<BR /><BR /><b>Herr Professor Ruckriegel, im Italienischen gibt es die „fortuna“ und die „felicità“, im Deutschen nur das Glück. Welches Glück erforschen Sie – den Zufall oder den Zustand?</b><BR />Karlheinz Ruckriegel: Ich beschäftige mich mit dem subjektiven Wohlbefinden, also mit dem Glücklichsein als Zustand – nicht mit dem Zufall. Interessanterweise hat man bei der Entwicklung der deutschen Sprache auf eine differenzierte Betrachtung des Glücks offenbar keinen großen Wert gelegt – obwohl Deutsch ja als die Sprache der Philosophen gilt.<BR /><BR /><b>Jeder hat eine andere Definition von Glück. Wie lautet Ihre?</b><BR />Ruckriegel: Ich orientiere mich an den Erkenntnissen der Glücksforschung. Darin geht es um das emotionale und das kognitive Wohlbefinden. Das ist für mich Glück. Emotionales Wohlbefinden – das sind die positiven und negativen Emotionen, die wir im Laufe eines Tages erleben. Die psychologische Forschung empfiehlt hier ein Verhältnis von etwa 4:1: Auf ein negatives Gefühl sollten vier positive kommen. <BR /><BR /><b>Und das lässt sich tatsächlich beeinflussen?</b><BR />Ruckriegel: Ja, das wurde in der Positiven Psychologie – das ist der Bereich der Psychologie, der sich mit Glück befasst – erforscht. Es ist möglich, ein negatives Gefühl auf eine positive Ebene umzulenken. Wenn ich mich zum Beispiel im Verkehrsstau furchtbar ärgere, dann kann ich mir bewusst überlegen: Stau ist immerhin besser, als wäre ich in einen Unfall verwickelt. Oder: Jetzt kann ich zum Glück den spannenden Podcast fertighören. Solche Gedanken kann man trainieren. Das funktioniert übrigens auch mit einem Dankbarkeitstagebuch: Zwei bis drei Mal pro Woche schreibt man auf, was in diesen Tagen gut gelaufen ist. Mit der Zeit verändert sich so der Blick auf die Welt. Denn wir nehmen das Negative evolutionsbedingt stärker wahr, als das positive. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1188867_image" /></div> <BR /><BR /><b>Was ist das kognitive Wohlbefinden?</b><BR />Ruckriegel: Zum kognitiven Wohlbefinden gehört die Bewertung des eigenen Lebens und der Ziele, die man sich setzt. Wer sich utopische Ziele setzt, wird scheitern und unzufrieden sein. Realistische Ziele sind eher zu erreichen. Wichtig sind auch wertebasierte Ziele, also jene, die mit persönlichem Wachstum, zwischenmenschlichen Beziehungen oder gesellschaftlichem Engagement zu tun haben. Man hat beispielsweise herausgefunden, dass ehrenamtlich engagierte Menschen glücklicher sind als andere. Weniger hilfreich sind übrigens Ziele wie Geld, Popularität oder äußere Schönheit.<BR /><BR /><b>Welche Erkenntnisse aus der Glücksforschung sollte jedes Unternehmen bzw. jede Führungskraft übernehmen?</b><BR />Ruckriegel: Die herkömmliche Auffassung lautet: Wenn wir möglichst viel und hart arbeiten, sind wir erfolgreicher – und wenn wir erfolgreich sind, dann sind wir glücklich. Die Forschungsergebnisse der Positiven Psychologie zeigen jedoch, dass es genau umgekehrt ist: Wir sind erfolgreicher, wenn wir gerne zur Arbeit gehen und unsere Arbeit zu unserem Wohlbefinden beiträgt. Das hängt eng mit der sogenannten intrinsischen Motivation zusammen – also der inneren Motivation, etwas zu tun, weil es Spaß macht, interessant ist oder sinnvoll erscheint. Nicht, weil es Pflicht ist oder nur gut bezahlt wird.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-70636817_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Was brauchen Menschen, um intrinsisch motiviert und zufrieden arbeiten zu können?</b><BR />Ruckriegel: Die Positive Psychologie hat dazu drei zentrale Grundbedürfnisse identifiziert. Erstens: Autonomie – das Gefühl, selbstbestimmt zu handeln; also eigene Entscheidungen zu treffen und im Einklang mit den eigenen Werten und Interessen zu arbeiten. Zweitens Kompetenz: das Gefühl, Dinge gut zu können und Fortschritte bei der Zielverfolgung zu machen. Und drittens: soziale Eingebundenheit – das Gefühl, zu anderen zu gehören, auch im Team in der Firma. Studien belegen, dass die Befriedigung dieser Bedürfnisse die intrinsische Motivation erhöht und damit auch das Engagement und die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber stärkt. Umgekehrt führt die Unterdrückung dieser Bedürfnisse zu Demotivation und negativen psychologischen Folgen. Daraus folgt: Berücksichtigen Unternehmen diese psychologischen Erkenntnisse, entsteht eine klassische Win-win-Situation – für die Mitarbeitenden und für das Unternehmen.<BR /><BR /><b>Was macht Mitarbeitende erfahrungsgemäß glücklich?<BR /></b>Ruckriegel: Ganz wichtig sind das Verhalten der Führungskräfte und dass die Arbeitssituation zu den Bedürfnissen und Wünschen der Mitarbeitenden passt. Ich nenne da gern ein besonders wirksames Führungsmodell: „Positive Leadership“. Es basiert auf dem psychologisch fundierten PERMA-Lead-Ansatz (siehe Infobox). Dieser wurde speziell für Führungssituationen weiterentwickelt. Einfach gesagt, geht es darum, dass sich die Führungskraft vom Leistungskontrolleur hin zum Coach für die Mitarbeitenden entwickeln muss. Positive Leadership steigert das Wohlbefinden der Mitarbeitenden und damit auch ihre Motivation und Leistung – und ihre Gesundheit. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-70636813_listbox" /><BR /><BR /><BR /><b>Wie lässt sich das Positive konkret in den Führungsalltag integrieren?</b><BR />Ruckriegel: Führungskräfte sollten gezielt positive Emotionen fördern, etwa durch konstruktive Kommunikation. Studien empfehlen beispielsweise ein Verhältnis von 6:1 bei positiven zu negativen Kommentaren. Daran sollten Führungskräfte gezielt arbeiten. Mitarbeitenden sollten sie Aufgaben übertragen, die ihren Stärken entsprechen – so kommen sie in den (in der Infobox erwähnten) Flow, der sie leichter und konzentrierter arbeiten lässt. Auch sollte man ihnen bewusst machen, warum ihre Tätigkeit wichtig ist und sie deshalb wichtig sind. Auch ein wertschätzendes Miteinander im Team ist zentral – das sollten Führungskräfte fördern. Schließlich noch ein wichtiger Punkt: Lob und Anerkennung! Das ist eine einfache, aber sehr wirksame Form der Mitarbeitermotivation.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1188870_image" /></div> <BR /><BR /><b>Die Arbeitssituation sollte den Bedürfnissen der Mitarbeitenden gerecht werden – ein oft schwieriges Unterfangen …</b><BR />Ruckriegel: Vielleicht oft eine Herausforderung, aber nicht unmöglich. Es geht darum, dass sich Mitarbeitende weder über- noch unterfordert fühlen, sondern in ihren Talenten und Fertigkeiten erkannt und gefördert werden. Bei einer guten Kommunikation stellen sich Bedürfnisse schnell heraus. Sie sollten auch das Gefühl haben, eigenständig zu arbeiten und Verantwortung zu haben. Und natürlich sind auch die individuellen Lebensumstände zu berücksichtigen. Das gilt auch und besonders für Eltern oder Pflegende. <BR /><BR /><b>Führungskräfte sind immer auch Charaktere. Kann jeder Charakter das gute Führen lernen?</b><BR />Ruckriegel: Leiter von Führungsseminaren behaupten das. Aber ich habe dazu leider keine konkreten Erfahrungen. Tatsache ist, dass Führungskräfte ohne ausreichende soziale Kompetenzen für diese Aufgabe nicht geeignet sind. Auch Fairness und Werteorientierung sind Grundvoraussetzungen für gutes Führen. Nicht zuletzt müssen Führungskräfte selbstreflektierend sein. <BR /><BR /><b>Ist der Ruf nach der Vier-Tage-Woche und nach Work-Life-Balance – nur eine Modeerscheinung oder eine Zeitenwende?</b><BR />Ruckriegel: Das ist definitiv Ausdruck einer Zeitenwende und keine bloße Modeerscheinung. Christoph Bornschein bringt es in seiner Kolumne „Vorwärts immer!“ im aktuellen „manager magazin“ sehr treffend auf den Punkt: „Was, wenn nicht eine ausgeglichene individuelle Work-Life-Balance, ist denn ein Zeichen von Wohlstand?“ Dem kann ich mich vorbehaltlos anschließen. Auch für Unternehmen ist es längst ein wichtiger Erfolgsfaktor geworden, die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden in diesen Bereichen ernst zu nehmen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1188873_image" /></div> <BR /><BR /><b>Was würden Sie einem älteren Geschäftsführer raten, der dennoch behauptet: „Die junge Generation will doch nur Freizeit“?</b><BR />Ruckriegel: Diese pauschale Aussage trifft so nicht zu. Für die junge Generation spielt Arbeit weiterhin eine bedeutende Rolle – sie ist jedoch nicht mehr das alles dominierende Element im Leben. Und das ist auch gut so. Die jüngere Generation denkt sehr reflektiert und „ökonomisch“ im besten Sinne: Sie wägt ab, wie ihre Lebenszeit sinnvoll gestaltet werden kann. Schließlich wollen wir unser Leben jetzt leben und nicht alles auf eine spätere Rente verschieben, die wir vielleicht nicht erreichen oder in der wir nicht mehr alles tun können. Früher war die Erwartung, dass das Leben vor allem aus Arbeit besteht – heute ist das anders, und diese Veränderung sollten wir als Gewinn sehen.<BR /><BR /><b>Blicken wir noch kurz in die Politik. Es gibt Länder, die machen es in punkto Glück offensichtlich besser als Italien oder auch Deutschland. Das sagt zumindest der UN-Glücksreport. Was hat es damit auf sich?</b><BR />Ruckriegel: Der „UN World Happiness Report“ misst und vergleicht die Lebenszufriedenheit – also das kognitive Wohlbefinden – in verschiedenen Ländern. Seit vielen Jahren sind die nordischen Länder ganz vorne gelistet. In diesem Jahr ist es Finnland vor Dänemark, Island, Schweden und den Niederlanden. Österreich liegt auf Platz 17, Deutschland auf Platz 22 – Italien sogar nur auf Platz 40. <BR />„WIKU“: Was ist der Hintergrund dieses Ergebnisses?<BR />Ruckriegel: Es gibt gut erforschte Gründe für die hohen Werte dieser Länder beim subjektiven Wohlbefinden. Einer der wichtigsten ist eine gute Versorgung mit sogenannten öffentlichen Gütern wie Bildung, Gesundheit und Infrastruktur. Dadurch gibt es weniger soziale Ungleichheiten. Vor allem in den skandinavischen Ländern ist es selbstverständlich, dass auch weniger reiche Menschen freien Zugang zu allen medizinischen Leistungen haben oder dass alle Kinder im Kindergarten und in der Ganztagsschule betreut und verköstigt werden. Daraus wiederum erwächst ein höheres Vertrauen in staatliche Institutionen und unter den Bürgern. Die Menschen haben eher als in anderen Ländern das Gefühl, ihr Leben selbstbestimmt gestalten zu können. <BR /><BR /><b>Wie schaffen es diese Länder aber, ihren Bürgern so viel zu bieten?</b><BR />Ruckriegel: Sie profitieren von einer langen Tradition des Wohlfahrtsstaates, die seit den 1940er-Jahren aufgebaut wurde – stark geprägt durch eine sozialdemokratische Politik. Die sozialen Leistungen sind hoch, aber dafür sind auch die Steuern höher als in anderen Ländern, weil das Ganze ja finanziert werden muss. Deshalb war es beispielsweise von Anfang an notwendig, dass auch die Frauen erwerbstätig sind. Das hatte den positiven Effekt, dass es zu einer stärkeren Gleichstellung von Mann und Frau kam. So ist dann auch das größere gesellschaftliche Vertrauen zu erklären. Es gibt hierzu noch viele Argumente. Aber natürlich lässt sich nicht alles, was in vielen Jahrzehnten entstanden ist, 1:1 auf andere Länder übertragen, sondern man sollte sich einfach an diesen Ländern orientieren – gerade wenn es darum geht, Bedingungen für mehr Lebenszufriedenheit zu schaffen.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-70637051_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wenn Sie der EU einen Gesetzesvorschlag zur Förderung des Glücks machen könnten – welcher wäre das?</b><BR />Ruckriegel: Eigentlich hat die EU bereits eine gute Grundlage geschaffen. Eine nachhaltige Entwicklung ist als übergeordnetes Ziel in den Verträgen der Union verankert – und dazu gehört ausdrücklich auch die Verbesserung der Lebensqualität und des Wohlbefindens der Menschen, heute und in Zukunft. Was jetzt fehlt, ist die konsequente Umsetzung: Glück und subjektives Wohlbefinden sollten als messbare Ziele in die Politikgestaltung einfließen. Die OECD zeigt in ihrem „Better Life Index“ seit 2011, wie konkrete politische Maßnahmen das Leben der Menschen in Bereichen wie Gesundheit, Bildung, Einkommen, sozialer Zusammenhalt oder Umwelt verbessern können. Ein Gesetzesvorschlag müsste also nicht bei null anfangen, sondern bestehende Ansätze stärken: Politik sollte nicht nur Wirtschaftswachstum im Blick haben, sondern das, was wirklich zählt – das Wohlergehen der Menschen.<BR /><BR /><b>Allen, die jetzt den Kopf schütteln und über Glücksforschung nur milde lächeln – was geben Sie ihnen zum Schluss mit auf den Weg?<BR /></b>Ruckriegel: Sie sollten sich ehrlich fragen: Worum geht es im Leben eigentlich? Um Geld? Um Ansehen? Oder um Wohlbefinden und ein glückliches Dasein? Schon Aristoteles sagte: „Glück ist das letzte Ziel menschlichen Handelns.“ Genau hier setzt die Glücksforschung an – fachübergreifend und wissenschaftlich fundiert. Sie untersucht, was Menschen wirklich brauchen, um ein gutes, erfülltes Leben zu führen, und wie sich diese Voraussetzungen schaffen lassen. Der frühere US-Notenbankchef Ben Bernanke – 2022 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet – formulierte es ungefähr so: „Das letztendliche Ziel der Ökonomie ist es, zu verstehen, was Wohlbefinden ausmacht und wie man es verbessern kann.“ Die Glücksforschung ist also keineswegs etwas Vages. Sie beruht auf Daten, Wissenschaft und klaren Empfehlungen – gerade auch aus der Ökonomie. Unter den Herausgebern des „World Happiness Report“ sind führende Ökonomen. Und der Wirtschaftswissenschaftler Angus Deaton hat für seine Arbeiten zur Glücksforschung sogar den Nobelpreis erhalten. Glück ist also nicht nur ein menschliches Bedürfnis, sondern längst auch ein ernstzunehmendes Thema für Wissenschaft, Politik und Wirtschaft.<h3> Zur Person</h3>Karlheinz Ruckriegel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fakultät Betriebswirtschaft der TH Nürnberg, beschäftigt sich seit 2005 mit dem Thema Glück. Er berät Unternehmen und Organisationen dabei, wie sie die Erkenntnisse der interdisziplinären Glücksforschung anwenden können, hält dazu Vorträge und gibt Workshops.<Rechte_Copyright></Rechte_Copyright>