„Auch in Südtirol gibt es einige sehr schwierige Situationen, wo man gezielt wird helfen müssen“, sagt der Chef des Südtiroler Wirtschaftsringes (SWR), Federico Giudiceandrea. <BR /><BR /><b>Herr Giudiceandrea, der italienische Handwerkerverband Confartigianato hat kürzlich davor gewarnt, dass wegen der immensen Energiekosten, die Existenz von 800.000 Unternehmen auf dem Spiel steht, in Deutschland fürchtet man auch eine Pleitewelle. Wie ist die Situation in Südtirol? </b><BR />Federico Giudiceandrea: Es ist eine schwierige Zeit. Die Situation ist ähnlich wie in der Covid-Krise, wenn nicht schlimmer. Denn viele Unternehmen geraten tatsächlich in Existenznot, weil die Strom- und Gaspreise so stark gestiegen sind. Immerhin kostete eine Megawattstunde Strom im Mai 2021 an der Strombörse 70 Euro, vor einer Woche lag der Preis bei über 800 Euro, also fast dem Zehnfachen, heute sind wir bei 451 Euro. Ähnlich schaut die Entwicklung beim Gaspreis aus, der ja an den Strompreis gekoppelt ist. Das spüren in Südtirol einige Betriebe sehr deutlich: Es gibt einige mittelgroße Unternehmen mit Umsätzen von 5 bis 6 Millionen Euro, bei denen die Energiekosten in Vergangenheit 5 Prozent des Umsatzes ausmachten. Heute sind diese Kosten aber 7-mal, 8-mal oder gar 10-mal höher und machen somit 50 Prozent des Umsatzes aus. Unter diesen Voraussetzungen ist es unmöglich, als Betrieb zu überleben. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56000177_quote" /><BR /><BR /><b>Welche Betriebe oder Branchen haben am meisten Probleme?</b><BR />Giudiceandrea: All jene Betriebe, die einen hohen Energieverbrauch haben, sei es in der Lebensmittelproduktion, Metallproduktion, in der Landwirtschaft oder im Tourismus. Vor allem aber jene, die Mitbewerber haben, die nicht mit so stark steigenden Energiepreisen kämpfen müssen. Denn die Energiekrise trifft ja nicht alle Länder gleich, sie trifft Europa stärker als Amerika, und selbst in Europa leiden nicht alle Länder gleich, weil nicht alle im selben Maß vom russischen Gas abhängen. Unter den hohen Energiepreisen leiden tatsächlich vor allem Deutschland und Italien. Das hat zur Folge, dass unsere exportierenden Betriebe etwa in der Industrie aber auch in der Landwirtschaft sich mit Mitbewerbern konfrontiert sehen, die günstiger anbieten können. Die Apfelproduzenten aus Südamerika können zum Beispiel mit ganz anderen Preisen auf den europäischen Markt kommen als unsere Genossenschaften, die wegen des Energieverbrauchs bei der Lagerung in den Kühlzellen deutlich höhere Kosten haben. Das Problem haben aber nicht nur Exportbetriebe, sondern auch der Tourismus, der ja auch Mitbewerber in anderen Regionen hat: Bei einem typischen größeren Hotel lagen die Kosten für Strom und Gas heuer im Juli bei 68.000 Euro, vor einem Jahr waren es noch 15.000 Euro. <BR /><BR /><b>Also besteht die Gefahr eine Pleitewelle auch in Südtirol?</b><BR />Giudiceandrea: Natürlich. Sicherlich werden wir nicht von heute auf morgen eine Konkurswelle sehen, weil es auch Abfederungsmaßnahmen wie die Ausgleichskasse gibt. Aber wenn ein Betrieb 50 Prozent des Umsatzes für Energie ausgibt, dann wird das nicht lange gut gehen. <BR /><BR /><b>Was soll und was kann die Politik tun?</b><BR />Giudiceandrea: Wichtig wäre es vor allem, den Gaspreis zu deckeln und den Gas- und Strompreis zu entkoppeln. Das muss natürlich auf EU-Ebene passieren. Das wären aktuell die 2 wichtigsten Maßnahmen, die umzusetzen wären. <BR /><BR /><b>Und auf lokaler Ebene? </b><BR />Giudiceandrea: In Südtirol können wir die Strompreise ja nicht autonom festlegen. Wenn wir da autonomiepolitisch tätig werden möchten, um das zu ändern, dauert das seine Zeit. Aber bei uns brennt jetzt der Hut. Die Lokalpolitik kann natürlich auch versuchen, langfristig Investitionen in erneuerbare Energiequellen stärker zu forcieren, indem Bürokratie abgebaut wird und die Prozeduren vereinfacht werden. Aber aktuell wird nichts anders übrig bleiben, als – wie in der Covid-Pandemie – den Unternehmen über Steuersenkungen, Beiträge und vergünstigte Darlehen unter die Arme zu greifen, um Pleiten zu verhindern. Wir sehen derzeit keinen anderen Weg. Auch mit den Banken wird die Politik sprechen müssen, damit es wieder vereinfachte Kreditstundungsmöglichkeiten gibt wie in der Covid-Krise. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56004880_quote" /><BR /><BR /><b>Der Präsident des Handels- und Dienstleistungsverbandes, Philipp Moser, hat erst kürzlich mit Blick auf das Südtiroler Energieunternehmen Alperia gemeint, günstigere Strom-Tarife wären die schnellste Form der Entlastung. Sie sehen da aktuell also keine Möglichkeiten? </b><BR />Giudiceandrea: Natürlich wären günstigere Stromtarife die schnellste Form der Entlastung und auch jene mit dem kleinsten bürokratischen Aufwand. Dazu muss man sagen, dass der SWR mit der Alperia bereits Rahmenabkommen zu Strom- und Gaslieferungen abgeschlossen hat, die es unseren Mitgliedsbetrieben ermöglichen, zu einem etwas günstigeren Tarif Verträge mit der Alperia abzuschließen. Allerdings sind diese Vergünstigungen bei den momentanen Preisen nicht annähernd ausreichend, um die Betriebe ernsthaft zu entlasten. Von Seiten der Alperia wurde uns jedoch mitgeteilt, dass sie mit diesen Verträgen momentan ein Verlustgeschäft machen und dass daher eine zusätzliche Vergünstigung bei den Tarifen schlichtweg nicht möglich sei. Es ist eine komplexe Situation und es ist nun Aufgabe der Politik mutig und gezielt zu helfen. Viele Betriebe werden es schon auch so überleben, aber diejenigen, die am stärksten von diesen Preissteigerungen betroffen sind, muss man unterstützen. Es geht ja auch um Arbeitsplätze. Denn es gibt einige sehr schwierige Situationen in energieintensiven Branchen, wo die Betriebe nicht mehr wettbewerbsfähig sind und wo man gezielt eingreifen kann. Da hätten auch die anderen Wirtschaftssektoren nichts dagegen. Die Südtiroler Politik ist sich auch absolut dessen bewusst, was da auf uns zukommt. Ich bin überzeugt, dass die Landesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten tätig werden wird. <BR /><BR /><b>Die Kosten sind das eine, die Verfügbarkeit das andere: Rechnet die Wirtschaft damit, dass eine Gasrationierung kommt, vor der Lega-Chef Matteo Salvini gewarnt hat? </b><BR />Giudiceandrea: Natürlich wird man beim Heizen sparsamer. Damit rechnen wir schon. Die Wirtschaft kann und wird sicher auch an einigen Stellen ihren Energieverbrauch optimieren und rationalisieren. Aber dass wir in eine Situation kommen, in der der Staat die Lieferungen an Industrie und Haushalte per Gesetz reduzieren muss, das hoffen wir nicht. Zumal man den Eindruck hat, dass Italien durch die Gaslieferungen aus Nordafrika so gut aufgestellt ist, um über den Winter zu kommen. Danach müssen wir am Ausbau der erneuerbaren Energien arbeiten.<BR /><BR /><b>Wie schaut ihre Prognose für die heimische Wirtschaft für die nächsten Monate aus?</b><BR />Giudiceandrea: Es wird keine leichte Zeit werden. Aber wir gehen davon aus, dass die Landesregierung ihr Möglichstes tun wird und wir hoffen vor allem darauf, dass die EU die Gaspreisdeckelung und die Entkoppelung des Gaspreises durchboxen wird. Trotz all der schlechten Nachrichten bin ich leicht optimistisch, dass wir in Südtirol diese Situation gut überstehen werden.<BR /><BR /><b> Bis wann rechnen Sie mit Hilfe von der Landesregierung?</b><BR />Giudiceandrea: Wir wollen zuerst schauen, welche Maßnahmen nun in Rom beschlossen werden, wo ein drittes Hilfspaket in Arbeit ist. Sobald das verabschiedet ist, wird das Land unterstützend eingreifen. Die Bereitschaft dazu ist jedenfalls signalisiert worden. <BR /><BR />