Überhaupt: Sich vegan zu ernähren, ist längst nicht mehr nur ein Trend. Das sagt die Inhaberin des einzigen veganen 4-Sterne-Hotels Italiens in Naturns.<BR /><BR />Über vegetarische und vegane Ernährung kann man Bücher, ja ganze Bibliotheken schreiben. Man kann heftig darüber diskutieren, was dafür, was dagegen spricht. Man kann Vegetarier belächeln und Veganer dämonisieren. Tatsache ist aber: Es gibt sie. Laut Statistiken ernähren sich rund 8 bis 10 Prozent der Europäer mittlerweile rein pflanzlich oder vegetarisch. Heute spricht man nicht mehr nur von einem Trend, sondern von einem Megatrend, also von etwas Tiefgreifendem, Anhaltendem. <BR /><BR />In Südtirol, wo Speck quasi zu den Grundnahrungsmitteln zählt, wo Milch fließt, kaum ein Gericht ohne Käse und Eier auskommt, tut man sich freilich schwer mit der „Veggie“-Bewegung, der nicht zuletzt die vegan lebende Greta Thunberg zu Aufschwung unter der Jugend verholfen hat. Aber es gibt auch zarte Versuche, auf den Megatrend aufzuspringen und damit eine nicht unbedeutende Klientel zu bedienen.<h3> Sanfter Widerstand</h3>Im Eisacktal, der Hochburg des Törggelens, übt ein Buschenschank gerade sanften Widerstand gegen die „Schlacht auf der Platte“. Beim „Röck“ in Villanders bietet die Familie Augschöll den Törggelegästen nur noch begrenzt Fleischprodukte an. Hingegen gibt es seit vergangenem Jahr auf Wunsch ein vegetarisches oder gar ein veganes Törggelemenü. <BR /><BR />Zu diesem auf den ersten Blick doch etwas ungewöhnlichen Angebot gibt es natürlich eine Geschichte, und die beginnt in Wien. Dort nämlich hat Carmen Augschöll, Jahrgang 1991, über längere Zeit gelebt, war beruflich – sie arbeitete für die österreichische Weinwirtschaft – zudem in aller Welt unterwegs. Im September 2021 kehrte die ausgebildete Winzerin und Yogalehrerin in den elterlichen Weinhof zurück, den sie später zusammen mit ihrem Bruder Hannes weiterführen möchte. Carmen Augschöll war glücklich, wieder in Südtirol und vor allem in den Bergen zu leben. Doch eines vermisste sie: die vegetarische Küche.<BR /><BR />„Ich habe in Wien begonnen, mich fleischlos zu ernähren, vor allem aus Umwelt- und Tierwohl-, aber auch aus gesundheitlichen Gründen.“ Und es sei in der Großstadt absolut kein Problem gewesen, entsprechende Produkte oder Restaurants zu finden. „Der vegetarische und auch der vegane Lifestyle sind dort etwa ganz Normales.“ <BR /><BR />In Südtirol ist das offensichtlich noch anders. In bestimmten Situationen, eben beim Törggelen, wird es quasi vorausgesetzt, dass die Gäste Fleisch essen. „Wir haben dann in der Familie darüber diskutiert“, erzählt Carmen Augschöll weiter. Denn: „Wenn wir Jungen den Hof eines Tages übernehmen, dann müssen wir uns damit auch identifizieren können.“<BR /><BR />Carmens Bruder isst ebenfalls sehr wenig Fleisch. Er hat den Hof im Lauf der vergangenen Jahre schrittweise auf eine natürliche Weinproduktion umgestellt und war von der Idee der Schwester, das Angebot im Buschenschank auch beim Kulinarischen in Richtung Nachhaltigkeit zu verändern, sofort angetan. „Nachhaltigkeit bedeutet für mich vor allem, auf Fleisch zu verzichten oder zumindest nur jenes Fleisch anzubieten, das bei uns am Hof weiterverarbeitet wurde“, sagt die 31-Jährige. <BR /><BR />Die vegetarischen und veganen Törggelemenüs als Alternative sollten jene Gäste ansprechen, die dem Törggelen wenig abgewinnen können. Und für die Liebhaber des Klassischen gäbe es ja immer noch Hauswurst mit Kraut, Kaminwurzen und Speck – auf Fleisch direkt von einem Bauern und selbst weiterverarbeitet. <h3> Omas Zustimmung</h3>Während ihre Eltern, die den Buschenschank jahrzehntelang in traditionellem Stil geführt hatten, zunächst ziemlich skeptisch waren, zeigte sich Oma Maria – heute 93 – überraschend aufgeschlossen. Das hatte einen Grund. „Auch vor vielen Jahrzehnten, als sie den Buschenschank eröffnete, spielte Fleisch beim Törggelen nur eine Nebenrolle. Es gab zum Beispiel Graukäse, hausgemachte Butter mit ,Keschtn' und ,grüne Villanderer Krapfen' aus Kartoffelteig mit Spinatfüllung.“ Warum also nicht zurück zum Ursprung? <BR /><?Schrift SchriftWeite="99ru"> <BR />Schließlich ließ sich auch Mama Frieda, die Chefin in der Küche, überreden und wagte das Experiment. Ziemlich schnell stellte sich heraus, dass fleischloses Törggelen keine Hexerei ist. „Die Vorbereitung vegetarischer Speisen dauert zwar länger, aber wenn die Gäste da sind, gibt es in der Küche keinen Stress mehr.“ So stehen zum Beispiel Kürbissuppe, Kartoffelblattln mit gedünstetem Weißkraut, Rote-Bete-Tatar oder geräucherte Karotten auf der Speisekarte. Letztere werden mit den Hauswürsten und Kaminwurzen in der 400 Jahre alten Selchküche einfach mitgeräuchert und sind eine Spezialität, die bei Veganern als Alternative zum Räucherlachs bekannt sind. Ungewöhnlich sind auch fermentierte Kastanien, die Veganern als Alternative zum Graukäse serviert werden, weil sie ähnlich schmecken. „Es braucht einfach nur ein bisschen Mut zum Experimentieren, und man muss die Gäste ein wenig an das Neue heranführen“, weiß Carmen Augschöll. <BR /><?_Schrift> <BR />Ohne das besondere Törggeleangebot groß zu bewerben, eroberte die Familie Augschöller damit bereits im ersten Herbst 2021 die Gaumen der Gäste. Und nicht nur jene der Fleisch-Abstinenzler. „Es kommt oft vor, dass Fleisch-Esser die vegetarische Variante wählen oder zumindest einen Teil davon ausprobieren“, sagt die Juniorchefin. Und auch sie selber fühlt sich wohl mit dem Angebot, das niemanden aus der Gemeinschaft ausschließt, wie sie sagt.<h3> Vegan im Urlaub</h3>Schauplatz-, aber nicht Themenwechsel: In Naturns befindet sich das nach eigenen Angaben einzige vollkommen vegane 4-Sterne-Hotel Italiens und wohl auch das einzige seiner Art in Südtirol. Das „La Vimea“ wird von Valeria Caldarelli geführt, einer überzeugten Veganerin, bei der man schon im Gespräch spürt, dass die Philosophie ihres Hauses dort auch gelebt wird. Vegan sei kein Trend sagt sie. Vegan sei eine Lebenseinstellung. Es gehe um den Respekt vor den Tieren, aber generell vor der Natur. Deshalb steht auf ihren Speisekarten nicht nur „100 Prozent vegan“, sondern auch „100 Prozent biologisch“. <BR /><BR />Valeria Caldarelli findet es schade, dass die „vegane Community“, wie sie sie nennt, in Italien und auch in Südtirol nach wie vor schief angeschaut werde und Touristen mit Ferienwohnungen vorlieb nehmen müssten, weil das vegane Angebot dürftig sei. Ihnen, den Vermeidern jeglicher tierischer Produkte, möchte sie einen entspannenden Urlaub an einem Ort bieten, an dem sie sich nicht „wie Außerirdische“ fühlen. Angesichts der wachsenden Zahl von Veganern erfreut sich das „La Vimea“ durchaus guter Nachfrage. Doch Valeria Caldarelli möchte mehr als nur „Zufluchtsort“ für eine geschlossene Gesellschaft von Außenseitern sein. „Wir sind offen, aufgeschlossen für alle, die einfach reinschauen und sich davon überzeugen möchten, dass vegan nicht eintönig und fad ist, sondern durchaus reif für die gehobene Küche“, sagt sie. Deshalb gibt es hier auch ein Restaurant. <h3> Großer Aufholbedarf</h3>Rund 80 Prozent der Hotelgäste sind bekennende Veganer, schätzt Valeria Caldarelli, der Rest Urlauber, die entweder neugierig auf den Lebens- und Ernährungsstil sind, oder einfach Mitreisende. „Es gibt Kinder, die weigern sich, mit ihren Eltern in den Urlaub zu fahren, wenn sie nicht vegan essen können. Solche Familien kommen dann zu uns.“ Und die Eltern seien durchwegs angetan, versichert die Gastwirtin, deren Sohn Alexander Spögler auf der Seiser Alm mit dem „Paradiso“ ein rein auf Vegetarier und Veganer ausgerichtetes Hotel führt.<BR /><BR />Valeria Caldarelli hat die Erfahrung gemacht, dass das Land des Specks für ihre Familie und deren vegetarisch-veganen Philosophie ein durchaus schwieriges Pflaster ist. Doch sie hat nicht vor aufzugeben. Im Gegenteil: Sie zeigt sich durchaus kritisch und bereit für eine Diskussion, wenn sie mehr Gehör und Zuspruch für die Gäste verlangt, die den „nachhaltigen“ Lebensstil gewählt haben. „Wenn wir von Qualitätstourismus sprechen, dann wäre es angebracht, dass es in 4- und 5-, aber auch 2- und 3-Sterne-Häusern für vegan lebende Gäste zumindest ein seriöses Angebot auf der Speisekarte gibt.“ <BR /><BR />Ein ganzes Haus vegan zu führen, dazu gehöre jedoch viel mehr: „Es muss authentisch sein. Und das bedeutet, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Philosophie teilen.“ Solche Mitarbeiter zu finden, sei nicht einfach, sagt sie. Andererseits hat sie gemerkt, dass vermehrt junge Menschen fragen, ob sie in ihrer Küche praktizieren dürfen, und das gibt ihr Hoffnung. Bei der Ausbildung hapere es aber noch gewaltig. Solange in den Hotelfachschulen Gemüse noch immer als eine reine Beilage betrachtet werde, sehe sie schwarz. „Ich denke, es ist Zeit, dass Südtirol die Entwicklung hin zu einer nachhaltigen, gesunden, umweltschonenden Küche als Chance sehen und die Herausforderung annehmen sollte, auch in der Ausbildung der jungen Menschen.“                       <BR />