„Bei allen europäischen Landwirten gab es schon länger einen Überdruss“, sagt die Studienleiterin beim Thinktank Agriculture Stratégies, Alessandra Kirsch, der Deutschen Presse-Agentur. Bisher seien die Agrarpreise recht gut gewesen, so dass die Landwirte zuversichtlich blieben. Doch der Jahresanfang sei schwierig gewesen, die Preise seien im Fall. „Es brauchte quasi nichts, damit der Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt“, sagt die Agrarexpertin. „Alle teilen wirklich das Gefühl, dass man ihnen immer mehr abverlangt.“<h3>Frankreich: Zu wenig Einnahmen, zu viele Regeln</h3>In Frankreich lodert die Unzufriedenheit der Landwirte bereits seit Monaten. Sie stören sich an sinkenden Einnahmen, Umweltvorschriften aus Brüssel und allgemein zu vielen Vorgaben. Und zuletzt war auch in Frankreich Agrardiesel teurer geworden. Seit einigen Tagen blockieren Bauern Autobahnen, werfen Reifen oder Abfälle vor Behörden ab. Berichten zufolge haben einige Demonstranten auch Lastwagen aus dem Ausland geplündert und das Obst und Gemüse im Kampf gegen angeblich ungleiche Wettbewerbsbedingungen auf die Fahrbahn geworfen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="989578_image" /></div> <BR /><BR />Die Gewerkschaften fordern Nothilfen für die Sektoren, denen es am schlechtesten gehe – vor allem die Biolandwirtschaft und den Weinbau – sowie Entschädigung für den höheren Dieselpreis. Außerdem sollten etwa Regelungen zur Wasserentnahme und zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zurückgenommen werden. Rechtsextreme versuchen, sich die Proteste zu nutzen zu machen und sich als Versteher der Bauern zu inszenieren.<h3>Polen: Frust über Getreideimporte aus Osten</h3>In Polen protestieren die Bauern bereits seit Monaten. Der Protest richtet sich vor allem gegen die vom Zoll befreiten Importe von Getreide und anderen Agrarprodukten aus der Ukraine. Die Landwirte beklagen, dass diese Produkte ihnen die Preise verderben. <BR /><BR />Unterstützt wird der Protest von der rechtsnationalen Partei Konfederacja, die auf anti-ukrainische Stimmungsmache setzt.<h3>Unzufriedenheit auch in Litauen</h3>In Litauen haben vergangene Woche mehrere Tausend Bauern gegen die Sparpläne und Agrarpolitik der Regierung des baltischen EU-Landes demonstriert. Sie sind mit Vorschriften zu Schutzgebieten, ihrer Einkommenssituation und den Milchpreisen unzufrieden und fordern, den Transit von russischem Getreide durch Litauen zu stoppen. Ähnlich wie in Deutschland geht es ihnen auch um den Preis von Kraftstoffen.<h3>Deutschland: Ärger um Agrardiesel</h3>In Deutschland war der Protest am geplanten Ende der Subventionen etwa für Agrardiesel entbrannt. Die Pläne wurden mittlerweile abgeschwächt. <BR /><BR />Für Einsparungen im Etat 2024 soll die seit mehr als 70 Jahren bestehende Agrardiesel-Begünstigung enden – statt auf einen Schlag wie ursprünglich geplant nun schrittweise über 3 Jahre. Eine angepeilte Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirtschaftsfahrzeuge hat die Regierung ganz fallen gelassen. Die Branchenverbände fordern eine völlige Rücknahme der Mehrbelastungen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="989581_image" /></div> <BR /><BR />Dem Magdeburger Extremismusforscher Matthias Quent zufolge versuchten nationalistische, rechtsextremistische und verschwörungsideologische Akteure, die Bewegung in Deutschland politisch zu instrumentalisieren. Teils legten Demonstranten eine drastische Symbolik an den Tag und bauten etwa Galgen, an denen eine Ampel hing.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="989584_image" /></div> <h3>Rumänien: Deutsche Proteste als Vorbild?</h3>In Rumänien haben Bauern und Transportunternehmer tagelang mit Traktoren Straßen blockiert, auch an Grenzübergängen zu Ungarn, Serbien und der Ukraine. Die Demonstrationen in Deutschland könnten ein Vorbild gewesen sein. Inzwischen sind die Proteste stark abgeflaut, weil die Regierung die Erfüllung einer der Hauptforderungen – die Senkung der Kfz-Versicherungskosten – versprochen hat. Zudem hat ein Versuch rechtsextremer Politiker, die Proteste zu instrumentalisieren, diesen einen Dämpfer verpasst: Die Mehrheit der Bauern will mit den Rechtsextremisten nichts zu tun haben. Andere Forderungen – Steuererleichterungen, mehr Subventionen, günstigere Kredite – blieben offen.<h3>Niederlande: Ventil für Unzufriedenheit</h3>In den Niederlanden liegen die Bauernproteste schon einen Moment zurück, hatten aber gewaltige Auswirkungen. 2021 und 2022 protestierten tausende Bauern im ganzen Land mit oft gewalttätigen Aktionen gegen Umweltauflagen, die nach Schätzungen zum Aus für mehr als 30 Prozent der Zuchtbetriebe führen werden.<BR /><BR />Die Bauern-Proteste wurden aber auch ein Ventil für allgemeine Unzufriedenheit von Bürgern. Eine neue rechtspopulistische Partei wurde gegründet, die BauerBürgerBewegung BBB. Und auch andere radikal-rechte Parteien versuchten, den Unmut der Bauern für ihre Zwecke zu nutzen. Bei den Regionalwahlen im Frühjahr 2023 wurde die rechte BBB auf Anhieb stärkste Kraft in allen Regionen. Auch bei der jüngsten Parlamentswahl im Oktober 2023 legte die BBB stark zu und könnte nun sogar mit in die Regierung einziehen, gemeinsam mit der Anti-Islam-Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders und 2 weiteren rechten Parteien.<h3>Proteste seit einer Woche auch in Italien </h3>Seit vergangener Woche haben die Demonstrationen auch Italien erreicht: In mehreren Städten – darunter Turin, Reggio Emilia, Modena, Bologna, Florenz, Mailand, Rom, Caserta und Neapel – protestierten Bauern gegen die EU-Agrarpolitik. Mit 100 Traktoren blockierten sie beispielsweise am Samstag stundenlang den Zugang zur „Autostrada del Sole“ (A1) unweit von Orten nördlich von Rom. In Trient fanden sich mehr als 200 Landwirte auf 150 Traktoren in der Stadt zum Protest ein.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="989587_image" /></div> <BR /><BR />Der Protest richtet sich gegen die Entscheidungen der Regierung und Brüssels, die laut den Bauern die italienische Landwirtschaft benachteiligen, und gegen den Anstieg der Rohstoffpreise. Die Landwirte fordern unter anderem Subventionen, eine Überprüfung der Großhandelspreise und sagen Nein zu dem von der EU zugelassenen Laborfleisch und Insektenmehl. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="989590_image" /></div> <BR /><BR />In vorderster Front mit dabei ist in Italien auch das Komitee der verratenen Bauern (C.R.A.) unter der Führung von Danilo Calvani, einem Kleinbauern aus Pontinia (Latium), der schon vor 10 Jahren die „Mistgabel-bewegung“ („Forconi“) angeführt und gegen den Sparkurs der damaligen Regierung protestiert hatte; die Bewegung war damals – und heute – offen von rechtsextremen Gruppen wie Forza Nuova unterstützt worden. Calvani sagt, die italienischen Landwirte fühlten sich „geplündert von der Politik“ und „gequält von den Banken“. Zudem richtet sich die Kritik des Komitees gegen die Landwirtschaftsverbände, von denen sich die protestierenden Bauern nicht vertreten fühlten. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="989593_image" /></div> <BR /><BR />Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida unterstrich hingegen, dass in Italien die Situation anders sei als in den anderen EU-Ländern. Denn: „Die Regierung Meloni steht ohne Wenn und Aber auf der Seite der Landwirte.“ In Italien gebe es keine Regierung, die überzeugt werden müsse wie in anderen Ländern. „Wir wissen, was zu tun ist. Jede Gelegenheit ist gut, um uns an die grundlegende Rolle unserer Landwirte in Italien und in Europa zu erinnern.“ Zudem betonte Lollobrigida, dass Italien „die Vergünstigungen für Agrarkraftstoffe beibehalten hat und nicht die Absicht hat, diese Entscheidung zu ändern, wie es in vielen Teilen Europas geschehen ist“.<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="989596_image" /></div> <h3>Kritik an der Agrarpolitik der EU</h3>In der Kritik sieht die Expertin Kirsch vor allem die gemeinsame EU-Agrarpolitik. Die EU zahlt Landwirten jedes Jahr dutzende Milliarden als Unterstützung. Ein großer Teil des Geldes wird vor allem nach Flächen vergeben, es gibt aber beispielsweise auch Zahlungen, die an Umweltauflagen geknüpft sind. Das Budget sei nicht hoch genug und die Vergabe nicht mehr an heutige Bedürfnisse angepasst. <BR /><BR />Auch Agrarsoziologe François Purseigle von der Toulouser Agrarhochschule INP-ENSAT sieht hier Probleme. „Diese Bewegungen in Europa zeigen eine Sache: Wie schwer es der EU-Agrarpolitik fällt, eine große Diversität landwirtschaftlicher Modelle und Unternehmensprojekte zu begleiten.“<BR /><BR />Beide Experten betonen aber auch, dass man die Proteste nicht über einen Kamm scheren sollte. Je nach Land gebe es spezifische Gründe für den Frust. Wie es aussieht, werden die Demonstrationen europaweit diese Woche mit größerer Wucht fortgesetzt, insbesondere in Frankreich und Belgien. Hier könnten die Traktoren am Donnerstag auch Brüssel erreichen, wo der Sondergipfel über den Mehrjahreshaushalt der Europäischen Union stattfindet.<h3> Was sagt Leo Tiefenthaler, Obmann des Südtiroler Bauernbundes, dazu?</h3><b>In ganz Europa gehen Bauern auf die Straße. Was sagt der Südtiroler Bauernbund dazu: verständlich oder übertrieben?</b><BR />Leo Tiefenthaler: Die Proteste haben ja in Deutschland angefangen, wo es vor allem um Steuerbegünstigungen für Agrardiesel und die Kfz-Steuer ging. Wir stehen als Bauernbund in Kontakt mit den bayerischen und deutschen Verbänden und haben auch ihre Forderungen unterstützt – allerdings spielen die Themen, die sie kritisieren, bei uns keine Rolle. In anderen Ländern richtet sich der Protest hingegen vielfach gegen die Bürokratie – und dieser Protest ist vollkommen richtig. Es sind teilweise so horrende bürokratische Auflagen zu erfüllen, dass zum Beispiel die entsprechenden Förderungen gar nicht mehr interessant sind . <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="989599_image" /></div> <BR /><BR /><b>Die Proteste in Italien richten sich grundsätzlich auch gegen die EU-Agrarpolitik. Zu Recht?</b><BR />Tiefenthaler: In der jetzigen Phase bin ich nicht überzeugt, dass das der richtige Weg ist. Denn es schaut so aus, als ob sich einiges zum Besseren wenden würden. Was den „Green Deal“ angeht, konnten einige Vorgaben, die nicht in die richtige Richtung gingen, abgewendet werden. <BR /><BR /><b>Zum Beispiel?</b><BR />Tiefenthaler: Ursprünglich hätten man von den Bauern zum Beispiel bis 2030 25 Prozent Bioproduktion erzwingen wollen. Das ist aber der falsche Weg. Wenn schon, dann muss man die Konsumenten davon überzeugen oder sie dazu animieren, mehr Bio zu kaufen. Man kann doch nicht jemanden zwingen, etwas zu produzieren, was man danach nicht verkaufen kann – was zurzeit leider der Fall ist. Im Obstbau hat man sich zuletzt schon schwer getan, rentable Preise für Bioware zu erzielen. Für Südtirol sind 25 Prozent Bioproduktion zwar kein Problem, aber grundsätzlich wäre diese Vorgabe unsinnig gewesen. <BR /><BR /><b>Waren die Proteste schon ein Thema beim Bauernbund?</b><BR />Tiefenthaler: Wir werden das Thema beim Landesbauernrat besprechen, schauen wie die Bezirke und die einzelnen Sektoren dazustehen. Aber grundsätzlich hat es jetzt wenig Sinn zu protestieren, wir möchten die neue Landesregierung erstmal anfangen lassen zu arbeiten. Zudem glaube ich, dass es besser ist zu versuchen, über Gespräche Verbesserungen zu erreichen. Proteste sind aus meiner Sicht das letzte Mittel, zu dem man greifen sollte.