<b>STOL: Beginnen wir mit Trumps „Tag der Befreiung“ am 2. April, dem Tag, als er die neuen US-Zölle der Welt präsentierte. Kamen diese Maßnahmen für sie überraschend?</b><BR /><BR />Jens Korte: Dass er Zölle mag und dass er solche einführen wird, das war nicht überraschend. Aber die meisten Beobachter hatten gedacht, dass sich die US-Zölle an den Zöllen orientieren, die andere Länder gegenüber den Vereinigten Staaten erheben. Dass sich Donald Trump und die Regierung bei diesen Zöllen erstmal nach dem Handelsbilanzdefizit orientieren, das war dann doch eine Überraschung. Da sind Zahlen herausgekommen, mit denen niemand in der Höhe gerechnet hat.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1165032_image" /></div> <BR /><BR /><b>STOL: Entsprechend war auch die Reaktion an der Börse. Wie waren die ersten Tage an der Wall Street?</b><BR />Korte: Die Reaktion ist schon heftig gewesen. Schlicht und einfach, weil höhere Zölle auch höhere Preise bedeuten, also sprich inflationäre Tendenzen. Das macht es dann der amerikanischen Notenbank wiederum fast unmöglich, die Zinsen zu senken. Darauf hatte sich die Wall Street aber schon so halb eingestellt. Das hat die Aktienkurse in New York erheblich belastet. Wir hatten den Nasdaq Composite, also technologielastige Aktien, zeitweilig über 20 Prozent im Minus. Letztendlich hat die Regierung eingelenkt und das hat die Kurse an der Wall Street zum großen Teil normalisiert.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69848268_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Nach der großen Ankündigung kommt meistens die Aussetzung der Maßnahmen. So auch jetzt mit China. Steckt dahinter Strategie oder Notwehr?</b><BR />Korte: Was immer ganz gerne gesagt wird, ist, dass das so ein bisschen „the art of the deal“ ist. Also dass Donald Trump erstmal groß droht, um dann von den anderen Ländern Zugeständnisse zu erzwingen. Aber ich habe eher das Gefühl, dass diese Regierung ziemlich konkrete Ziele verfolgt. Unter anderem, dass auch verstärkt wieder die Industrieproduktion ins Land zurückgeholt werden soll. Und dass die Regierung versucht, das mit relativ harten Maßnahmen zu erreichen. Ich glaube, es ist eher so, dass die Finanzmärkte und damit vor allem der Bondmarkt in einer Heftigkeit reagiert haben, wie das die US-Regierung selbst nicht erwartet hat, und sie deshalb gezwungenermaßen die Zölle teilweise zurücknehmen musste.<BR /><BR /><b>STOL: Wie steht es nach 100 Tagen Trump um die US-Wirtschaft?</b><BR />Korte: Es ist auf alle Fälle schwierig. Wir haben gerade die Berichtssaison, in der die Unternehmen ihre Quartalszahlen melden. Und Zölle sind einfach ein großer Unsicherheitsfaktor. Entsprechend haben die dutzendfach ihre Prognosen einfach zurückgenommen, weil sie gesagt haben: In diesem Umfeld ist es unmöglich, eine verlässliche Prognose abzugeben.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69848269_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Bleibt die Unsicherheit? Ist das jetzt die neue Normalität?</b><BR />Korte: Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass die Planbarkeit definitiv schwieriger wird. Ich glaube, dass diese Regierung bestimmte Ziele verfolgt, die erst mal auch mit einer gewissen Disruption einhergehen. Auch wenn jetzt die Regierung ein bisschen gemäßigter geworden ist, heißt das nicht, dass diese Regierung ihre langfristigen Ziele einfach fallen lässt. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir in der gesamten Amtszeit mit stärkeren Schwankungen rechnen müssen. Es gibt aber auch Bereiche, die davon profitieren werden.<BR /><BR /><b>STOL: Zum Beispiel?</b><BR />Korte: Der Finanzsektor, die Banken, die können von den Turbulenzen an den Finanzmärkten profitieren. Denn Banken verdienen, egal ob die Kurse steigen oder fallen – Hauptsache, es passiert was und es gibt stärkere Ausschläge. Die ganzen Handelsgeschäfte von den großen Wall-Street-Banken, die sind super gelaufen jetzt in den letzten Monaten.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69849580_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Droht den USA durch Trumps Kurs sogar eine Rezession?</b><BR />Korte: Das kann passieren. Wir hatten im ersten Quartal die amerikanische Wirtschaft mit einem leicht rückläufigen Wachstum von 0,3 Prozent. Wenn wir zwei Quartale in Folge rückläufiges Wachstum haben, dann sind wir technisch betrachtet schon in einer Rezession. Was zumindest auf dem Papier die amerikanische Wirtschaft noch stützt, das sind die Reichen. Die Top 10 Prozent der Amerikaner stehen mittlerweile für die Hälfte sämtlicher Konsumausgaben im Land. Dieser Aspekt wird für uns die Kerngröße sein in den nächsten Monaten. Denn ob die USA in eine Rezession steuern, entscheidet sich letztendlich am Konsum. <BR /><BR /><b>STOL: Eine Rezession hätte auch Folgen für den Rest der Welt …</b><BR />Korte: Ja, natürlich. Die USA sind jetzt zum Beispiel auch für Deutschland mittlerweile der größte Handelspartner. Und klar, wenn dieses Geschäft dann substanziell wegbrechen würde, dann hätte das natürlich auch Konsequenzen für die EU. Von dem gehe ich aber nicht so schnell aus.<h3> Zur Person</h3>Jens Korte lebt und arbeitet seit Ende der 1990er-Jahre in New York. Der gelernte Industriekaufmann berichtet nahezu täglich als Wirtschaftskorrespondent für den Nachrichtensender ntv, die Deutsche Welle, den Schweizer Rundfunk sowie die Neue Zürcher Zeitung direkt von der Wall Street. 2003 gründete er seine eigene Firma, newyorkgermanpress.