<BR /><b>Mitarbeiter finden und binden – das ist wohl eine der größten Schwierigkeiten, denen Betriebe heute gegenüberstehen. Sie haben ein knapp 300 Seiten starkes Buch über erfolgreiches Personalmanagement („Sieben Erfolgsfaktoren für wirksames Personalmanagement“) geschrieben, das nun in der dritten Auflage erschienen ist. Ihr wichtigster Tipp für Arbeitgeber?</b><BR />Hermann Troger: Ich würde zwei sehr wichtige Dinge nennen: Erstens das familienorientierte Personalmanagement. Das betrifft nicht nur die Personalabteilung, sondern vor allen Dingen die Führungskräfte, denn sie sind im Tagesgeschäft konkret dafür verantwortlich.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158144_image" /></div> <BR /><BR /><b>Familienorientiertes Personalmanagement klingt gut. Können das auch kleine Betriebe umsetzen?<BR /></b>Troger: Ja. Sie werden zwar keinen Betriebskindergarten einrichten können, aber sie können gut auf die jeweiligen familienbezogenen Erfordernisse der Mitarbeitenden eingehen. Das gelingt in einem kleinen Unternehmen vielleicht sogar besser als in einem größeren, weil man dort eher fürchten muss, Präzedenzfälle zu schaffen, die als ungerecht empfunden werden. Ein kleiner Betrieb hat es einfacher, den anderen, nicht betroffenen Mitarbeitenden zu kommunizieren, dass man aus diesem oder jenem Grund eine Ausnahme macht. Ich empfehle, möglichst transparent vorzugehen. Dem betroffenen Mitarbeitenden zu sagen: „Behalte das für dich, das bleibt unter uns“, ist Blödsinn. Wenn man als Führungskraft eine Entscheidung verantworten kann, muss man sie auch offen kommunizieren können. Das signalisiert den anderen, dass auch ihnen geholfen wird, sollten sie sich einmal in einer vergleichbaren Situation befinden.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-69641882_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Der zweite wichtige Punkt?</b><BR />Troger: Arbeitgeber sollten, wenn sie Mitarbeitende finden und binden wollen, deren individuelle Interessen möglichst gut berücksichtigen. Man nennt das den psychologischen Arbeitsvertrag – und der wird jeden Tag neu verhandelt. Denn es gibt auf beiden Seiten unausgesprochene Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse. Da kann zum Beispiel mit hineinspielen, dass jemand mal schlechte Laune hat oder der Vorgesetzte weiß, dass der Mitarbeitende montags nur schwer in die Gänge kommt – und darauf geht er dann ein. Es geht heute sehr viel darum, Menschen ganz individuell abzuholen – bei ihren Bedürfnissen, Interessen, Erwartungen, Stärken, Schwächen usw. Und das kann nur die Führungskraft tun – sie ist für gutes Personalmanagement in der Praxis verantwortlich. Deswegen ist Führung ja auch so anspruchsvoll – und deshalb ist klar, dass eine Führungskraft nicht 30 Mitarbeitende leiten kann, sondern vielleicht maximal zehn. Gleichzeitig ist das Ausdruck unserer mittlerweile komplett individualisierten Arbeitswelt.<BR /><BR /><b>Aber wie schafft man es als Führungskraft, fair zu bleiben gegenüber jenen Mitarbeitenden, die ihre Unpässlichkeiten oder ihre schlechte Laune nie in den Betrieb mitbringen?</b><BR />Troger: Tatsächlich ist es ein anspruchsvoller Job, gut zu führen. Es braucht viel Empathie und Fingerspitzengefühl. Es ist aber auch Aufgabe der Führung, einen Mitarbeitenden darauf hinzuweisen, wo die Grenze ist und wo Einzelinteressen im Sinne des Teams und des Unternehmens nicht berücksichtigt werden können. Denn auch beim psychologischen Arbeitsvertrag geht es um eine Verhandlung von Interessen, und da gibt es zwei Akteure, nicht nur einen: Arbeitgeber bzw. Führungskraft und Arbeitnehmer. Gute Personalführung ist also ein wirksames Verhandeln von Interessen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158147_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie sind auch Vorsitzender der Landesagentur für die Beziehungen zu den Gewerkschaften, die das Land und öffentliche Körperschaften bei Kollektivvertragsverhandlungen vertritt. Seit Monaten sind Sie dabei, wenn es um die Erneuerung des bereichsübergreifenden Kollektivvertrages (BÜKV) geht. Werden da wirksam Interessen verhandelt?</b><BR />Troger: Ich leite zwar die Verhandlungen, aber ich führe die Menschen nicht – das ist etwas anderes. Auch dort hat sich jedoch gezeigt, wie wichtig Empathie und aktives Zuhören sind. Das Allerwichtigste ist, sich respektvoll auf Augenhöhe zu begegnen, die Arbeit und den Auftrag des Anderen zu verstehen, zu akzeptieren und ihn dort abzuholen. Da muss man auch bereit sein, seine Meinung manchmal zu ändern. Schließlich haben beide Seiten dasselbe Interesse: motivierte und zufriedene Arbeitnehmende. Mit Machtkämpfen erreicht man dieses Ziel nicht. Vielmehr sollte es unerheblich sein, von welcher Seite eine gute Idee kommt. Denn alle Arbeitgeber haben mittlerweile erkannt, dass wir in einem arbeitnehmerdominierten Arbeitsmarkt leben – und sie manchmal auch in saure Äpfel beißen müssen.<BR /><BR /><b>Ist das so? Wenn es um kollektivvertragliche Lohnerhöhungen in der Privatwirtschaft ging, konnten die Arbeitgebervertreter es bislang vielfach verhindern, in saure Äpfel zu beißen...</b><BR />Troger: Da müssen wir unterscheiden. Das eine ist die kollektivvertragliche bzw. kollektive Verhandlungsmacht, das andere die individuelle. Arbeitgeber geben ihren sogenannten High Performern, den Leistungsträgern, „gerne“ mal zehn Prozent mehr, fragen sich aber, warum sie das auch bei Low Performern, die nur Dienst nach Vorschrift machen – und manchmal nicht nur das –, tun sollten. Das Risiko, diese Mitarbeitenden zu verlieren, ist nicht so hoch. Zudem muss man auch sagen: Gehaltserhöhungen sind Anreizinstrumente, aber wenn sie kollektiv erfolgen, sind sie bei weitem nicht so motivierend, wie wenn sie individuell gegeben werden.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-69641888_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>In den vergangenen Jahren hat eine Machtverschiebung vom Arbeitgeber hin zum Arbeitnehmer stattgefunden – wegen des Personalmangels. Das dürfte so bleiben. Studien zufolge fehlen Südtirol in den nächsten 15 Jahren immerhin gut 30.000 Arbeitskräfte...</b><BR />Troger: Ja, natürlich. In der Coronazeit, als man Entlassungswellen befürchtete, meinte ein Unternehmer zu mir: „Jetzt kannst du deine Bücher umschreiben – jetzt haben wieder wir das Sagen.“ Aber er hat sich getäuscht. Denn diese Entwicklung hin zu einem arbeitnehmerdominierten Arbeitsmarkt ist nicht durch die Pandemie entstanden, sondern war bereits vorher erkennbar. Fakt ist: Wir werden weniger, wir werden älter, und wir wollen nach wie vor unter uns bleiben. Migration nehmen wir in Kauf und versuchen, bestmöglich damit umzugehen – aber wir wünschen sie uns nicht.<BR /><BR /><b>Obwohl wir Zuwanderung eigentlich brauchen...</b><BR />Troger: Richtig. Und auch die viel diskutierte KI wird an diesem arbeitnehmerdominierten Arbeitsmarkt nichts ändern. Es wird sich zwar einiges verändern: Die demografischen Effekte werden dadurch etwas abgeschwächt und es wird einen größeren Skill-Mismatch geben – das heißt, Menschen werden Qualifikationen haben, die der Arbeitsmarkt nicht braucht, und müssen deshalb umschulen. Aber: Trotz KI wird es bei uns ohne Zuwanderung nicht funktionieren. Weil wir eben bei vielen Dienstleistungen keine Maschine wollen, auch wenn sie fähig wäre, die Dienstleistung zu erbringen.<BR /><BR /><b>Man denke nur an die Pflegeberufe. Stichwort KI: Bei der ersten Ausgabe Ihres Buches 2015 war sie noch kein Thema, es gab auch kein ChatGPT. Heute spricht man darüber, wie viele Berufe sie wohl ersetzen wird...</b><BR />Troger: Ja, damals war Digitalisierung das Thema, und die Expertenmeinungen gingen weit auseinander: Die einen waren überzeugt, dass es zu Massenarbeitslosigkeit kommen wird. Die anderen meinten, man bekomme durch die Digitalisierung den Personalmangel und die Demografieprobleme in den Griff. Worüber man sich einig war: dass nur Jobs mit niedrigen Berufsprofilen gefährdet seien. Das ist heute anders. Heute ist klar, dass auch im akademischen Bereich vieles optimiert werden wird. Übersetzungswissenschaften wird man nicht mehr studieren, und auch Controller, Steuerberater, Juristen und Radiologen machen sich Sorgen um die Zukunft ihrer Berufe – um nur ein paar Beispiele zu nennen.<BR /><BR /><b>Welche weiteren Änderungen haben Sie seit der ersten Ausgabe Ihres Buches beobachtet?</b><BR />Troger: Damals habe ich erstmals von einer „Zeitenwende“ gesprochen. Heute ist das Wort abgedroschen. Und den Begriff „Willkommenskultur“ wollte mein Verlag gar nicht erst im Buch haben.<BR /><BR /><b>Der Begriff wurde damals im Zuge der Flüchtlingskrise häufig verwendet...<BR /></b>Troger: Der Verlag meinte daher, er sei zu politisch behaftet. Heute hingegen rühmt sich jedes Unternehmen mit seiner Willkommenskultur. Auch Wellbeing Management hat damals noch keiner thematisiert und ich wurde teilweise als Sozialromantiker belächelt. Heute bekomme ich Geld dafür, den Unternehmern und Personalern dabei zu helfen, Feelgood Manager zu werden.<BR /><BR /><b>Dazu gehören gesundheitsfördernde Angebote im Betrieb, flexible Arbeitsmodelle, wertschätzende Führung...</b><BR />Troger: Genau. Das ist heute normal. Und nicht, weil Unternehmer plötzlich alle Philanthropen geworden wären, sondern weil sie keine andere Wahl mehr haben. Dasselbe gilt für Top-Sharing und Homeoffice und Workation. Vor zehn Jahren waren das Unwörter – heute ist es normal, weil Führungskräfte gesehen haben, dass es funktioniert. Gleichzeitig ist die Sensibilität gegenüber Werten und Haltungen deutlich gewachsen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158150_image" /></div> <BR /><BR /><b>Inwiefern?</b><BR />Troger: Über Unternehmenskultur und Unternehmenswerte haben wir auch vor zehn Jahren schon gesprochen, und Betriebe haben schöne Visionen und Werteleitbilder erarbeitet. Aber heute sind vor allem die jungen Menschen viel sensibler und spüren, ob diese Werte auch wirklich gelebt werden. Das heißt nicht, dass die Mitarbeitenden früher nicht sensibel gewesen wären – aber sie haben es nicht angesprochen. Heute tun das die jungen Leute – oder sie kündigen.<BR /><BR /><b>Sie sagen auch, heute sei demografieorientiertes Personalmanagement eine der zentralen Herausforderungen. Viele Mittelständler hätten das jedoch noch nicht verstanden.</b><BR />Troger: Das habe ich bereits vor zehn Jahren gesagt – als einer der ersten, weshalb der Springer-Verlag wohl auf mich aufmerksam wurde. Nur ist das Thema „unsexy“ und taugt nicht für kurzfristige Ergebnisse, weder in der Politik noch im Unternehmen. Während große Unternehmen inzwischen aber regelmäßig Altersstrukturanalysen und bewusstes Generationen-Management machen, tun sich viele Mittelständler und kleine Unternehmen damit noch schwer. Man beklagt sich nur darüber, dass es keine „jungen, einheimischen Mitarbeitenden“ mehr gibt.<BR /><BR /><b>Weshalb ist demografieorientiertes Personalmanagement aber so wichtig? Damit nicht irgendwann eine Abteilung ohne kompetente Mitarbeiter dasteht, weil alle zugleich in Rente gehen?</b><BR />Troger: Genau. Aber nicht nur. Es geht auch darum, die Stärken von jungen und älteren Mitarbeitenden gezielt zu nützen. Das hat nicht nur mit altersbedingter Nachfolgeregelung zu tun. Eigentlich ist die Gefahr des Wissensverlustes bei jungen Mitarbeitenden ja viel größer – Stichwort Job-Hopping, das bei 50-Jährigen eher selten vorkommt.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-69642074_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Was muss man als Betrieb also tun?</b><BR />Troger: Einfach gezielt schauen, in welchen Bereichen man einseitig aufgestellt ist – heute und möglicherweise in fünf Jahren. Hat man nur 20-Jährige oder nur 60-Jährige in einer Abteilung? Dann gilt es, gezielt zu durchmischen. Man kann auch eigene Mentoring-Modelle einführen, in denen jüngere Mitarbeitende den älteren die Softwareprogramme erklären und die älteren die Jüngeren zum Beispiel in Resilienz und im vorurteilsfreien Umgang coachen. Das heißt: Zum einen sollte man das Thema Alter aus organisationaler Perspektive demografiebewusst angehen. Andererseits sollte das Alter bei Honorierung, Bewertung von Kompetenz oder Verteilung von Ressourcen, Macht und Geld keine Rolle spielen. <BR /><BR /><b>Warum nicht? Weil Alter keine Leistung ist?</b><BR />Troger: Alter allein für sich genommen: nein. Normalerweise ist Alter aber auch an Erfahrung und somit an Kompetenz gekoppelt. Ich bin nur gegen die klassischen Dienstalterszulagen, die jeder bekommt, unabhängig von seinem Einsatz oder gar von seinem Output. In der Regel leisten ältere Mitarbeiter aufgrund ihrer Erfahrung mehr als jüngere, dann soll das natürlich entsprechend honoriert werden. Aber Leistung hängt auch mit vielen anderen Faktoren zusammen: Talent, Motivation, Innovationsgeist, Ehrgeiz – alles Faktoren, die nicht per se an ein bestimmtes Alter gekoppelt sind. Insofern bin ich für eine deutliche Relativierung des Faktors Alter in der Vergütungspolitik.<BR /><BR /><b>Wenn wir nach vorne blicken: Niemand hat zwar eine Kristallkugel, aber könnte die Entwicklung nicht doch wieder in Richtung eines arbeitgeberdominierten Arbeitsmarktes gehen, etwa bei einer Wirtschaftskrise, in der Betriebe schließen müssen und wieder mehr Menschen auf Arbeitssuche sind?</b><BR />Troger: Ich würde sagen: nein. Dafür müsste sich die demografische Entwicklung radikal ändern – und selbst dann würde es mindestens 20 Jahre dauern, bevor es zu einer spürbaren Umkehr auf dem Arbeitsmarkt kommt. Natürlich können konjunkturelle Einbrüche Auswirkungen auf den Beschäftigungsmarkt haben – aber eben nur kurzfristige. Darin liegt ja gerade der Unterschied zwischen einem konjunkturbedingten Auf und Ab auf den Märkten und der sehr langfristigen konjunkturunabhängigen Demografieentwicklung. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158153_image" /></div> <h3> Zur Person</h3> Hermann Troger ist Berater für Personalmanagement und Organisation, Dozent an Universitäten in Salzburg und Frankfurt und Autor mehrerer Fachbücher. Zuvor war er unter anderem Personalleiter und Geschäftsführer bei Röchling Automotive (Leifers/Mannheim), CEO der Schweitzer AG (Naturns) und Personalvorstand der Südtiroler Volksbank. <Rechte_Copyright></Rechte_Copyright>