tourismus hierfür auch die Mitschuld geben. Doch gerade in den Südtiroler Städten sind andere Aspekte wie das starke Bevölkerungswachstum und der Wunsch nach größeren Wohnungen sehr wahrscheinlich die zentralen Einflussgrößen. <BR /><BR /><b>Was schließen sie hieraus – steht der Tourismus teils zu Unrecht am Pranger?</b><BR />Bausch: Meine Hypothese lautet, dass der Tourismus in Südtirol vielfach als generelle Projektionsfläche für Probleme hergenommen wird, die im Grunde komplex und vielschichtig sind. Der Tourismus, dessen Auswirkungen durch die Saisonspitzen regelmäßig konkret sichtbar werden, ist für viele der einzige Schuldige. Für einzelne Phänomene trifft das sicherlich auch zu, aber in vielen Fällen überlagern sich verschiedene Ursachen und der Tourismus ist nicht die Hauptursache. Die Studienergebnisse zeigen uns, wo der Tourismus nachjustieren muss bzw. in welchen Bereichen er schlicht besser und klarer seine positiven Seiten kommunizieren muss, um von der einheimischen Bevölkerung verstanden zu werden. <BR /><BR /><b>In welchen Fällen ist der kritische Blick der Südtiroler gerechtfertigt?</b><BR />Bausch: Die Südtiroler bewerten den Grad der Nachhaltigkeit des Tourismus für die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit meist gering. Einzige Ausnahme ist hier wieder die ökonomische Dimension. Und es stimmt, dass es da noch sehr viel im Tourismus aber auch generell in Südtirol zu tun gibt. Die Bemühungen der Branche sind in diesem Bereich sicherlich noch weiter zu verbessern. Allerdings gilt das nicht nur für die Tourismusbranche, sondern für alle Sektoren. Und ohne die Bürger geht es auch nicht. Es müsste eine Aufbruchstimmung, ein Ruck durch die Gesellschaft gehen. Einen solchen Aufbruch kann ich in Südtirol derzeit noch nicht erkennen. <BR /><BR /><b>Aber der Tourismus könnte doch eine wichtige Vorbildfunktion erfüllen…</b><BR />Bausch: Das stimmt, der Tourismus versucht auch voranzugehen. Immerhin haben wir bereits im Tourismus als einzigem Wirtschaftssektor ein Nachhaltigkeitsmonitoring. Aber, man muss ehrlich sein: Wir stehen da noch am Anfang, ein langer Weg steht noch bevor. Wie erwähnt, ist es aber wichtig, dass alle mitziehen, wenn Südtirol als nachhaltige Urlaubsdestination angesehen werden möchte. Und das gilt eben nicht nur für touristische Anbieter, sondern für uns alle als Konsumenten und Bürger.<BR /><BR /><b>Kommen wir zum Abschluss zum Dauerbrenner-Thema Overtourism: Wie schätzen die Südtiroler selbst das Gästeaufkommen im Land ein?</b><BR />Bausch: Darauf gibt es keine klare Antwort. Was man schon sieht, ist, dass sich kaum jemand mehr Tourismus wünscht. Eher gibt es auch den Wunsch nach weniger. Doch ist dabei ja unklar, was mit dem Begriff „mehr“ oder auch „weniger“ eigentlich gemeint ist. Sprechen wir von den Belastungsspitzen zur Hochsaison oder vom ganzjährigen Gästeaufkommen? Die negativen Effekte werden ja gerade durch die Belastungsspitzen wahrgenommen. Würde sich die Gesamtzahl der Gäste gleichmäßiger auf das ganze Jahr verteilen, so wären die negativen Effekte des Tourismus für die einheimische Bevölkerung vermutlich weniger spürbar. Daher ist die vereinfachende Diskussion über mehr oder weniger nicht sehr hilfreich. Vielmehr müssen wir inhaltlich und räumlich differenzierter die Frage diskutieren, wie ein für die Bevölkerung verträglicher und zugleich nutzenstiftender Tourismus aussehen kann. <BR /><BR />