Für Weinliebhaber ist klar: „Wein ist kein normales Lebensmittel, es ist Genuss und erzählt die Geschichte seines Terroirs.“ Brüssel sieht dies anders und stellt nun – was die Etikettierungspflichten angeht – Wein dem Frühstücksmüsli gleich, einem x-beliebigen Lebensmittel also. Mit den Weinen des neuen Jahrgangs, die im kommenden Jahr in den Regalen stehen werden, müssen die Hersteller angeben, was drin ist. <BR /><BR />Genau genommen, ist die Regelung zwar schon seit 8. Dezember 2023 in Kraft getreten, doch Konsumenten sind ihr bislang in der Praxis kaum begegnet: „Der Grund dafür ist, dass das Produktionsdatum entscheidend für die Kennzeichnungspflicht ist. Bei Stillweinen wurde dieses Datum auf das Ende der Gärung gelegt. Da nahezu alle Weine des Jahrgangs 2023 bis zum 8. Dezember 2023 bereits fertig vergoren waren, galten sie zu diesem Stichtag bereits als produziert, und somit von der Angabepflicht befreit“, so Michael Wild vom Konsortium Südtirol Wein.<BR /><BR /><embed id="dtext86-67546628_quote" /><BR /><BR /> „Beim Sekt verhielt es sich hingegen anders: Hier wurde als Produktionsdatum das Ende der zweiten Gärung herangezogen. Wodurch aufmerksame Leser bereits vereinzelt aktualisierte Südtiroler Weinetiketten im Handel wiederfinden konnten. Für den Jahrgang 2024 gibt es nun keine Ausnahmen mehr. Dann muss jeder Weinproduzent die neuen Etikettierungsrichtlinien einhalten“, erläutert Wild. <h3> Das muss draufstehen</h3>Wie sieht die neue Kennzeichnungspflicht genau aus? „Der Hersteller muss detaillierte Nährwertangaben, Zutatenlisten und Informationen zu Allergenen angeben. Während Allergene bereits zuvor deklariert werden mussten, ist die Einführung von Nährwertangaben eine bedeutende Neuerung“, weiß Lukas Pichler vom Bereich Etikettierung und Produktsicherheit bei der Handelskammer Bozen. Diese Regelung soll den Verbrauchern helfen, informierte Entscheidungen zu treffen und ihre Kalorienaufnahme besser zu kontrollieren. Erklärtes Ziel ist es, mehr Transparenz für Verbraucher zu schaffen.<BR /><BR />„Um Platz auf den Etiketten zu sparen und dennoch alle erforderlichen Informationen bereitzustellen, haben die Produzenten die Möglichkeit, einen QR-Code anzubringen. Dieser Code kann auf eine Webseite verlinken, auf der weitere Details zu Nährwerten und Zutaten bereitgestellt werden. Allerdings müssen bestimmte Angaben wie Kilokalorien und allergene Stoffe weiterhin direkt auf dem Etikett sichtbar sein“, führt Pichler gegenüber diesem Medium weiter aus. Dass ein schwerer Rotwein also bis zu 100 Kilokalorien je 100 Mililiter haben kann, erfährt jemand mit dem ersten Blick aufs Rücketikett. <BR /><BR />Weitere Details zu den Nährwerten werden in standardisierter Tabellenform auf der Webseite dargestellt, die man via Scan des QR-Codes öffnen kann. „Die Tabelle muss Informationen über Brennwert, Kohlenhydrate und Zucker enthalten. Bei Wein können die numerischen Angaben der Gehalte an Fett, Fettsäuren, Eiweiß und Salz durch den Hinweis ,enthält geringfügige Mengen von…' ersetzt werden“, so Pichler. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1101003_image" /></div> <BR />Zusätzlich zu den Nährwerten müssen laut dem Experten der Handelskammer auch alle Zutaten aufgeführt werden. Dazu zählen mindestens Trauben und der Einsatz von Schwefel. In vielen Fällen kommen weitere vom Gesetzgeber für zulässig erachtete Zusatzstoffe hinzu. Verarbeitungshilfsstoffe, die sich technologisch nicht auf den fertigen Wein auswirken, müssen hingegen nicht deklariert werden, außer wenn es sich um Allergene wie Schwefeldioxid, Kaliumbisulfit, Kaliummetabisulfit, Lysozym, Casein, Kaliumcaseinate oder Eieralbumin, handelt. <h3> Große Umstellung für kleine Betriebe</h3>Für die Produzenten, vor allem die kleineren in Südtirol, bedeutet die Neuregelung eine mitunter erhebliche Umstellung. „Es ist für diese Betriebe nicht ohne, sich an die neuen Pflichten anzupassen. Ein Mehraufwand ist es allemal.“<BR /><BR /> Während die größeren Betriebe und Kellereien die QR-Codes und die weiterführende Webseite über eine Software erstellen, die käuflich zu erwerben sei, könnten sich das die kleinen nicht leisten. <BR /><BR />„Für sie haben wir auf Initiative von Weinkonsortium, Freien Weinbauern und Bauernbund das kostenlose Tool E-VIN entwickelt. Damit ist es möglich, Erweiterungen der Weinetikette zu generieren, indem die Nährwertberechnungen automatisiert erfolgen. Die Zutaten und die Umweltkennzeichnung stehen als Auswahlmöglichkeiten bereit. E-VIN erstellt für jede Etikette eine eigene Internetseite, um den Auflagen zum Werbeverbot und dem Datenschutz gerecht zu werden.“ <BR /><BR /><embed id="dtext86-67546743_quote" /><BR /><BR />Stichwort Werbeverbot: „Wir haben in Workshops gemerkt, dass diesen Aspekt viele unterschätzen: Das Gesetz schreibt nämlich vor, dass auf der Webseite mit den Nährwerten und Zutaten keinerlei kommerziellen Angebote zu finden sein dürfen, ja nicht einmal das Logo des Weinguts.“<BR /><BR />Wer die neuen Pflichten missachtet, muss mit drastischen Sanktionen rechnen. „Werden die Allergene nicht angegeben, droht eine Strafe von 10.000 Euro je Übertretung. Gibt jemand die Zutaten und Nährwerte nicht an, sind es ab 6000 Euro“, so Pichler. Die Kontrollstelle im italienischen Landwirtschaftsministerium überprüft, ob die Weinflaschen die Kennzeichnungs-Anforderungen erfüllen.<h3> „Für uns wäre es ein Vorteil“</h3>Das Weingut Pfitscher, mit einer Jahresproduktion von 180.000 Flaschen kein Kleinproduzent in Südtirol, sieht die Regelung ambivalent. „Eigentlich ist es nicht nötig, eine solche Weinkennzeichnung einzuführen. Wein ist Kultur und Geschichte. Dass das Brüssel vergisst, ist bedauernswert“, beklagt Daniel Pfitscher, Geschäftsführer des Montaner Weinbetriebs. <BR /><BR /><embed id="dtext86-67546624_quote" /><BR /><BR />Er erkennt jedoch auch die Chancen: „Südtirol punktet vor allem durch eine hohe Qualität und Reinheit im Wein. Viel mehr als Trauben und Schwefel wird auf den allermeisten Zutatenlisten nicht zu finden sein“, sagt Daniel Pfitscher, Geschäftsführer des Montaner Weinbetriebs. „Wir haben nichts zu verbergen; im Gegenteil können wir eher Vertrauen dazugewinnen, gerade in Zeiten, in denen Nachhaltigkeits- und Gesundheitsaspekte eine immer wichtigere Rolle spielen.“ <BR /><BR />Pichler argumentiert ähnlich: „Manch ein Weintrinker könnte überrascht sein, wenn er sieht, was der eine oder andere Produzent, nicht aus Südtirol, so alles einsetzt.“ Selbst von Weinführern und Fachmagazinen hochgelobte, aber nachweislich „gemachte“ Weine könnten so in der Gunst ein wenig von ihrem Glanz verlieren. „Fix ist das aber nicht, weil wir erst sehen müssen, ob sich Verbraucher überhaupt für die Nährwerte im Wein interessieren“, meint Pfitscher. „Für uns wäre es in jedem Fall ein Vorteil.“ <BR /><BR />Übrigens: Nicht nur Winzer in der EU müssen sich an die neue Pflicht halten, sondern alle Produzenten, die ihre Weine in die EU verkaufen wollen. <h3> Digitale Pioniersleistung oder Diskriminierung?</h3>Auf einen Punkt will Pichler noch hinweisen: „Die EU läutet mit der Kennzeichnungspflicht eine neue Ära ein. Erstmals sind die Nährwerte und Zutaten auf einem Produkt nur digital einsehbar. Das gibt es bis dato bei keinem einzigen Lebensmittel.“<BR /><BR /> Michael Wild vom Weinkonsortium sieht die digitale Darstellungsform positiv: „Die notwendigen Informationen können automatisch in die jeweilige Sprache übersetzt werden, je nachdem, in welchem EU-Land der Endverbraucher den Scan durchführt. Und: Etikettenbestellungen können bereits im Voraus getätigt werden. Dazu werden QR-Codes generiert und die erforderlichen Weinparameter können zu einem späteren Zeitpunkt, beispielsweise nach Erhalt der Weinanalyse, digital nachgetragen werden. QR-Codes sind deutlich kleiner als alle obligatorischen Informationen in Textform. Die Weinetikette wirkt insgesamt aufgeräumter und der Endkonsument erhält mehr Informationen zum jeweiligen Wein.“<BR /><BR /><embed id="dtext86-67546029_quote" /><BR /><BR />Silke Raffeiner, Ernährungsexperten bei der Verbraucherzentrale Südtirol (VZS) sieht die QR-Code-Lösung dagegen kritisch: „Das ist nicht sehr konsumentenfreundlich, zumal ältere Menschen mit der Nutzung von digitalen Angeboten nicht so vertraut sind.“ Prinzipiell aber sieht sie die Kennzeichnungspflicht als Fortschritt: „Mehr Informationen bedeuten mehr Transparenz. Es war höchste Zeit, den Wein von seiner Sonderrolle zu befreien. Und: Sollte jemand kein Gefühl dafür gehabt haben, wie viele Kalorien im Wein stecken, bekommt er nun Klarheit. Im besten Fall führt dies zu einem bewussteren Umgang mit Alkohol.“