Die ehemalige deutsche Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries im Gespräch über öffentliche Verwaltungen, den Recovery Fund, Italien und die Wahlen.<BR /><BR /><BR /><BR /><b>Frau Zypries, die Pandemie hat die öffentlichen Verwaltungen weltweit in Bedrängnis gebracht und trotzdem haben plötzlich alle nach dem Staat gerufen. Welche Lehren kann und muss man daraus ziehen?</b><BR />Brigitte Zypries: Die Pandemie hat uns gezeigt, dass alle öffentlichen Verwaltungen in puncto Digitalisierung deutlich besser aufgestellt sein müssen, man braucht nur an die unmittelbaren Konsequenzen der Pandemie, das Homeschooling und das Homeoffice denken- da sind die Schwächen deutlich zutage getreten. Beide Orte müssen digitaler werden, aber hier fehlt es – zumindest in Deutschland – vielerorts schon bei den wichtigsten Voraussetzungen: der Hardware und der Internetverbindung. Was wir auch gesehen haben ist, dass die Gesundheitsämter besser aufgestellt sein müssen, um schneller reagieren zu können. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Wir haben in den vergangenen eineinhalb Jahren erlebt, dass die öffentlichen Verwaltungen in der EU, sei es bei den einzelnen Mitgliedsstaaten, als auch die der EU selbst, sehr schwerfällig sind – man denke nur an die unkoordinierten Coronaregeln und an die Beschaffung der Impfstoffe. Fällt uns nun auf den Kopf, dass wir immer noch zu wenig gegen die Bürokratie getan haben?</b><BR />Zypries: Das sehe ich nicht so. Bürokratie ist ja nicht per se etwas Negatives, ganz im Gegenteil. Bürokratie beugt Korruption vor, weil klar ist, wer was gemacht hat. Die Verwaltung wird mittels Bürokratie quasi an die Leine des Gesetzgebers gelegt und ihr Handeln wird gerichtlich nachprüfbar. Das ist wichtig im Rechtsstaat. Gerade in Deutschland haben wir während der Pandemie ja schlechte Erfahrungen mit einer freihändigen Vergabe gemacht…<BR /><BR /><embed id="dtext86-50493358_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Sie meinen mit der Schutzmasken-Beschaffung?</b><BR />Zypries: Genau. In diesem konkreten Fall gab es eher zu wenig Bürokratie. Was die Schwierigkeiten bei der Beschaffung des Impfstoffes anbelangt, so denke ich, dass dies weniger mit zu viel Bürokratie zu tun hatte, sondern eher damit, wie klar Zuständigkeiten geregelt sind und wie in der Krise die Abstimmung funktioniert. Es muss deutlich sein, wer die Verantwortung hat, die Mitgliedsstaaten oder die EU. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Es fehlt zwischen den Mitgliedsstaaten und der Europäischen Union also die Abstimmung?</b><BR />Zypries: Zumindest bei der Impfstoff-Beschaffung ist dies offenbar der Fall gewesen. Ansonsten hat sich die Abstimmung zwischen der EU und den einzelnen Staaten in den vergangenen Jahren meiner Meinung nach deutlich verbessert. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Die USA haben in dieser Krise deutlich schneller reagiert. Müsste die EU das Einstimmigkeitsprinzip bei Abstimmungen streichen, um in Krisenzeiten flexibler sein zu können?</b><BR />Zypries: Die USA waren bei der Impfstoff-Beschaffung bereit, mehr Geld auf den Tisch zu legen. Was das Einstimmigkeitsprinzip anbelangt, so macht es für mich grundsätzlich wenig Sinn, dass man Mitgliedsstaaten damit verprellt, dass man sie einfach überstimmt. Dadurch wird das Gesamt-System nicht besser. Man muss sich als EU aber überlegen, wie man sinnvoll vorwärtsgeht. Macht es Sinn, dass es eine Kerngruppe von Staaten gibt, die bei bestimmten Themen weitergehen wollen als andere Staaten? Diese Überlegungen gibt es ja. Aber einfach Mehrheitsentscheidungen fällen und andere überstimmen, das halte ich dauerhaft für wenig sinnvoll. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Wie bewerten Sie insgesamt das Krisenmanagement der Europäischen Union in der Corona-Pandemie?</b><BR />Zypries: Im Großen und Ganzen hat die Europäische Union gute Arbeit geleistet. Die Kommissionspräsidentin (Ursula von der Leyen, Anm. d. Red.) hat vor wenigen Tagen verkündet, dass 70 Prozent der Erwachsenen Einwohner der EU vollständig geimpft sind. Das ist eine gute Zahl, damit liegen wir nun vor den USA, die zwar einen rasanten Start hingelegt, nun aber stark nachgelassen haben. Die EU kann ihre Sache also nicht so schlechtgemacht haben, auch was die Frage der Hilfen für Unternehmen anbelangt. <BR /><BR /><embed id="dtext86-50493359_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Weil Sie das ansprechen: Der Recovery Fund war nicht unumstritten. Bei Ländern wie Italien befürchteten Mitgliedsländer, dass zwar Hilfsgelder fließen, die dafür versprochenen Reformen aber nicht umgesetzt werden. Wie bewerten Sie den Recovery Fund?</b><BR />Zypries: Der Recovery Fund ist ein gutes Mittel, um den einzelnen Staaten wieder auf die Beine zu helfen. Was Italien anbelangt, so muss man sagen, dass alle Befürchtungen hinfällig sind. Italien ist momentan ja quasi der Musterschüler der Europäischen Union. Ministerpräsident Mario Draghi macht seine Sache sehr gut. Aber auch abseits des Recovery Funds hat die EU-Hilfe funktioniert, man denke nur an die Geldmittel für Kurzarbeit. Die Tatsache, dass die EU-Staaten nun wieder relativ gut aus der Krise kommen, bestätigt dies. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Zu einem ganz anderen Thema: In 3 Wochen finden in Deutschland die Bundestagswahlen statt. Sie hoffen naturgemäß, dass Olaf Scholz der nächste Bundeskanzler sein wird. Welche Koalition wünschen Sie sich für die kommenden Jahre für Deutschland?</b><BR />Zypries: Ich hoffe, dass Olaf Scholz Bundeskanzler wird und wünsche mir, dass er eine Koalition aus SPD und den Grünen, gegebenenfalls noch mit der FDP, anführen wird. Ob das dann eintrifft, werden Wähler entscheiden.