„Das Ende der Ehe von Bill und Melinda Gates ist ein emblematisches Ereignis“, sagt Professor Alfredo De Massis, Direktor des Zentrums für Familienunternehmen an der Freien Universität Bozen. <BR /><BR />Vielen Südtirolern mag der familiengeführte Handwerksbetrieb einfallen, wenn von solchen Unternehmen die Rede ist – aber auch der Microsoft-Gründer und seine Frau standen während ihrer 27 Jahre dauernden Ehe einem Familienbetrieb vor – wenn auch einem ungleich größeren. Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung beschäftigt heute 1600 Mitarbeiter und verfügt über ein Stiftungsvermögen von 50 Milliarden Dollar. Die Gates-Scheidung zeige wie jene von Amazon-Chef Jeff Bezos, dessen Ehe 2019 nach 25 Jahren in die Brüche ging, in welche Krise das Konzept der Familie geschlittert sei – und was das für Wirtschaft und Gesellschaft bedeute, sagt De Massis. Der Fall Gates werfe ein Licht auf Spannungsfelder, die Geschäftsfamilien auf allen Kontinenten betreffen.<BR /><BR />Eine Scheidung ist keine schöne Sache. Noch komplizierter werden die Dinge, wenn die Beziehung mit einem großen Vermögen verflochten ist und mit mehreren Organisationen, an denen die Ehepartner beteiligt sind: Was passiert mit den Organisationen und Stiftungen, wenn sich die Unternehmerfamilie auflöst? <BR /><BR /><BR />Aus der Analyse der Trennung der Eheleute Bill und Melinda Gates hat De Massis 3 Spannungsfelder identifiziert: Mit Blick auf die Südtiroler Wirtschaft, aber auch die italienische und europäische stelle sich die Frage, wie der Wert von Unternehmerfamilien erhalten werden kann.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="647768_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Wenn Familie und Geschäft miteinander verflochten sind, wird es bei einer Scheidung kompliziert: Was passiert, wenn sich eine Familie auflöst, die in verschiedenen geschäftlichen und sozialen Organisationen verflochten ist?</b><BR />Alfredo De Massis: Wenn Ereignisse eintreten – wie im Fall der Eheleute Gates eine Scheidung – und wenn dadurch wirtschaftliche und soziale Interessen auf dem Spiel stehen, entstehen Situationen potentieller Spannungen. <BR /><BR /><b>Sie haben 3 Spannungsfelder identifiziert: Welche sind das?</b><BR />De Massis: Die erste Art von Spannung betrifft in diesem speziellen Fall die Fähigkeit, Macht in der Organisation auszuüben. Das geht einerseits durch das Vermögen: Vermögenswerte sind eine Quelle der Macht. Im Fall Gates haben die Eheleute angekündigt, diese aufteilen zu wollen. (Bill und Melinda Gates haben eine Vereinbarung zur gegenseitigen Trennung unterzeichnet, in der Vermögenswerte im Wert von mehr als 150 Milliarden US-Dollar aufgeteilt werden, kombiniert mit Beteiligungen an anderen Unternehmen, Anwesen und Villen, Anm. d. Red.) Auf der anderen Seite haben sie gegenüber der Presse erklärt, dass sie beide Co-Leiter der Stiftung bleiben werden. Aber ist es möglich, eine Ehe zu beenden, das Vermögen aufzuteilen und die Führung von Organisationen weiterhin gemeinsam zu gestalten?<BR /><BR /><b>Welche Spannungsfelder sehen Sie noch, abseits der Machtfrage?</b><BR />De Massis: Eine zweite Art von Problem, von Spannung, betrifft die Ebene der Zeit, der zeitlichen Orientierung. Die Familie als soziales System hat eine langfristige Vision. Ihr wohnt die Idee inne, Wohlstand über Generationengrenzen hinaus zu garantieren. Diese projiziert sich tendenziell in Organisationen, in denen Unternehmerfamilien involviert sind, in Investitionen und in strategische Entscheidungen. Schauen wir uns den Fall Gates an: Bill und Melinda haben Kinder bekommen. Daher gibt es einerseits diese intergenerative, langfristige Orientierung – wenn man so will, eine, die vertikal in die Zukunft gerichtet ist. Gleichzeitig findet auf der horizontalen oder intragenerationalen Ebene mit der Scheidung ein Bruch statt. Die Scheidung bedingt eine kurz- oder mittelfristige Umorientierung: Die ehemaligen Partner widmen sich unterschiedlichen Zielen. Das ist ein Trend, den wir nicht nur im Fall Gates sehen. Die Frage ist nun: Wie können diese unterschiedlichen Zeithorizonte nebeneinander bestehen und die Spannungen zwischen ihnen bewältigt werden, damit die Unternehmerfamilie auch in Zukunft weiter gedeihen kann?<BR /><BR /><b>Bevor wir über die Antwort darauf nachdenken: Welches dritte Spannungsfeld gibt es?</b><BR />De Massis: Die dritte Art von Spannung, die zumindest potenziell Probleme schafft, sind Spannungen auf der Ebene der Ziele. Wie alle Unternehmerfamilien verfolgt auch die Familie Gates sowohl wirtschaftliche als auch nicht-wirtschaftliche Ziele: Durch ihren Einsatz im sozialen und kulturellen Bereich etwa oder für den Umweltschutz. Es geht dabei um Nachhaltigkeit. Aber was passiert, wenn die Familie selbst nicht nachhaltig ist? Die getrennten Partner stellen in gewisser Weise ein Problem für die Erreichung der Ziele der Stiftung dar – möglicherweise zum Schaden der Gemeinschaft, zu deren Wohl sie ursprünglich beitragen wollten.<BR /><BR /><b>Was folgt daraus? Kann man diese Spannungen auflösen?</b><BR />De Massis: Das Verständnis dafür, wie unterschiedliche Zeithorizonte wirken, wird sehr wichtig sein. Wir sollten darüber nachdenken, wie unterschiedliche Ziele und Wertvorstellungen Unternehmerentscheidungen beeinflussen können – nicht nur für die Zukunft der berühmten Familien, von denen wir in den Zeitungen lesen, sondern für Unternehmerfamilien im Allgemeinen. Die Familie als soziales System ist zweifellos in der Krise. Das ist ein besonderer historischer Moment.<BR /><BR /><embed id="dtext86-49224846_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wie meinen Sie das?</b><BR />De Massis: Wir wissen, dass besonders in Italien die Geburtenrate sehr niedrig ist. Wir wissen, dass es in Europa eine große Zunahme der Zahl der Scheidungen und einen Rückgang der Eheschließungen gegeben hat. Wir wissen, dass sich neben der traditionellen Kernfamilie auch andere Familienmodelle etabliert haben. Ich denke da zum Beispiel an De-facto-Paare, aber auch an Lebensgemeinschaften, an Großfamilien: Das traditionelle Familiensystem erlebt eine Krise. Ich bin überzeugt davon, dass es wichtig ist, über die 3 genannten Arten von Spannungen nachzudenken. Die Zukunft der Unternehmerfamilien hängt davon ab – und in Europa sind das 85 Prozent der Unternehmen.<BR /><BR /><b>Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?</b><BR />De Massis: Das Konzept der Familie und die Rolle der Familie verändern sich. Aber eine Organisation hat nach wie vor besondere Stärken, wenn eine Familie hinter ihr steht: Die Mitarbeiter werden nicht als Zahlen betrachtet, es gibt einen persönlichen Bezug. Um in Krisenzeiten zu überleben und zu gedeihen ist das fundamental – das erleben wir nun, nach dieser Pandemie, ganz deutlich.<BR /><BR /><embed id="dtext86-49224845_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Woran machen Sie das fest?</b><BR />De Massis: Familienunternehmen können besser reagieren als solche, in denen es nur Vermögenswerte finanzieller Art gibt und daher nur oft kurzfristige wirtschaftliche Ziele. Die langfristige Orientierung, das Unternehmen an die nächste Generation weitergeben zu wollen, bleibt nämlich auch dann bestehen, wenn die Unternehmer sich scheiden lassen. Auch als Getrennte schauen sie auf die nächste Generation.<BR /><BR /><b>Das Problem ist erkannt und benannt: Was machen wir mit der Erkenntnis?</b><BR />De Massis: Die Kernfamilie ist nicht länger ein selbstverständliches Modell. Diese Tendenz wird sich in Zukunft noch verstärken. Es ist wichtig, dass auf politischer Ebene Maßnahmen umgesetzt werden, die auch andere Arten von Familienmodellen unterstützen und die Menschen ermutigen, mehr Kinder zu haben. Auch andere Formen von Familie brauchen Stabilität: Die Rechte und Pflichten von zweiten und dritten Ehepartnern, von deren Kindern, von größeren Familien, die in Europa immer häufiger vorkommen, müssen besser definiert werden: Elemente dieser Art können helfen. <BR /><BR /><b>Welche Folgen wird die Pandemie mittelfristig für Familienunternehmen haben?</b><BR />De Massis: Die Covid-Krise hat dem vorherrschenden unternehmerischen Gefüge einen Strich durch die Rechnung gemacht – jenseits der direkten demografischen Auswirkungen, von denen natürlich auch die Leiter von Unternehmen betroffen waren. Aber es gibt auch psychologische Aspekte: Wir alle haben durch das Virus das Gefühl für die Vergänglichkeit erlebt. Wir haben erlebt, wie Menschen, die uns nahestehen, krank wurden. Und all diese Emotionen, diese Erfahrungen haben auch das Thema Generationswechsel in den Unternehmen drängender gemacht. Und sicherlich haben Unternehmer – ob an der Spitze eines Familienbetriebs oder eines Imperiums – erkennen müssen, dass eine Nachfolge innerhalb der Familie vielleicht nicht unbedingt die einzige Lösung sein sollte. Nachdem sie gesehen haben, was während der Pandemie passiert ist, können sie sich wahrscheinlich auch andere Möglichkeiten vorstellen, etwa, dass die Nachfolge extern geregelt wird, ein professioneller Geschäftsführer von „außen“ eingestellt wird und den Kindern nur das Eigentum oder die Leitung im Verwaltungsrat überlassen wird. Corona hat den Prozess der Nachfolge beschleunigt und gleichzeitig das Spektrum der Möglichkeiten erweitert, mit denen diese herbeigeführt werden kann. Der Familienunternehmer, dem es gut ging, sah vorher vielleicht nur eine Option: Ich überlasse die Firma meinem Sohn oder meiner Tochter – was dann selten genug gelungen ist.<BR /><BR /><b>Man könnte also sagen, dass wir einen Strukturwandel erleben – gesellschaftlich und wirtschaftlich?</b><BR />De Massis: Absolut, ja: Wir erleben eine strukturelle und gesellschaftliche Veränderung. Denn die Familie ist sicherlich das soziale System, das allem zugrunde liegt: den unternehmerischen Realitäten, aber auch der Politik. Denken wir nur an die aktuellen Querelen im britischen Königshaus. Es gibt eine Krise des grundlegenden sozialen Systems in einem historischen Moment, in dem diese Pandemie dazu beigetragen hat, Prozesse, die bereits begonnen hatten, weiter zu beschleunigen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="647771_image" /></div> <BR /><BR /><b>Erklären Sie sich das aktuell große Interesse am Schicksal der „Promifamilien“ damit? Weil sie auf ein Phänomen hinweisen, das uns alle betrifft?</b><BR />De Massis: Der Megxit, die Scheidung von Jeff Bezos und nun jene von Bill Gates: Diese Fälle empfinden wir als nah, sie berühren uns. Werte und Vorstellungen verschiedener Generationen treffen aufeinander – einerseits haben wir jene der Babyboomer, die jetzt dabei ist, ihre Realitäten der nächsten Generation zu überlassen, den Millennials: einer Generation, die im Zweifel ist. Zusätzlich zu dieser Krise im sozialen Gefüge gibt es auch eine Krise, die wir die Alterungskrise nennen: Wir leben alle länger. Für eine Familie, die an einem Unternehmen beteiligt ist, bedeutet das zum einen, dass Vater oder Mutter länger im Unternehmen sind. Es bedeutet auch, dass die beiden Generationen – der Senior und der Junior – länger gemeinsam im Unternehmen arbeiten und wahrscheinlich auch mehr Konflikte miteinander austragen müssen. <BR /><BR /><BR />