<BR /><b>Herr Hölbling, laut einer Studie „Ihres“ Arbeitsförderungsinstituts (AFI) fühlen sich mehr als die Hälfte der Südtiroler gestresst durch digitale Technologien. Wie lässt sich dies erklären?</b><BR />Hölbling: Dafür gibt es aus meiner Sicht 3 wesentliche Gründe. Der erste ist, dass das Arbeitspensum durch die Verfügbarkeit von digitalen Technologien deutlich angestiegen ist. Mitarbeiter müssen im Schnitt deutlich mehr leisten als noch vor 5 bis 10 Jahren.<BR /><BR /><b> Positiv formuliert, könnte man auch sagen, dass die Produktivität durch digitale Technologien gestiegen ist…</b><BR />Hölbling: Sicherlich, das ist die eine Seite der Medaille. Ich möchte digitale Technologien auch keineswegs verteufeln, sie haben viele Fortschritte gebracht und sind außerdem nicht mehr vom Joballtag wegzudenken. Ihr Einsatz wird auch mehr zu- als abnehmen. Nur gibt es eben auch Schattenseiten; und zu diesen zählt, dass digitale Technologien zwar Arbeitsschritte beschleunigen und erleichtern, dadurch aber nicht Freiräume für Mitarbeiter geschaffen werden. Im Gegenteil: Diese Freiräume werden mit mehr Arbeit gefüllt; das sorgt für Stress und Druck im Job; besonders bei jenen, die keine sehr hohen Digitalkompetenzen mitbringen. Wer sich mit dem Digitalen schwerer tut, ist heutzutage schnell überfordert. <BR /><BR /><b>Stichwort „lebenslanges Lernen“…</b><BR />Hölbling: Das ist der zweite wichtige Punkt. Früher waren Ausbildungs- und Arbeitsphasen im Leben klarer getrennt. Von lebenslangem Lernen spricht man nun zwar schon länger, aber mit dem flächendeckenden und omnipräsenten Einsatz des Digitalen im Job spüren viele erst, was das konkret bedeutet. Es wird von Mitarbeitern gefordert, dass sie ständig neue Tools und Arbeitsweisen erlernen, neue Fähigkeiten dazugewinnen, um „up to date“ zu bleiben. Den Rhythmus gibt die Technologie vor. Den meisten gelingt das eh erstaunlich gut, aber eben nicht allen. Darüber reden wir als Gesellschaft viel zu wenig. <BR /><BR /><b>Und der dritte Punkt?</b><BR />Der dritte Punkt ist, dass die digitalen Medien häufig für Unterbrechungen im Arbeitsfluss sorgen: Eine wichtige Mail, die ganz dringend beantwortet werden muss oder die fünfte Mail, die an mich zur Kenntnis geschickt worden ist, ohne dass sie mit meiner gegenwärtigen Arbeitsaufgabe wirklich zu tun hat, eine kurzfristig anberaumte Online-Besprechung und tausend andere Dinge, mit denen uns die digitalen Helferlein zu Leibe rücken. <BR /><BR /><b>Das Digitale bestimmt mittlerweile nicht nur unseren Berufsalltag, sondern auch unsere Freizeit. Trägt das auch zum allgemeinen Gestresst-Sein bei?</b><BR />Hölbling: Ganz entscheidend sogar. Mit den digitalen Möglichkeiten verwischen Beruf und Freizeit immer mehr, zudem gibt es in beiden Welten dieselben Geräte: Smartphones und Tablets und Computer. Das erleichtert es nicht gerade, zur Ruhe zu kommen. Ebenso kommt es nicht selten zu Rollenkonflikten, man denke zum Beispiel ans Homeoffice. Ein Elternteil, das fast zeitgleich das Mittagessen für die Kinder kochen und dringend auf eine berufliche Mail antworten soll, ist schneller gestresst. <BR /><BR /><b>Was können Betroffene oder auch Betriebe gegen digitalen Stress unternehmen?</b><BR />Hölbling: Was den Job angeht, wäre es wichtig, dass man den Mitarbeitern die Möglichkeit und das Vertrauen gibt, Gestaltungsräume selbst zu schaffen. <BR /><BR /><b>Können Sie ein Beispiel nennen?</b><BR />Hölbling: Es gibt Unternehmen, in denen Mails vom Firmenserver ab einer gewissen Uhrzeit nicht mehr auf die Endgeräte der Mitarbeiter übertragen werden; am Wochenende gar nicht. Diese strikte Regelung kann von oben herab diktiert aber für zusätzlichen Stress bei manchen Mitarbeitern sorgen, weil sie auch außerhalb der normalen Arbeitszeiten oder an einem Samstagvormittag eine halbe Stunde Zeit hätten, um noch einige Dinge zu bearbeiten. Nicht harte Grenzen, die vom Betrieb gesetzt werden, sind der Schlüssel, sondern ein Umfeld, in dem ein Mitarbeiter das Gefühl hat, Herr seines Tätigkeitsbereichs zu sein. Innerhalb eines nur grob definierten Rahmens. Übrigens empfehle ich allen, die sich überfordert fühlen, dies auch dem Vorgesetzten gegenüber offen mitzuteilen. Kluge Chefs nehmen dies ernst und suchen gemeinsam mit dem Mitarbeiter nach Lösungen – gerade in Zeiten des akuten Arbeitskräftemangels. <BR /><BR /><b>Wie sieht es mit Methoden gegen digitalen Stress in der Freizeit aus?</b><BR />Hölbling: Es ist Fakt, dass die meisten von uns auf viele Bildschirmstunden pro Tag kommen. Ein nicht unwesentlicher Teil davon entfällt auf private Zeit, die wir zum Beispiel auf Social Media verbringen. Diese Zeit hinterlässt eher ein Gefühl von Leere und Unzufriedenheit, als wenn ich die private Bildschirmzeit nutze, um etwas für meine persönliche Entwicklung zu tun, mir neues Wissen anzueignen, in ein Thema tief einzutauchen. Letzteres ist absolut positiv zu sehen. <BR /><BR /><b>Aktuell erleben wir den Sturm vor der Ruhe: In den Weihnachtsfeiertagen gibt es eine gewisse kulturelle Akzeptanz für „Unerreichbarkeit“. Wie könnten wir diese Zeit nutzen, um digitalem Stress im neuen Jahr vorzubeugen?</b><BR />Hölbling: Die Weihnachtszeit bietet eine gute Gelegenheit, diesem Stress entgegenzuwirken. Traditionell mit Besinnlichkeit, Familie und Entschleunigung verbunden, lädt sie dazu ein, digitale Gewohnheiten zu hinterfragen. Eine Daumenregel besagt: Wenn man mindestens 30 Tage lang bewusst sein Verhalten ändert, dann kann man ein neues Verhalten durch diese 30 Tage lange Einübung zur Gewohnheit werden lassen. Dabei ist es allerdings wichtig, nicht nur etwas zu lassen, also eine bestimmte Handlung nicht mehr zu tun, sondern stattdessen etwas Neues zu tun, am besten etwas, das einem Freude macht. Digital Gestresste könnten es also mal bewusst mit mehr „Offline“-Zeiten von sozialen Medien versuchen und sich gleichzeitig überlegen, was sie in dieser neuen freien Zeit Sinnerfüllendes tun könnten.