<b>Über die Pfingstferien waren die Touristenhochburgen in Südtirol, aber auch in Italien und anderswo besser besucht als normalerweise während der ersten Junitage: Woran liegt das?</b><BR />Prof. Erich Kirchler: Die verlängerten Wochenenden im Frühling werden vielfach für einen Kurzurlaub genutzt. Nach dem erneut langen Pandemie-Winter und der notwendigen Aufschiebung von Reisen ist es nicht verwunderlich, wenn der Wunsch nach Abwechslung und Erholung groß ist und nicht allzu ferne Reiseziele ausgewählt werden. Die letztlich wenigen freien Tage, die unsichere weltpolitische Lage und teure Flugreisen dürften noch mehr Menschen als in der Vergangenheit bewogen haben, sich für nahe Reiseziele zu entscheiden.<BR /><BR /><BR /><b>Die Post-Corona-Urlaubslust ist also eine Folge von Nachhol-Effekten? Weil viele Konsum-Möglichkeiten während der Lockdowns weggefallen sind und Geld übrig ist?</b><BR />Prof. Kirchler: Die Notwendigkeit Reisen aufzuschieben hat sicher einen Nachhol-Effekt zur Folge. Zudem haben Haushalte, die nicht von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit betroffen sind oder ohnehin am Existenzminimum leben, ihre Freizeit-Ausgaben reduziert und können sich jetzt mit ihren Ersparnissen einen Kurzurlaub leisten.<BR /><BR /><embed id="dtext86-54675273_quote" /><BR /><BR /><b><BR />In den Urlaubsorten freut man sich über den Ansturm und erhöht die Preise. Gleichzeitig haben zunehmend viele Menschen Schwierigkeiten damit, die Kosten des täglichen Bedarfs zu finanzieren. Birgt das Risiken?</b><BR />Prof. Kirchler: Die Inflation und die unsichere Lage am Arbeitsmarkt stellen für viele enorme Probleme dar. Wenn bisher das Einkommen kaum bis zum Monatsende gereicht hat, dann muss jetzt erst recht jeder Euro umgedreht werden, um zumindest die Grundbedürfnisse zu stillen. Ich denke nicht, dass Urlaub oberste Priorität hat. Aber die wirtschaftliche Lage betrifft nicht alle gleich. Vermögende und gut verdienende Menschen sind von der derzeitigen Inflation weit weniger betroffen als Menschen auf der unteren Einkommensskala und können sich weiterhin ihre Freizeitgestaltung leisten; allerdings nehme ich an, dass ein Großteil der Bevölkerung überlegen wird, ob Urlaube in gewohnter Länge und in der Ferne weiterhin leistbar sind.<BR /><BR /><BR /><b>Die Pandemie war auch eine Phase harter wirtschaftlicher Einschnitte: Suspendierungen, Lohnausgleichskasse: Sind die Menschen nun eher bereit, ihren Konsum über Kredite zu finanzieren?</b><BR />Prof. Kirchler: Studien belegen, dass in mitteleuropäischen Ländern Kredite für Wohnraum oder für ein notwendiges Auto, um zur Arbeit zu fahren, durchaus positiv gesehen werden. Allerdings werden Kredite für Luxusgüter oder für Urlaub kritisch als Verschuldung bewertet. In den USA scheint das anders zu sein. Ich glaube nicht, dass sich die Meinung über Kredite für Urlaub wesentlich ändert. Hinzu kommt, dass Kredite teurer geworden sind und aller Wahrscheinlichkeit in nächster Zeit die Rückzahlung noch schwieriger werden wird. <BR /><BR /><embed id="dtext86-54675278_quote" /><BR /><BR /><b><BR />Die gestiegenen Energiekosten haben ihre Effekte auf Produkte noch gar nicht voll entfaltet. Schwingt bei Urlaubern heuer die Sorge mit, dass ihre Ferien in Zukunft unerschwinglich werden könnten?</b><BR />Prof. Kirchler: Die steigenden Preise generell, vor allem aber für Güter des täglichen Bedarfs, verunsichern viele. Wenn die Inflation spürbar hoch ist, dann entwickeln Menschen auch die Meinung, dass die Preise weiterhin steigen. Viele werden versuchen, wo es möglich ist, „noch zuzuschlagen“, bevor die Preise weiter steigen, oder zu sparen, wenn Ausgaben in Zukunft anstehen. <BR /><BR /><BR /><b>Ist Sparen in Zeiten hoher Inflation unattraktiv geworden?</b><BR />Prof. Kirchler: Ob vermehrt gespart wird (wenn die finanzielle Lage es nicht erzwingt) oder mehr Geld ausgegeben wird, hängt von vielen Faktoren ab. Nicht zuletzt ist entscheidend, wie hoch die Zinsen am Sparbuch im Vergleich zur Inflation sind. Bekanntlich führen Menschen mental Buch, verbuchen verschiedene Einnahmen und Ausgaben auf verschiedenen mentalen Konten und freuen sich über höhere Sparzinsen auch dann, wenn die Inflationsrate sie übersteigt. Gleichzeitig ärgern sie sich, wenn sie in Jahren, wo die Inflation bei 0 Prozent liegt, keine Zinsen auf ihr Erspartes bekommen. <BR /><BR /><BR /><b>Haben Sie eine Prognose, wie es im nächsten Jahr aussehen wird?</b><BR />Prof. Kirchler: Wer in dieser Zeit Prognosen über ein Jahr hinaus abgibt, kann sich nicht auf mehr verlassen als auf sein „Bauchgefühl“, was sehr trügerisch sein kann. Wenn selbst Experten nur über Pandemie-Szenarien im Herbst nachdenken und die Entwicklung und Folgen des Krieges in Europa nicht vorhersehbar sind, die weltpolitischen Lage äußerst instabil ist, Warnungen vor enormer Hungersnot ausgegeben werden, dann fehlen mir für jede seriöse Prognose stabile Daten. Sinnvoll erscheint mir, alle möglichen Szenarien im Voraus zu überlegen und Strategien zu entwickeln und für den Fall bereit zu halten, wenn das eine oder andere Szenario Wirklichkeit wird.