„Herzlichen Glückwunsch zu 100 Jahren Defizit“ – unter diesem ironischen Titel hat die Deutsche Bank kürzlich eine Analyse der italienischen Staatsfinanzen veröffentlicht, die die diesem Medium vorliegt. So spöttisch die Überschrift klingt, so positiv fällt das Urteil aus: Italien sei längst in ruhigeren Fahrwassern unterwegs. Während viele Industrienationen ihre Schulden seit der Pandemie stark ausgeweitet haben, ist Italiens Schuldenquote seit dem Corona-Höchststand von rund 158 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf etwa 135 Prozent gesunken – ein Rückgang, der in der öffentlichen Wahrnehmung bislang kaum Beachtung findet.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1192620_image" /></div> <BR /> Seit 2014 bewegt sich Italiens Schuldenstand laut Studie auf stabilem Niveau. Zum Vergleich: Frankreichs Schuldenquote stieg im selben Zeitraum um 17 Prozentpunkte auf 113 Prozent, in den USA um 21 Punkte auf 121 Prozent und in Großbritannien um 14 Punkte auf 101 Prozent.<h3> Staat nimmt mehr ein, als er ausgibt</h3>Wie ist das möglich? Italien erwirtschaftet – entgegen vieler Vorurteile – regelmäßig sogenannte Primärüberschüsse. Das heißt: Der italienische Staat gibt – abgesehen von Zinszahlungen – weniger aus, als er einnimmt. In 27 der vergangenen 33 Jahre war das der Fall.<BR /><BR />Die teils strikten Haushaltsregeln der Eurozone – oft als wirtschaftliches Zwangskorsett kritisiert – haben Italien zu Disziplin gezwungen, wenn auch lange zulasten politischer Stabilität. Heute zahlt sich diese Disziplin aus: In einer Welt wachsender Schulden ist Italiens Haushalt mittlerweile eher die Ausnahme.<h3> Politische Lage hat sich beruhigt</h3>Auch politisch hat sich das Land stabilisiert. Die Regierung von Giorgia Meloni ist seit fast drei Jahren im Amt – und damit bereits die neuntlängste seit dem Zweiten Weltkrieg. In einem Land mit 133 Regierungen in den vergangenen 164 Jahren ist das beinahe ein politisches Wunder. „Bald könnte Melonis Kabinett sogar zur zweitlängsten ununterbrochenen Amtsperiode ohne Regierungsumbildung avancieren – ein deutliches Signal wachsender Kontinuität“, schreiben die Ökonomen der Deutschen Bank. <BR /><BR /><embed id="dtext86-70760037_quote" /><BR /><BR />Darauf verweist auch der Volkswirt Gottfried Tappeiner von der Universität Innsbruck: „Man kann von Meloni ideologisch halten, was man will – aber sie hat es geschafft, Italien international wieder als verlässlichen Partner zu positionieren“, sagt er gegenüber diesem Medium. Ihr moderater Kurs, die Distanz zu Rechtsaußen-Politikern wie Orban oder Le Pen und die klare Haltung gegenüber Russland hätten Italiens Ansehen gestärkt. „Investoren lieben Planbarkeit – sie ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Kapital fließt.“<h3> Spread aktuell unter Kontrolle</h3>Dass Italien zuletzt auf den internationalen Finanzmärkten wieder gefragt ist, zeigt sich auch an den Renditeunterschieden zu deutschen Staatspapieren. Während der Eurokrise 2011 betrug der sogenannte Spread über 570 Basispunkte (5,7 Prozent) – zuletzt lag er teils deutlich unter einem Prozent. Für Tappeiner ist das ein deutliches Zeichen: „Der geringe Risikoaufschlag zeigt Vertrauen. Italien wird nicht mehr als Wackelkandidat betrachtet.“ Den Einfluss der Politik auf diesen Vertrauensvorschuss beziffert er auf bis zu 0,75 Prozentpunkte – Geld, das sich der Staat über niedrigere Zinsen spart.<BR /><BR />Auch in einem geopolitischen Kontext spielt Italien eine konstruktive Rolle. Angesichts wachsender Spannungen im Welthandel – etwa durch das Auftreten von US-Präsident Donald Trump – könnten sich Kapitalströme neu ausrichten. „Europa wird wieder stärker in den Fokus rücken – und Italien ist dabei nicht unbedeutend“, so Tappeiner.<BR /><BR />Allerdings verweist der Uni-Professor auch auf einen wichtigen Punkt: Das jüngste Wachstum sei nicht allein aus eigener Kraft entstanden. Geschenkte EU-Milliarden, etwa aus dem „Next Generation EU“-Fonds, hätten eine zentrale Rolle gespielt und die Konjunktur gestützt. <h3> Ist Frankreich das neue Sorgenkind der Eurozone?</h3>Während Italien heute stabil wirkt, bereitet Frankreich den Ökonomen der Deutschen Bank zunehmend Sorgen. Das Land gibt – selbst ohne Zinszahlungen – mehr aus, als es einnimmt. Weist also ein Primärdefizit auf. Die Schulden steigen, und die Zinslast wird zur Belastung. Um gegenzusteuern, wären höhere Einnahmen oder schmerzhafte Einschnitte nötig. Doch in einem politisch zersplitterten Land scheint das derzeit kaum durchsetzbar. Wirtschaftswachstum allein wird das Problem nicht lösen. Bleibt die Kurskorrektur aus, droht ein Vertrauensverlust an den Märkten – mit möglichen Folgen für Kreditkosten, Investitionen und die gesamte wirtschaftliche Stabilität.<h3> Schulden sind nicht gleich Schulden</h3>Was also lässt sich nach 100 Jahren im Defizit festhalten? „Italien hat sich leise, aber effektiv aus der Rolle des ewigen Krisenkandidaten befreit. Die Kombination aus haushaltspolitischer Disziplin, wachsendem Vertrauen der Investoren und einer stabileren Regierung verleiht dem Land derzeit eine gewisse Stärke. Was bleibt, ist aber die hohe Schuldenquote und ein dringender Bedarf institutioneller Reformen – und das ohne in alte Muster zurückzufallen“, so Tappeiner. <BR /><BR /><embed id="dtext86-70760237_quote" /><BR /><BR />Wobei er das Schuldenmachen nicht prinzipiell kritisch sieht: „Wenn das Geld, das man sich leiht, für Investitionen genutzt wird, die morgen für höhere Wertschöpfung sorgen, ist es ok. Problematisch wird es dann, wenn man laufende Ausgaben auf Pump finanziert.“ <BR /><BR />Und was ist mit den Rüstungsausgaben, die aktuell bei den EU-Schuldenregeln ausgeklammert sind? „Heute denke ich, dass das legitim ist. Ebenso könnte man die Regeln aufweichen, wenn es um andere strategische Investitionen geht – etwa im Infrastrukturbereich. Mir ist aber auch bewusst, dass es recht schwierig ist, diese Differenzierung in der Praxis vorzunehmen, ohne, dass es nicht irgendwo von irgendjemandem zum eigenen Vorteil ausgenutzt wird.“