<b>STOL: Herr Oberrauch, das Präsidium des Unternehmerverbands hat in seinem offenen Brief an die Politik die Frage gestellt: „Wo will Südtirol hin?“ Wo soll Südtirol denn hin?</b><BR />Heiner Oberrauch: Es stellt sich wirklich die Frage, wo Südtirol hin will. Diese Frage haben wir der Politik und der gesamten Gesellschaft gestellt. Wollen wir ein Innovations- und Industrieland bleiben oder nicht? „South Tyrol is more than apples and cows“, hat Anna Quinz einmal gesagt. Und das stimmt. Aber das muss auch die Politik zur Kenntnis nehmen. Die Sehnsucht nach einem Land können nicht nur die schöne Natur, Kultur und Gastfreundschaft sein, das können auch Leitgedanken oder Leitprodukte sein. Wenn sie zusätzlich nachhaltig sind, sind sie Teil des zukünftigen Leitbildes Südtirol. <BR /><BR /><b>STOL: Südtirol ist nicht nur Äpfel und Kühe, sagen Sie in Anlehnung an das Zitat von Anna Quinz. Ist Südtirol zu sehr auf die traditionellen Bereiche fokussiert?</b><BR />Oberrauch: Es ist nicht eine Frage von zu viel, es ist eine Frage der Ausgeglichenheit. Sei es der traditionelle als auch der industrielle, innovative Bereich befruchten sich gegenseitig. Dieses Spannungsfeld macht schlussendlich die Attraktivität eines Landes und eines Wirtschaftsstandortes aus. <BR /><BR /><embed id="dtext86-54997615_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Wie soll Südtirol im Jahr 2030 aussehen?</b><BR />Oberrauch: Bis 2030 wird sich Südtirol stark verändern, in vielen Bereichen mit einem ökologischen Umbau, aber vor allem, weil immer mehr Arbeitskräfte fehlen. Die strenge Trennung bestimmter Bereiche wird es nicht mehr geben. <BR /><BR /><b>STOL: Zum Beispiel?</b><BR />Oberrauch: Ein Gasthaus in einem Dorf wird künftig auch einen kleinen Laden beherbergen und gleichzeitig auch das Postamt. Sonst ist das bei den fehlenden Arbeitskräften nicht mehr machbar. Was die Industriebetriebe anbelangt, so werden Digitalisierung und Automatisierung weiter voranschreiten, die Betriebe werden in jenen Bereichen tätig sein, wo sie mit weniger Arbeitskräften auskommen. Das gleiche gilt für die öffentliche Verwaltung: Sie muss viel effizienter und digitalisiert werden und sich auf ihre hoheitlichen Aufgaben konzentrieren. Dabei muss aber auch an den Bürger gedacht werden, vor allem für ältere Menschen braucht es diesbezüglich Hilfestellungen. <BR /><BR /><b>STOL: Weil Sie den Arbeitsmarkt sprechen: 2023 werden in Südtirol 6000 Arbeitskräfte fehlen, im Jahr 2032 werden 30.000 fehlen. Wie kann das eine Volkswirtschaft verkraften?</b><BR />Oberrauch: Eine Volkswirtschaft kann das nur verkraften, indem sie sich verändert. Es werden nur jene Betriebe überleben, die eine hohe Wertschöpfung generieren und die dementsprechend attraktiv für Mitarbeiter sein werden. Gesellschaftlich ist diese Entwicklung ein Luxusproblem. Schlimmer wäre es, wenn Südtirol eine hohe Arbeitslosigkeit hätte. Aber durch diese Entwicklung werden gewisse Wirtschaftsfelder in Südtirol keinen Platz mehr haben. Das ist eine Transformation, die Südtirol schon einmal durchgemacht hat. Vor 30 Jahren hatten wir Schwerindustrie im Land mit den oft auch am schwächsten bezahlten Arbeitsplätzen. Heute haben wir in Südtirol eine High-Tech-Industrie, die den Mitarbeitern im Schnitt 40 Prozent mehr Lohn bezahlt. Was andere Wirtschaftssektoren anbelangt, etwa die Gastronomie, so wird das Essen im Restaurant teurer werden. Das ist eine natürliche Entwicklung, die wir durchmachen müssen. Das Um und Auf wird aber sein, dass unsere Betriebe die guten Mitarbeiter im Land halten, und gleichzeitig müssen wir schauen, die besten Talente aus dem Ausland zu uns zu holen. Das wird aber seine Grenzen haben. Daher müssen wir in Südtirol so viel hochqualifizierte Arbeitsplätze wie nur möglich schaffen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-54997617_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Wenn ein gewichtiger Wirtschaftsverband wie der Unternehmerverband einen offenen Brief an die Politik schreibt, dann klingt das nach einem dringenden Appell. Oder wie würden Sie das bezeichnen?</b><BR />Oberrauch: Das stimmt genau. Das ist ein dringender Appell, ein Weckruf an die Politik, dass wir alles dafür tun müssen, nachhaltige und in die Zukunft gerichtete Betriebe wie alpitronic im Land zu halten. Es wäre ja ein kompletter Nonsens, wenn wir im Ausland für viel Geld Talente anwerben, gleichzeitig aber ein nachhaltiges Unternehmen, das in Europa in seinem Bereich marktführend ist, verschicken. Das kann es wirklich nicht sein. Wenn das so ist, muss man wirklich die Frage stellen, wohin Südtirol will. Wollen wir nachhaltige Betriebe in Südtirol halten oder nicht? Alpitronic ist nur ein Beispiel von mehreren. Diese Ablehnung des Standorts ist ein fatales Zeichen an andere Betriebe, an die gesamte Wirtschaft. Wenn die Politik da nicht umdenkt, dann wird es schwierig, dann sehe ich schwarz. <BR /><BR /><embed id="dtext86-54997619_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Ihre Einschätzung: Will Südtirol ein Industrie- und Innovationsland sein, oder nicht?</b><BR />Oberrauch: Das hängt ausschließlich von den Entscheidungen der politischen Vertreter ab. Zermürbend ist einfach die Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung. Alpitronic sucht seit mehreren Jahren einen neuen Standort: Ich war schon vor einem Jahr beim Landeshauptmann und habe ihm die Problematik aufgezeigt. Ich kann auch aus eigener Erfahrung sagen, wie lange es dauert, bis man in Südtirol endlich bauen kann. Ich musste 6 Jahre warten, bis ich in Bozen den Salewa-Sitz bauen durfte. In Österreich und Deutschland geht das Ganze bedeutend schneller. Für den neuen Dynafit-Sitz in Kiefersfelden hat es für Umwidmung und Baugenehmigung eineinhalb Jahre gedauert. Und wir dürfen nicht immer Italien die Schuld geben, wir hätten es selbst in der Hand. Diese überbordende Bürokratie lähmt die Wirtschaft, das muss sich ändern. Ein Unternehmen kann nicht 5 Jahre warten, denn dann ist der Markt weg. <BR /><BR /><b>STOL: Wo liegt das Hauptproblem?</b><BR />Oberrauch: Es ist, wie gesagt, die Geschwindigkeit, bis man in Südtirol etwas umsetzen kann. Die Frage stellt sich, wie viel Entscheidungshoheit die Politik in Südtirol gegenüber der Bürokratie hat. Bestimmte Dinge werden verzögert, auch wenn die Politik sagt, sie steht dahinter. <BR /><BR /><b>STOL: Das heißt konkret?</b><BR />Oberrauch: Man muss sich die Frage stellen, ob die Beamten über die Politik entscheiden, oder die Politik über die Themen. Man darf nicht immer den Beamten die Schuld geben, denn manchmal blockiert sich die Politik mit nicht zu Ende gedachten Gesetzen selbst. Man müsste in Südtirol die Dinge in größeren Zusammenhängen sehen und nicht nur Klein-Klein denken. Es muss das Gesamte gesehen werden. Und das obliegt der Politik. <BR /><BR /><embed id="dtext86-54997720_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Im offenen Brief des Unternehmerverbandes steht, dass es unnütz sei, Millionen für ein Nachhaltigkeitsfestival auszugeben, gleichzeitig aber wichtigen, innovativen Unternehmen, keine Chance zu bieten. Was meinen Sie damit?</b><BR />Oberrauch: Ich finde es gut, wenn man die Bevölkerung für die Thematik Nachhaltigkeit sensibilisiert, auch wenn die Summe dafür, zumindest meiner Meinung nach, zu hoch ist. Aber ein Nachhaltigkeitsfestival zu veranstalten, gleichzeitig aber das Gegenteil zu tun, wenn man sich den Fall alpitronic vor Augen hält, das ist nicht nur inkohärent, da bräuchte es einfach eine Konsequenz des Handelns, die ja jetzt der Landeshauptmann signalisiert hat. <BR /><BR />