Das betonen Marc Zebisch, Leiter des Eurac-Institutes für Erdbeobachtung, und Wolfram Sparber, Leiter des Eurac-Instituts für Erneuerbare Energie im Gespräch mit s+. Sie fordern alle – Politik, Wirtschaft, Gesellschaft – dazu auf, dringend gegenzusteuern. <BR /><BR /><BR /><b>Welche Folgen hat der Klimawandel für die Südtirol Wirtschaft? Muss sich „nur“ die Landwirtschaft rüsten, wie man auf den ersten Blick meinen könnte? </b><BR />Marc Zebisch: Nein, wir müssen immer unterscheiden zwischen direkten Auswirkungen, die lokal wirken, und indirekten Auswirkungen, die aufgrund der Verkettungen in der Wirtschaft entstehen. Und wie verkettet die Wirtschaft heute ist, hat uns auch der Ukrainekrieg gezeigt: Wer hätte sich gedacht, dass ein Südtiroler Joghurt teurer werden muss, weil der Becher aus Erdöl hergestellt wird und die Kühe mit Kraftfutter gefüttert werden? Klar betrifft die derzeitige Trockenperiode in erster Linie die Landwirtschaft, aktuell vor allem in der Poebene, wo man Ernteausfälle von mehreren Milliarden Euro befürchtet. Auch in Südtirol werden die unmittelbaren Folgen des Klimawandels zuerst die Landwirtschaft und der Tourismus – Stichwort Schneesicherheit – spüren. Aber er trifft auch den Energiesektor bzw. die Stromerzeugung durch Wasserkraft. Und wenn weniger Strom für zur Verfügung steht, ist das ein Thema für die gesamte Wirtschaft. Nachdem auch davon auszugehen ist, dass öfter Naturkatastrophen wie Starkregenereignisse auftreten, dann kann es auch immer wieder vorkommen, dass wichtige Infrastrukturen, zum Beispiel wie letztes Jahr in Seis Gewerbegebiete, in Mitleidenschaft gezogen werden. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="788345_image" /></div> <BR /><BR />Wolfram Sparber: Stichwort Strom: Gas-, Kohle- und Atomkraftwerke brauchen Wasser, um zu kühlen. Deshalb stehen sie in Europa auch an Flüssen. Wenn es aber infolge des Klimawandels zu wenig Wasser gibt oder es zu warm ist, muss das AKW entweder zurückgefahren oder ausgeschalten werden. Das war in Frankreich schon teilweise der Fall. Man könnte sagen, das kann uns in Südtirol egal sein. Aber das kann es uns nicht, weil wir französischen Atomstrom importieren. Außerdem wissen wir, wenn am europäischen Strommarkt weniger Strom zur Verfügung ist, dann geht der Preis nach oben – und das trifft auch wieder die Südtiroler Wirtschaft. Der Klimawandel hat also auch lokale Effekte von Ereignissen, die weit weg eingetreten sind.<BR /><BR /><b> Ein zurzeit besonders diskutiertes Thema sind die Treibhausgasemissionen, die zur Erderwärmung und zum Gletscherschwund führen. Wer sind die großen Verursacher in Südtirol? </b><BR />Sparber:Wenn wir uns die Emissionen aus fossilen Energieträgern – also Benzin, Diesel, Gas – anschauen, dann stammt in Südtirol mehr als die Hälfte – etwa 57 Prozent – vom Verkehr, und davon entfällt der Großteil auf das private Auto von Südtirolern und Touristen. Zweitgrößter Verursacher von Treibhausgasen ist mit rund 27 Prozent die Heizung, davon wiederum macht den größten Teil die individuelle Gasheizung aus. Und dritter großer Treibhausgasverursacher ist mit rund 15 Prozent die Industrie, insbesondere der Gasverbrauch in der Industrie. <BR /><BR />Zebisch: Nachdem es in der Erhebung nur um Emissionen aus fossilen Brennstoffen geht, ist die Landwirtschaft nicht dabei. Sie trägt aber über Methanemissionen mit 16 bis 17 Prozent zu den Treibhausgasen bei.<BR /><BR /><b> Wo ist anzusetzen? Und um wie viel müsste Südtirol die Treibhausgase reduzieren?</b><BR />Sparber: Überall und deutlich. Wenn wie uns den Trend der vergangenen Jahre anschauen, dann haben sich die Treibhausgasemissionen von 2010 bis 2019 von 2172 Kilotonnen sogenannter CO2-Equivalente auf 2028 Kilotonnen reduziert, sie sind also nur leicht zurückgegangen. Die internationalen Vereinbarungen sehen aber bis 2030 eine Reduktion von minus 45 Prozent – ausgehend vom Niveau von 2010 – vor. Das heißt, wir müssten in den nächsten 8 Jahren unsere Treibhausgasemissionen auf 1195 Kilotonnen reduzieren, also nahezu halbieren.<BR /><BR />Zebisch: Das EU-Klimagesetz schreibt sogar vor, dass bis 2050 jedes Land in Europa klimaneutral sein muss. Das heißt, es darf dann keine Emissionen aus fossilen Brennstoffen geben, wir müssten dann also bei 0 angelangt sein.<BR /><BR /><b>Wie sollen wir das denn hinbekommen?</b><BR />Sparber: Indem wir jeden Sektor separat anschauen und überprüfen, wo was gemacht werden kann. Wir werden im Laufe des August eine entsprechende Arbeit vorlegen mit Vorschlägen an Maßnahmen, wie Südtirol die Ziele erreichen kann. <BR /><BR /><b>Zum Beispiel?</b><BR />Sparber: Was den Individualverkehr angeht, kann man zum Beispiel auf das Auto verzichten und den Bus oder das Rad nehmen. Oder man steigt von einem Pkw mit Verbrennungsmotor auf ein E-Auto um.<BR /><BR /><b>Wer kann sich das leisten – gerade in Zeiten der hohen Inflation? Bräuchte es da nicht Förderungen?</b><BR />Sparber: Ja, da könnte man sich ein Beispiel an nordeuropäischen Ländern nehmen, wo viele Maßnahmen umgesetzt wurden, die den Kauf aber auch die Nutzung von E-Fahrzeugen unterstützen. Es gibt zum Beispiel Vorteile, was die Parkmöglichkeiten und die Parkgebühren angeht, E-Fahrzeuge können aber auch die Busspur verwenden, zahlen weniger Maut, weniger Steuern usw. Dass zum Beispiel auf E-Autos keine Mehrwertsteuer eingehoben wird, wie es in Norwegen der Fall ist, kann natürlich nur die Zentralregierung bestimmen. Aber auf welchen Parkplätzen E-Autos in Bozen parken dürfen und ob sie die Busspur nutzen können, wäre allein eine Entscheidung der Stadtregierung. <BR /><BR />Zebisch: Gesamtgesellschaftlich betrachtet, wäre es natürlich noch besser, den Individualverkehr so gut wie möglich zurückzudrängen anstatt jedes Benzin- oder Dieselfahrzeug mit einem E-Auto zu ersetzen. Denn das wäre teuer und hätte auch Folgewirkungen, man denke nur an die Problematiken bei der Batterieherstellung (Der Abbau von Lithium und anderen Metallen, die es für die Herstellung braucht, gilt teilweise als umweltschädlich und sozial bedenklich, Anm.d.Red.) und an den Energieverbrauch. Jeder sollte sich also fragen, wie viel er zum Klimawandel beiträgt und wie er seine Emissionen runterfahren kann: und zwar auf null, nicht auf etwas weniger. Das muss die Messlatte sein. <BR /><BR /><b>Jeder Bürger sollte sich also anstrengen, seine CO2-Emissionen zu senken. Doch wo könnten die Unternehmen ansetzen? Gäbe es auch da Möglichkeiten?</b><BR />Sparber: Ganz sicher, auch wenn wir relativ wenig über die Emissionen der Industrie wissen. Wahrscheinlich ist aber, dass ein Teil auf Heiz- und ein Teil Prozesswärme zurückzuführen ist. Die Frage wäre dann, wie viel Wärme man für die jeweiligen Prozesse braucht, etwa in der Lebensmittelindustrie für die Herstellung von Marmeladen und Fruchtsäfte und zur Säuberung der Anlagen usw. Eine andere Möglichkeit wäre, das Methan durch Biogas zu ersetzen. Da sehen wir in Südtirol noch nicht genutztes Potenzial, auch wenn es etwas aufwendig ist, das zu nutzen. Denn die Bauernhöfe sind weit verstreut, man müsste den Mist einsammeln und zur Anlage bringen – aber das hätte einen positiven Effekt aufs Klima. Auch fossile Brennstoffe durch Biomasse zu ersetzen, ist möglich. Die dritte Möglichkeit sind Wärmepumpen, die in anderen Ländern derzeit viel zum Heizen verwendet werden und weniger in der Industrie. Aber der Trend geht dahin. <BR /><BR /><embed id="dtext86-55160539_quote" /><BR /><BR />Zebisch: Was man auch bedenken muss: Südtirol liegt mit seinen Treibhausgasemissionen, die hier im Land entstehen, unter dem italienischen Durchschnitt, weil wir keine große Industrie haben und auch keine Gasverstromung. Aber es gibt auch sogenannte graue Emissionen, die die Südtiroler mitverursachen, indem sie Produkte kaufen, die importiert werden, oder indem sie fliegen - und die zahlen nicht auf das Südtiroler Konto ein. Als wohlhabende Region sind wir da aber vorne dabei. Man denke nur daran, dass wir die höchste Autodichte in ganz Europa haben. Allein wegen unseres Konsumverhaltens entstehen so fast nochmal gleich viel Emissionen wie hier in Südtirol irgendwo anders auf der Welt. Auch da kann die Politik tätig werden, indem sie lokale Wirtschaftskreisläufe fördert, damit mehr lokal gekauft statt aus China importiert wird. <BR /><BR /><b>Schauen wir uns ein weiteres aktuell viel diskutiertes Thema an: den Wasserverbrauch. Welche Wirtschaftssektoren verbrauchen in Südtirol am meisten? </b><BR />Zebisch: Definitiv die Landwirtschaft durch die Bewässerung. Beim Tourismus, der zurzeit oft in der Kritik steht, weiß man es nicht so genau. Es gibt keine Daten dazu – weder zum Wasserverbrauch noch zu den Treibhausgasemissionen im Tourismus. Was man aber weiß, ist, dass ein Tourist ungefähr 2- bis 3-mal so viel Wasser verbraucht wie Zuhause, weil sich im Urlaub viel um Wellness dreht. <BR /><BR /><b>Keine Daten – kein Handlungsbedarf? Ist der Tourismus damit außen vor?</b><BR />Zebisch: Nein, was sicher eine Erleichterung für alle wäre, ist, wenn die Touristen nicht mit dem eigenen Auto anreisen würden. Darin würde auch eine ganz große Chance für Südtirol liegen, sich wirklich als nachhaltige Tourismusdestination zu vermarkten. Südtirol hat schon ein paar gute Sachen umgesetzt, etwa die Gästekarte, mit der die Urlauber öffentliche Verkehrsmittel kostenlos nutzen können, aber da könnte man sich noch etwas mehr überlegen. Zum Beispiel Hotelzimmer billiger anbieten, wenn der Gast mit der Bahn anreist usw. <BR /><BR /><b>In puncto Treibhausgase sehen Sie auch im Gebäudesektor Aufholbedarf … </b><BR />Sparber: Ja. Zum Beispiel verwenden andere Regionen in der Bauwirtschaft den Baustoff Holz noch viel konsequenter als wir. Dabei muss man wissen: Ein Baum nimmt in seiner Wachstumsphase ja Kohlendioxid auf. Wenn man das Holz dann verbaut und das Haus steht 100 bis 200 Jahre, dann sind die CO2-Emissionen für diesen Zeitraum gebunden. Wenn man hingegen ein Haus aus Stahl und Beton baut, braucht man Energie und erzeugt Emissionen, um den Werkstoff zu produzieren. Man hat also den gegenteiligen Effekt. Ein weiteres Thema ist die Gebäudesanierung: Ein Klimahaus A ist wesentlich energieeffizienter als unser Gebäudebestand. Ältere Häuser brauchen 3 bis 4 mal mehr Energie als ein neues Klimahaus. Viele Bürger haben schon saniert, aber das ist noch viel zu wenig. Südtirol hat eine Sanierungsrate von 1,2 Prozent pro Jahr. Wenn wir in dem Tempo weitermachen, brauchen wir knappe 100 Jahre, um unseren gesamten Gebäudebestand zu sanieren. Und das ist lang. <BR /><BR /><b>Und wie geht’s schneller?</b><BR />Zebisch: Das ist eine Frage der Prioritäten. Das Gute ist, dass Südtirol den Klimawandel schon lange thematisiert hat, den Klimaplan gibt es ja schon seit 2011. Aber man hat das Ausmaß des Klimawandels und die Wirksamkeit der Maßnahmen völlig falsch eingeschätzt. Deshalb hat sich unterm Strich fast nichts getan. Anders ausgedrückt: Das Thema wird erkannt, aber die Priorität stimmt noch nicht und daher sind auch die Investitionen zu niedrig. Jetzt bräuchte es einige intensivere Maßnahmen: Das heißt, wir dürfen nicht mehr nur ein paar Wasserstoffbusse kaufen, sondern alle Busse müssen emissionsfrei werden. <BR /><BR /><embed id="dtext86-55161252_quote" /><BR /><BR /><b>Leichter gesagt als getan in Zeiten immer knapper werdender öffentlicher Kassen….</b><BR />Sparber: Dabei dürfen wir einen Punkt nicht außer Acht lassen: In unseren Simulationen der Energiesysteme für 2030 bis 2050, die weniger CO2 emittieren, sehen wir immer wieder, dass das gesamte Energiesystem im Vergleich zu heute kaum teurer wird, aber die Wertschöpfung im Land viel höher ist. Heute geben wir ja Millionen für Diesel, Benzin und Erdgas aus und die Wertschöpfung für Südtirol ist gleich null. Wenn hingegen in Südtirol Gebäude isoliert werden, sind heimische Architekten, Handwerker, Lieferanten usw. involviert. Das heißt, die Wertschöpfung im Land ist viel größer. Natürlich ist es schwierig, diese Investitionen jetzt zu tätigen, wo alles teurer wird. <BR /><BR /><b>Aber man könnte sich für die Zukunft rüsten…</b><BR />Zebisch: Ja, man versucht ja auch, resilienter zu werden gegen Schocks, wie sie zum Beispiel der Ukrainekrieg hervorgerufen hat. Dafür sollten wir auch mal die Kosten der Erderwärmung anschauen: Wenn wir so weitermachen wie bisher und die Treibhausgase nur so viel reduzieren wie bislang geplant, dann werden wir in einigen Jahren dennoch bei 3 Grad Temperaturanstieg landen. Das würde einen jährlichen Schaden von 170 Milliarden Euro für Europa bedeuten.<BR /><BR /><b>... den die Wetterextreme verursachen würden. </b><BR />Zebisch: Diese hohen Schäden kann man nur verhindern, indem wir 3 Grad nicht zulassen. Wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad beschränken könnten, würde der Schaden bei 45 Milliarden Euro liegen. Das heißt, wir kommen aus der Sache zwar nie mehr raus – und das muss man auch mal sagen –, aber es wird erheblich billiger. Wenn wir in 20 bis 30 Jahren nicht in diese massive Krise schlittern wollen, wo wir uns in einem globalen Krisenmodus befinden, dann müssen auch wir in Südtirol zum Klimaschutz beitragen, auch wenn es oft so wirkt als wäre das alles nur ein kleiner Tropf auf dem heißen Stein. <BR /><BR /><b>Aber was sind denn schon die Maßnahmen in Südtirol im Vergleich zur Industrie Chinas? </b><BR />Zebisch: China hat natürlich die größten Emissionen eines Einzellandes weltweit. Aber ein großer Teil der Emissionen entsteht nicht durch den Konsum der Chinesen, sondern dadurch dass China die Werkbank für den Rest der Welt ist. Wir haben die Emissionen verlagert, weil vieles, was wir hier konsumieren, in China hergestellt wird. Natürlich haben die Chinesen mittlerweile aufgeholt und sind auch zur Konsumgesellschaft geworden, ihr persönlicher CO2-Fußabdruck liegt aber unter dem des Europäers. Es bringt also nichts, auf China zu schimpfen. Außerdem hat Europa – und das ist ein entscheidendes Argument, auch eine starke kulturelle Vorbildfunktion – auch für Asien. Wenn wir es schaffen würden, vorzuleben wie eine klimaneutrale und resiliente Gesellschaft aussieht, die einen gerechten und gut verteilten Wohlstand bieten und in intakter Natur leben kann, dann könnte das zum Vorbild für die Chinesen werden. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="788348_image" /></div> <BR /><BR /><b> Herr Sparber, Sie sagen auch, in den Diskussionen über den Ukrainekrieg aber auch über den Gletscherschwund reden wir teilweise am Thema vorbei….</b><BR />Sparber: Ja, denn einerseits wird diskutiert, wo wir das Gas jetzt herbekommen, und andererseits ob wir die Berge teilweise schließen sollen. Das sind Diskussionen, die vielleicht notwendig sind, aber die entscheidenden Fragen müssen doch andere sein: Wie können wir sofort und massiv handeln? Was sind Maßnahmen, die wir sofort auf breiter Ebene umsetzen können, um sehr schnell CO2-Emissionen zu reduzieren? Man denke nur daran, dass Italien über 40 Prozent seines Stroms mit Gas herstellt, gleichzeitig aber Tausende von Genehmigungsanträgen von neuen Windkraft- und Fotovoltaikanlagen auf dem Tisch liegen hat. Die würden die öffentliche Hand nichts kosten, es geht nur um die Genehmigung. <BR /><BR /><b>Sehen Sie da auch in Südtirol Aufholbedarf? </b><BR />Sparber: Ja, auch hier geht es darum, zu schauen, wo wir einfacher genehmigen, einfacher bauen lassen können. Architekten berichten uns zum Beispiel, dass die Sanierung von Gebäuden in Südtirol ziemlich kompliziert sein kann. <BR /><BR />Zebisch: Sicher ist das alles nicht so einfach, das ist uns schon klar. Deshalb ist es umso wichtiger, dass sich alle, auch Unternehmer, überlegen, was sie konkret tun können und dann auch die Rahmenbedingungen einfordern, unter denen sie handeln können. Da muss ein Bewusstseinswandel passieren. <BR />