Die Bürger würden die Corona-Krise auch als Nachdenkpause über den Tourismus nutzen, sagt Harald Pechlaner, Leiter des Centers for Advances Studies von Eurac Research. In einigen Orten der Welt habe dies zu verstärkten Ressentiments geführt, in anderen zu Solidarität. „In Südtirol überwiegt die positive Stimmung gegenüber dem Tourismus“, so Pechlaner, aber man müsse die Tourismusgesinnung der Bevölkerung im Blick behalten. <BR /><BR /><BR /><BR /><i>Von Arnold Sorg</i><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Herr Pechlaner, laut der jüngsten Eurac-Erhebung sind viele Südtiroler davon überzeugt, dass der Tourismus in Südtirol das Infektionsgeschehen befeuert hat. Gleichzeitig ist aber auch sehr vielen Bürgern die Wichtigkeit des Tourismus für die Wirtschaft bewusst. Was ist Ihr Fazit aus dieser Erhebung?</b><BR />Harald Pechlaner: Wir sehen weltweit, dass der Tourismus durch den Zusammenbruch der Mobilitätsketten in arge Bedrängnis gekommen ist, denn je weniger mobil die Menschen sind, desto besser ist das im Hinblick auf das Infektionsgeschehen. Diese Erkenntnis hat sich durchgesetzt. Als Ergebnis dieser Erkenntnis sind sehr viele Menschen in ihrer Region geblieben. In Südtirol hat dies dazu geführt, dass sehr viele Südtiroler hierzulande ihren Urlaub verbracht haben, das ist positiv und war für viele eine neue Erfahrung. Zudem kamen im Sommer aufgrund der Pandemie weniger Deutsche und mehr Italiener nach Südtirol als sonst. Aber das kann nicht die Lösung für die Zukunft sein, man kann sich nicht dauerhaft auf den gesamtstaatlichen Markt konzentrieren. <BR /><BR /><BR /><b>Was ist die Lösung für die Zukunft, wird diese Krise den Tourismus verändern?</b><BR />Pechlaner: Ich glaube schon, dass sich der Tourismus nachhaltig verändern wird. Je länger diese Krise dauert, umso nachhaltiger werden auch die Veränderungen sein, angebotsseitig und nachfrageseitig. Sobald die Leute wieder die Möglichkeit haben, normal zu reisen, dann werden sie zuerst sofort wieder in alte Muster zurückfallen und dorthin reisen, wohin sie immer gereist sind. Mittelfristig glaube ich aber, dass das Reisen reflexiver wird – bedingt durch diese Krise. Dachte man bislang beim Reisen oftmals „Hauptsache günstig“, wird man sich künftig verstärkt die Frage stellen, wohin man verreist, warum man dorthin verreist und was man dort erleben möchte. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-48027193_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Sie haben es bereits angesprochen: Aufgrund der Reisebeschränkungen haben in den vergangenen Monaten viele Südtiroler ihren Urlaub in Südtirol verbracht. Glauben Sie, dass dies nach Corona wieder vollkommen verschwinden wird?</b><BR />Pechlaner: Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung zwar ausgelöst, aber ich bin überzeugt davon, dass die Südtiroler auch nach dieser Krise, auch wenn nicht mehr im Ausmaß der vergangenen Monate, ihren Urlaub verstärkt hierzulande verbringen werden, da sich viele bislang gar nicht der hohen Qualität des touristischen Angebotes in Südtirol bewusst waren.<BR /><BR /><BR /><b>Die Südtiroler scheinen sich laut Eurac-Studie aufgrund der Pandemie stärker mit dem Tourismus im Land zu beschäftigen als vorher. Warum?</b><BR />Pechlaner: Vielen Menschen ist durch diese Krise urplötzlich klar geworden, wie viel in Südtirol vom Tourismus abhängt. Wir waren es bislang gewohnt, auf vollen Straßen durch Südtirol zu fahren, wir waren es gewohnt, in den Städten und Dörfern überall Touristen zu sehen. Touristen waren in Südtirol Teil des Alltags. Jetzt, wo dies alles weggefallen ist, ist vielen klar geworden, dass der Tourismus in Südtirol ein Schwergewicht ist.<BR /><BR /><BR /><b>Sie meinen ein wirtschaftliches Schwergewicht?</b><BR />Pechlaner: Ein wirtschaftliches, aber auch ein gesellschaftliches Schwergewicht. Daher ist eine positive Tourismusgesinnung auch wichtig für ein Tourismusland, das sich weiterentwickeln will. Die Bürger nutzen diese Pandemie auch als Nachdenkpause über den Tourismus. Das ist aber nicht nur in Südtirol der Fall, sondern überall dort, wo es Tourismus gibt. Es gibt Studien, die zeigen, dass diese Nachdenkpause in einigen Orten der Welt entweder zu Ressentiments gegenüber dem Tourismus, oder zu einer Solidarisierung geführt hat. Beides spürt man momentan stärker als zu Nicht-Krisenzeiten.<BR /><BR /><BR /><b>Was überwiegt in Südtirol: Die Ressentiments gegenüber dem Tourismus oder die Solidarität?</b><BR />Pechlaner: Eindeutig die Solidarität, in Südtirol überwiegt die positive Stimmung gegenüber dem Tourismus. Nichtsdestotrotz müssen wir auch hierzulande die Tourismusgesinnung im Blick behalten. <BR /><BR /><BR /><b>Konkret?</b><BR />Pechlaner: Vor allem was Veränderungen des Orts- und Landschaftsbildes anbelangt, sind die Südtiroler sensibler geworden. Sie wollen nicht mehr, dass alles verbaut wird. Darauf muss verstärkt geachtet werden, wenn es um künftige Entwicklungen im Tourismus geht. Vor allem die ältere und die jüngere Generation ist diesbezüglich sehr sensibel und auch kritisch. Die jungen Generationen, die sogenannten Generationen Y und Z, sind jene Personen, die in den kommenden Jahren die Betriebe von ihren Eltern übernehmen. Daher ist es unsere Pflicht, deren Interessen und Vorstellungen sehr ernst zu nehmen. Aber nicht nur deswegen: Diese Generation hat auch eine ganz andere Vorstellung vom Reisen und ein ganz anderes Umweltbewusstsein. Das alles beweist uns, dass wir die Tourismusgesinnung sehr wohl ständig im Blick haben müssen, auch wenn die Stimmung dem Tourismus gegenüber derzeit sehr positiv ist.<BR /><BR /><BR /><b>Wie sollte sich der Tourismus in Südtirol Ihrer Meinung nach entwickeln?</b><BR />Pechlaner: Der oberste Maßstab für die weitere Entwicklung sollte die Lebensqualität jener Menschen sein, die in diesem Land leben. Eine große Herausforderung liegt auch in der Mobilität und im Verkehr. Diesbezüglich braucht es in Südtirol große Lösungen. Natürlich ist der Tourismus nicht der alleinige Verursacher des Verkehrs, aber er ist ein Mobilitätsfaktor. Deshalb braucht es Konzepte, es braucht Besuchersteuerungen, um die Zufriedenheit der Urlauber, aber auch der einheimischen Bevölkerung zu erhöhen. Der Verkehr ist unsere Achillesferse, für Südtirol und für den Tourismus. <BR /><BR /><BR /><b>Bis vor einem Jahr haben wir noch über Overtourism diskutiert. Ist dieses Thema für die kommenden Jahre vom Tisch?</b><BR />Pechlaner: Dieses Thema war nie wirklich weg. Der Corona-Sommer 2020 hat uns gezeigt, dass es viele Leute immer noch zu den Touristen-Hotspots hinzieht, ob es nun die Ost- und Nordseeküste in Deutschland ist, oder bei uns der Pragser Wildsee. Man muss aber zwischen Overcrowding und Overtourism unterscheiden. Wenn wir schlechtes Wetter haben, dann sind in Bozen mehr Leute als normal, die Stadt ist überfüllt, dann kann man schnell von Overcrowding sprechen. Mit Overtourism hat das nichts zu tun, denn deswegen regen sich die Leute nicht nachhaltig über den Tourismus auf. Aber die Diskussion um Overtourism ist wegen der Pandemie nicht verschwunden, im Gegenteil, in einigen Orten hat die Krise die Ressentiments gegen den Tourismus verstärkt. Für Südtirol würde ich das aber nicht behaupten. <BR /><BR /><BR />