<b>Was ist los in Südtirols Arbeitswelt? Überall fehlen Fachkräfte und Nachwuchs. Wo sind diese Menschen? In den Schulen? Auf den Unis? Oder sind sie Faulpelze?<BR /><BR />Eine kurze Beschreibung des Ist-Zustands, bitte.</b><BR />Georg Lun: Schon vor der Corona-Pandemie war ein Fachkräftemangel in verschiedensten Bereichen zu beobachten. Mit der Corona-Krise sah es so aus, also ob kurzfristig eher Arbeitsplätze verloren gehen würden. Aber das ist zum Glück nicht passiert und jetzt sehen wir, dass die Lage am Arbeitsmarkt wieder ist wie vor der Krise. Viele Branchen beklagen einen Arbeitskräftemangel, in einigen ist es sogar akut. Im Tourismus oder im Einzelhandel beispielsweise gab es durch die Pandemie den zusätzlichen Effekt, dass Mitarbeiter die Zeit genutzt haben, um sich umzuorientieren und in andere Sektoren zu gehen. <BR /><BR /><b>Welche Gründe gibt es für den Arbeitskräftemangel?</b><BR />Georg Lun: Hauptursache ist der demografische Wandel. Es kommen immer weniger junge Leute auf den Arbeitsmarkt, weil weniger Kinder geboren werden. Dieser Effekt wird von Jahr zu Jahr stärker. Zusätzlich zählen die Jahrgänge, die jetzt gerade in den Ruhestand gehen, zu den geburtenstärksten. Dadurch kommt es zu einer Verknappung, das Arbeitskräftepotenzial nimmt ab. Zudem hat sich die Wirtschaft in Südtirol in den vergangenen Jahren – wenn wir die Corona-Pandemie wegdenken – sehr positiv entwickelt und hatte Jahr für Jahr einen größeren Bedarf an Beschäftigten. Das Arbeitskräftepotenzial sinkt und die Nachfrage steigt – das bedeutet natürlich Mangel. <BR /><BR /><b>Wird sich der Trend fortsetzen?</b><BR />Georg Lun: Ich denke, grundsätzlich wird er sich fortsetzen. Aber wenn eine Krise kommen und beispielsweise die Konjunktur einbrechen sollte, dann kann sich das kurzfristig auch wieder lockern. <BR /><BR /><embed id="dtext86-53221189_quote" /><BR /><BR /><b><BR />Welche Schritte können dagegen unternommen werden, sei es seitens der Politik als auch seitens der Arbeitgeber?</b><BR />Georg Lun: Es hat von der Handelskammer aus verschiedene Treffen und Workshops mit der Landesverwaltung gegeben, um mit Experten aus unterschiedlichen Bereichen Maßnahmen zu entwickeln. Ein wesentlicher Punkt ist, zu erreichen, dass möglichst alle Personen im erwerbsfähigen Alter arbeiten können. Das betrifft zum großen Teil auch Frauen mit Kindern. Das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird immer wichtiger, die Kinderbetreuung muss organisiert sein, flexible Arbeitszeiten möglich sein, auch Smart-Working muss verstärkt möglich sein, um Familie und Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Ein weiterer Punkt ist, dass die Unternehmen auch aktiv auf dem Arbeitsmarkt suchen müssen, was in der Vergangenheit nicht notwendig war. Personalbüros müssen attraktive Angebote schnüren, damit die potenziellen Mitarbeiter das betroffene Unternehmen auswählen. Die Konkurrenz um die knappen Arbeitskräfte wird zunehmen. Und über kurz oder lang werden auch Arbeitskräfte von außerhalb wieder Thema werden. Dafür müssen das Ankommen im Land und die Unternehmen durch verschiedene Serviceleistungen interessant gemacht werden, damit hochqualifizierte Arbeitnehmer Südtirol als Arbeitsort wählen. <BR /><BR /><b>Branchenübergreifend und international?</b><BR />Georg Lun: Wenn es um Spezialisten geht, ist natürlich die Welt der Markt. Aber je nach Bereich sind auch die umliegenden Regionen und Europa Zielmarkt, was ja beispielsweise bei Pflegekräften und Ärzten schon gang und gäbe ist. Für viele Privatunternehmen ist das hingegen ein neuer Bereich. <BR /><BR /><b>Immer mehr junge Menschen nehmen ein Studium auf, dass länger dauert. Gibt es auf dem Gebiet der Bildung Sachen, die man überdenken müsste?</b><BR />Georg Lun: Ein Studium, also Bildung, ist grundsätzlich positiv zu sehen, weil besser ausgebildete Mitarbeiter produktiver sind. Allerdings ist auch immer die Passgenauigkeit des Studiums wichtig. Oft passt die Studientätigkeit der jungen Leute nicht mit den Berufen und Berufsmöglichkeiten, die es in Südtirol gibt, eins zu eins zusammen. Die Uni Bozen und die Unternehmer sind dabei, das stärker zu verzahnen. Das heißt, der Austausch zwischen Universität und Unternehmen wird verbessert und entsprechend auch die Lehr- und Lerntätigkeit an den Unis so ausgerichtet, dass die Studierenden die richtige Qualifikation für die Tätigkeit in den Unternehmen haben. <BR /><BR /><b>Was raten Sie jungen Menschen, die kurz vor dem Eintritt ins Berufsleben stehen?</b><BR />Georg Lun: Der Schritt vom Studium oder von der Ausbildung ins Berufsleben ist ein wichtiger Abschnitt im Leben. Da geht es meiner Meinung nach darum, eine Tätigkeit zu finden, die für einen passend ist. Man sollte als junger und flexibler Mensch offen sein, etwas auszuprobieren. Oft ist der erste Kontakt mit einem Unternehmen auch nicht der richtige. Heutzutage haben die Jugendlichen eine Fülle von Chancen, die früher nicht denkbar waren, und die Lage am Arbeitsmarkt ist für sie sehr positiv. Ich kann nur empfehlen, offen für Neues zu sein, die Augen offen zu halten und die Chancen, die sich gerade in Südtirol bieten, zu nutzen.