<b>Herr Tappeiner, die Stimmung bei den Konsumenten und der Wirtschaft war letztes Jahr eher schlecht. Jetzt hat sich das Blatt gewendet. Überrascht?</b><BR />Gottfried Tappeiner: Überraschend ist, wie stark und wie schnell sich das Klima gebessert hat. Ich kenne niemanden, der mit einem derartigen Stimmungsumschwung gerechnet hat. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich das, was uns allen Ärger und Sorgen bereitet hat, langsam verschwindet, oder sagen wir, weniger relevant wird. <BR /><BR /><b>Haben wir 2022 vieles zu negativ betrachtet und jetzt übertreiben wir es ins Positive?</b><BR />Tappeiner: Der Pessimismus des vergangenen Jahres war trotz voller Auftragsbücher in vielen Branchen nachvollziehbar. Plötzlich waren Probleme von einer Größenordnung da, die wir so nicht kannten. Das hat für extreme Unsicherheit gesorgt. Nun zeigt sich aber, dass es mit den Lieferketten im Großen und Ganzen wieder passt, der Gaspreis wieder das Vorkrisenniveau erreicht hat und Öl zwar nicht ganz billig, aber doch deutlich günstiger zu haben ist als noch vor einigen Monaten. Zugleich boomt der Arbeitsmarkt. In Südtirol ist die Beschäftigung aktuell so hoch wie nie, die Arbeitslosenrate hingegen bei nur 1,8 Prozent. Kurzum: Es gibt eine massive Übernachfrage, die hierzulande teilweise auch mit den Coronahilfen und im restlichen Italien mit dem Aufbaufonds PNRR zusammenhängt. Aus heutiger Sicht waren diese Maßnahmen übertrieben, man hat übers Ziel hinausgeschossen. Das soll nicht als Kritik verstanden werden, weil zur damaligen Zeit niemand wusste, was da noch auf uns zukommen würde. Im Nachhinein ist man immer gescheiter. <BR /><BR /><b>Wie soll die Inflation sinken, wenn die Nachfrage hoch bleibt?</b><BR />Tappeiner: Das Konsumklima mag neuerdings zwar wieder besser sein, aber der Reallohnverlust ist eine Tatsache, und der wird sich binnen der nächsten 12 Monate in der Breite auf den Konsum auswirken. Bislang waren es hauptsächlich niedere Einkommensgruppen, die ihre Konsumgewohnheiten verändert haben, weil sie dazu gezwungen waren, um ihr Leben bestreiten zu können. In nächster Zeit werden das auch mittlere Einkommensgruppen tun müssen, die bis dato ihre Reserven lieber ausgegeben haben als auf der Bank zu parken und sie von der Inflation auffressen zu lassen. Das kann aber nicht ewig so weitergehen, weshalb ich davon ausgehe, dass es einen Rückgang des Konsums geben wird – auch bei der viel zitierten Mittelschicht. Ebenfalls nachfragedämpfend, und zwar was die betrieblichen Investitionen angeht, wirken sich die höheren Zinsen aus, die wohl weiter steigen werden. Noch scheint es, als hätte dies kaum Folgen, aber wir wissen, dass es mindestens ein Jahr dauern kann, bis sich dieser Effekt tatsächlich auf die Investitionstätigkeit auswirkt. Dazu kommen die erwähnten rückläufigen Energiepreise. Das zusammengenommen wird die Inflationsrate nach unten drücken. <BR /><BR /><b>Im März dürfte sehr wahrscheinlich eine weitere EZB-Zinserhöhung folgen. Geht die EZB angesichts der nicht gänzlich vorhersehbaren Folgen zu strikt vor, wie Kritiker beklagen?</b><BR />Tappeiner: Diese Kritik teile ich nicht. Die Nachfrage muss gedämpft werden, keine Frage. Ansonsten ist die Inflation nicht in den Griff zu kriegen. Was das Zinsniveau angeht, waren wir einfach wahnsinnig verwöhnt in den letzten Jahren. Wenn die Inflation sinkt und die Zinsen steigen, könnten wir uns mittel- bis langfristig bei einer Realverzinsung von 2 bis 2,5 Prozent einpendeln. Das ist ein völlig normales Zinsniveau. Aktuell ist die Realverzinsung, also die Verzinsung unter Berücksichtigung der Inflation, trotz der jüngsten Zinsanhebungen noch stark negativ, das sollte man nicht vergessen.<BR /><BR /><b>Wo sehen Sie die Inflationsrate bis Jahresende in Südtirol?</b><BR />Tappeiner: Ich denke, wir werden die Marke von 5 Prozent unterschritten haben. Die Inflation wird 2023 nach und nach zurückgehen. <BR /><BR /><b>5 Prozent Inflation ist aber immer noch deutlich erhöht. Wann halten Sie das von der EZB angepeilte Inflationsziel von 2 Prozent für realistisch?</b><BR />Tappeiner: Das kann schon bis zu 3 Jahre dauern. Einige glauben an eine Rückkehr auf dieses Niveau schon heuer, aber das halte ich ehrlich gesagt für unmöglich. <BR /><BR /><b>Könnte der Nachfragerückgang den Arbeitskräftemangel in Südtirol wenigstens vorübergehend entschärfen?</b><BR />Tappeiner: Wenn, dann nur geringfügig. Das Nachfragevolumen wird zu groß bleiben für das zur Verfügung stehende Angebot an Arbeitskräften. Dieses Ungleichverhältnis zwingt uns, die Produktivität erheblich zu steigern, sprich die Wertschöpfung je Arbeitsplatz. Das wird in einigen Branchen leichter gelingen als in anderen. In Branchen, die die Vorteile der Digitalisierung und Automatisierung nutzen können, man denke an weite Teile der Industrie oder den Energiebereich, ist das problemlos möglich. Schwieriger wird es in Sektoren wie den Einzelhandel oder den Transport, die nicht oder nur sehr schwer von sich heraus produktiver werden können. Im Gastgewerbe, das sich üblicherweise auch schwerer tut, die Produktivität zu steigern, ist Südtirol hingegen ganz gut unterwegs. Durch ein hochwertiges Produkt ist es in den letzten Jahren gelungen ein hohes Preisniveau zu etablieren. Aktuell passt die Produktivität vor allem in der 4- und 5-Sternehotellerie durchaus, aber eine Garantie für die Zukunft ist das freilich nicht.