Ob Erdgas in den kommenden Monaten knapp wird, ist noch offen – aber teuer es ganz bestimmt. Das bekommen vor allem die vielen Bürgerinnen und Bürger spüren, die mit dieser Energie heizen und kochen. Ein Blick auf die Bedeutung von Erdgas für unsere Energieversorgung führt leider zum Schluss, dass in vielen anderen Sektoren mit einem weiteren Preisruck zu rechnen ist. Für s+ erklärt Michele Gilardi, Generaldirektor des Netzbetreibers Südtirolgas, was da auf uns zukommt. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="788675_image" /></div> <BR /><b>Ganz grob gesprochen: Ist Südtirol vom Erdgas abhängig oder brauchen wir das unterm Strich nicht, weil wir ja genügend andere Energiequellen haben?</b><BR />Michele Gilardi: Wir leben in einer stark vernetzten Welt, in der die Idee der Autarkie ein Trugbild ist. Das gilt auch für Erdgas. Erdgas hat für unsere Energieversorgung eine enorme Bedeutung. Dazu eine Zahl: Südtirol verbraucht jährlich etwa 360 Millionen Kubikmeter Erdgas, damit kann die Energiemenge von etwa 3600 Gigawattstunden produziert werden. Damit ist Erdgas wichtiger als Strom, von dem wir jährlich etwa 3000 Gigawattstunden verbrauchen. Benzin und Diesel liefern für den Verkehr etwa 3700 Gigawattstunden, also etwas mehr als Erdgas. <BR /><BR /><b>Wer verbraucht in Südtirol diese riesige Menge Erdgas?</b><BR />Gilardi: Sie werden staunen, aber wir haben in Südtirol immerhin fast 82.000 aktive Gaszähler! Viele sind der Meinung, dass das vor allem die privaten Haushalte sind, die das Erdgas zum Heizen und Kochen verwenden. Das stimmt aber nicht. Auf dem Netz der Südtirolgas verbrauchen die Haushalte etwas mehr als ein Drittel der gesamten Erdgasmenge. Der größte Abnehmer sind Industrie und Handwerk mit 43 Prozent. Da sind fast alle großen Unternehmen etwa in Brixen, Bruneck, Leifers usw. angeschlossen, aber es geht hinunter bis zum Schlossereibetrieb und dem Bäcker im Dorf. Was viele nicht vermuten: Der Tourismus kommt auf einen Anteil von knapp 12 Prozent, das sind etwa Hotelanlagen mit Wellness und Sauna. Solche Anlagen verbrauchen zum Teil mehr Erdgas als ein kleines Dorf. Und noch eine Überraschung: Auch einige unserer Fernwärme-Werke sind auf Erdgas angewiesen. Man meint zwar, dass sie vor allem heimisches Holz verfeuern, aber das stimmt nicht. Einige wärmen das Wasser für das Fernwärmenetz fast ausschließlich mit Erdgas, andere benutzen Erdgas für die Spitzenlasten und die Stromproduktion. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="788678_image" /></div> <BR /><BR /><b>Südtirol hängt am italienischen Gasnetz. Wird es spätestens im Herbst und im Winter eng, wenn Russland den Gashahn ganz zudreht?</b><BR />Gilardi: Grundsätzlich muss man sagen, dass Italien bei der Versorgung zum Glück recht breit und damit einigermaßen gut aufgestellt ist. Es ist nicht so stark von den russischen Lieferungen abhängig wie zum Beispiel Deutschland oder Österreich. Solche Länder wird ein Boykott viel härter treffen. <BR />Stand jetzt sind etwa 65 Prozent der Gasspeicher Italiens gefüllt; bis Ende Oktober dürften wir auf 90 Prozent hinkommen. In den ersten 5 Monaten dieses Jahres hat Italien etwa ein Viertel des Erdgases aus Russland bezogen. Der Rest kommt aus Algerien, Libyen, über die neue Pipeline aus Aserbaidschan, wir haben 3 Schiffsterminals für Flüssiggas und dazu etwas Eigenproduktion. Italien hat die Exportmengen aus anderen Ländern bereits erhöht, 2 weitere LNG-Terminals sind geplant. Zudem gibt es für diesen Winter einen nationalen Notfallplan, der weitere Maßnahmen vorsieht, die von der Nutzung strategischer Gasspeicher (zusätzliche 4,6 Mrd. Kubikmeter) über die vorübergehende Stromerzeugung mit Kohlekraftwerken bis hin zur Reduzierung der Raumtemperatur in öffentlichen Gebäuden und Wohnungen reichen. Von der Menge her wird Italien und damit auch Südtirol mit großer Wahrscheinlichkeit über den Winter kommen. <BR />Eine andere Frage ist freilich, um welchen Preis. Gas ist zwar nicht knapp, aber aufgrund der jetzigen Spannungen sehr teuer. Die Marktspekulationen machen den Rest und treiben alle Energiepreise vom Heizöl bis zum Pellet in die Höhe. Hier hilft nur eine Diversifizierung der Gas-Importquellen auf nationale Ebene, um wieder Wettbewerb auf den Markt zu bringen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-55168697_quote" /><BR /><BR /><b>Wie könnte sich Südtirol von dieser Abhängigkeit von Erdgas etwas lösen?</b><BR />Gilardi: Die Idee der Unabhängigkeit ist in unserer Provinz sehr stark verwurzelt. Ich persönlich halte es für realistischer, auf konkrete Alternativen zu setzen und nicht einen ideologischen Kreuzzug Erdgas zu führen, von dem im Übrigen die gesamte Produktionswirtschaft in Südtirol abhängt. <BR /><BR /><b>Das heißt jetzt konkret?</b><BR />Gilardi: Solange wir glauben, dass wir unser Konsumverhalten und unseren Lebensstil nicht ändern müssen, weil uns die erneuerbaren Energien von allen Sünden reinwaschen, sind wir, bestenfalls, naiv. Der erste Schritt, auch zur Energieunabhängigkeit, besteht darin, weniger zu verbrauchen. Alle. Dann muss man, weil die Zeit drängt, jenen Bereichen Priorität einräumen, in denen ein Wandel bereits vonstattengeht und die Auswirkungen unmittelbar spürbar sind. Ich denke da z. B. an die Elektromobilität und die energetische Sanierung von Gebäuden.<BR />Zudem brauchen wir sicher mehrere Alternativen für die Energieversorgung, eine allein wird uns nicht helfen. So kann der Ausbau der Fotovoltaik zur Stromerzeugung sicher einiges bringen. Eine große, aber leider noch zu wenig genützte Chance sehe ich beim Biogas bzw. beim Biomethan. Damit könnten wir etwa 10 Prozent unseres Erdgas-Bedarfs decken. Es ist schon derzeit möglich, jährlich 33 Millionen Kubikmeter Biomethan zu produzieren, und zwar etwa 26 Millionen Kubikmeter durch Mist und Gülle in der Landwirtschaft und weitere 7 Millionen Kubikmeter durch die Vergärungsanlage in Lana sowie die 4 größeren Kläranlagen. <BR /><BR /><BR /><b>Sie sagen: Wir könnten. Warum tun wir das nicht?</b><BR />Gilardi: Der größte Teil des Biogases wird zurzeit verwendet, um Strom zu produzieren. Dabei geht aber viel Energie verloren, weil wir nur einen Wirkungsgrad von 40 Prozent haben, 60 Prozent der Energie geht also als Wärme in der Luft verloren. Wir sollten daher dieses Biogas in Form von Biomethan direkt in unser Erdgasnetz einspeisen, dann haben wir praktisch keinen Verlust. Ich hoffe, dass die Politik diese Notwendigkeit erkennt und das in die Wege leitet. Damit hätten wir einen doppelten positiven Effekt, weil wir das klimaschädigende Methan aus den Ställen nicht in die Atmosphäre schicken, sondern es als Energiequelle nützen, die fossile Brennstoffe einspart.<BR /><BR /><BR />STICHWORT: Südtirolgas<BR /><BR />Südtirolgas ist eine Gesellschaft, an der die Selfin von 112 Südtiroler Gemeinden (51 Prozent) und die vom Bundesland Tirol kontrollierte Tigas (49 Prozent) beteiligt sind. <BR />Mit einem Anteil von fast 60 Prozent ist Südtirolgas der mit Abstand größte Verteiler von Erdgas in unserem Land; an zweiter Stelle folgen die SEAB der Gemeinde Bozen (23 Prozent) und die Edyna der Stadtwerke Meran (15 Prozent). <BR />Südtirolgas betreibt ein Verteilungsnetz von 1646 Kilometern Länge, die Hauptleitung führen von Salurn nach Bozen und von dort nach Meran bzw. über Brixen und Bruneck bis nach Sand in Taufers. Als Netzbeteiber ist die Gesellschaft verantwortlich für Bau, Instandhaltung und Betrieb des Erdgasnetzes. Rund 30 kommerzielle Anbieter benützen dieses Netz für ihren Verkauf. Insgesamt 65 Gemeinden werden versorgt, derzeit sind knapp 39.000 Gaszähler aktiv. <BR />Im Jahr 2021 wurde über das Netz von Südtirolgas fast 196 Millionen Kubikmeter Erdgas geliefert. Zum Vergleich: Im Jahr 2005 waren es 90 Millionen Kubikmeter. Damit stieg der Verbrauch in den vergangenen 17 Jahren um 86 Prozent an. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR />