<b>STOL: Herr Mussak, Sie waren während einer schwierigen Phase – während Corona – Präsident des Südtiroler Wirtschaftsrings (SWR). Damals ging man davon aus, dass sich auch das Wirtschaftssystem nach der Pandemie verändern würde. Dem scheint nicht so zu sein. Enttäuscht?</b><BR />Hannes Mussak: Das Wirtschaftssystem hat Südtirol im Grunde viel Gutes gebracht, auch Wohlstand und im Prinzip haben die Wirtschaftssektoren die Corona-Krise besser überwunden als in den Momenten des wirtschaftlichen Stillstands gedacht. Ich habe in den vielen Gesprächen als SWR-Präsident große Angst und Sorgen in den Gesichtern der Unternehmer gesehen. Es ging in diesen Momenten auch darum, dass wir uns gegenseitig Mut zugesprochen und uns unterstützt haben, um diese Krise gemeinsam zu meistern. <BR /><BR /><embed id="dtext86-58661784_quote" /><BR /><BR />Dass wir es geschafft haben die Krise zu überwinden ist auch darauf zurückzuführen, dass die Betriebe in Südtirol wirtschaftlich gesund sind und auf finanzielle Rücklagen zurückgreifen konnten, um die Momente des Stillstandes zu überbrücken. Zudem haben die Mitarbeiter den eigenen Betrieb sehr stark unterstützt. Die Politik hat Hilfsmaßnahmen aufgesetzt, die zweifelsohne notwendig waren. Nach der Corona-Krise habe ich allerdings auch erlebt, dass eine groß angekündigte Welle der schnellen Veränderung ausgeblieben ist. Für mich ist das bis zu einem bestimmten Punkt auch verständlich. Veränderung ist eben auch mit Risiko verbunden und die Angst Fehlentscheidungen zu treffen, war wohl bei vielen nach dem Schock der Corona-Krise noch sehr stark.<BR /><BR />Ich habe auf der anderen Seite mittlerweile auch viele kennen gelernt, die einen neuen Weg einschlagen wollten. Sie haben sich hinterfragt und im Betrieb Dinge umgestellt. Das sind die Macher. Es sind Menschen, die auf Innovation setzen und genau daraus ergeben sich jene Chancen die Südtirol braucht. Die Wirtschaft ist nie starr, sondern immer dynamisch und wir werden durch Krisen auch neue positive Effekte sehen. Deshalb brauchen wir jetzt in der Politik und in den Betrieben Macher, die Zukunftsthemen in den Mittelpunkt stellen. Und wir brauchen gezielte Unterstützung, dass wir alle Menschen in Südtirol auf einen Weg der Zukunft mitnehmen. Das heißt, auch jene, die sich schwer tun diesen Weg mitzugehen, weil sie es einfach finanziell nicht stemmen können oder unsicher sind.<BR /><BR /><b>STOL: Die Politik redet viel von Nachhaltigkeit, Kritiker sagen aber, dass zu wenig getan. Sie haben als SWR-Präsident immer wieder das Thema Nachhaltigkeit aufs Tapet gebracht. Wie schätzen Sie die Situation in Südtirol ein?</b><BR /> Mussak: Wir müssen in die Zukunft investieren, und zwar in eine Zukunft, die Südtirol stärkt. Dafür müssen wir auch als Unternehmer unseren Blick erweitern, nicht an den kurzfristigen Profit denken, sondern an die langfristige positive Entwicklung unserer Familienbetriebe und unseres Landes. Die Unternehmen sind der Schlüssel, wenn es um Lösungen geht, um den Klimawandel und anderen Herausforderungen zu begegnen. Dass Handlungsbedarf besteht, sehen wir allein am Beispiel Wasser. Wenn in Südtirol schon im Winter Alarm geschlagen wird, dass es im Sommer voraussichtlich wieder trocken werden wird, ist das sehr bedenklich. Das Speichern der natürlichen Ressourcen und das Teilen dieser je nach Notwendigkeit auch Untereinander nach dem Prinzip des Bedarfs und der größten Notwendigkeit wird ein Grundsatz sein, nach dem wir uns ausrichten werden müssen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-58661785_quote" /><BR /><BR />Ein weiterer Bereich betrifft die Energie. Die exponentiell gestiegenen Energiepreise waren ein Beschleuniger für das Bewusstsein, dass wir in Zukunft energieautarker sein müssen. Das geht nur über erneuerbare Energiequellen. Die Politik muss die Rahmenbedingungen so gestalten, dass Unternehmen, die ihr Energiesystem auf erneuerbare Energien umstellen nicht mit aufwendigen bürokratischen Verfahren konfrontiert sind. <BR /><BR />Wir dürfen nicht riskieren, dass wir diese Entwicklung ausbremsen und uns selbst im Weg stehen, weil die Verwaltungsverfahren zu bürokratisch sind. Wir müssen Gas geben und das Prinzip der Eigenverantwortung stärken. Vieles bewegt sich ja schon und die Nachfrage ist auch in Südtirol nahezu explodiert. Aufgrund der hohen Nachfrage und der aktuellen Lieferengpässe gibt es bei Fotovoltaik-Anlagen bei den Lieferungen und Montagen beispielsweise Wartezeiten von etwa 6 bis 9 Monaten.<BR /><BR /><b>STOL: Sie waren nicht nur SWR-Präsident, aktuell sind Sie Vizepräsident des Wirtschaftsverbands lvh. Auch diese Branche ist – wie alle anderen Sektoren auch – vom Arbeitskräftemangel arg gebeutelt. Und laut Experten soll es in den kommenden Jahren noch deutlich schlimmer werden: Bis 2032 sollen in Südtirol 30.000 Arbeitskräfte fehlen. Wie kann das eine Volkswirtschaft verkraften?</b><BR />Mussak: Wenn in Südtirol künftig derart viele Fachkräfte fehlen, wie vorausgesagt wird, dann hat das direkte Auswirkungen auf den Wohlstand. Die Betriebe können aufgrund des Personalmangels weniger Aufträge abwickeln, weniger in Entwicklung investieren und müssen mit einem sinkenden Umsatz rechnen. Mitarbeiter hingegen sind mit Mehrarbeit konfrontiert und der Leistungsdruck kann sich so auch negativ auf die Attraktivität des Arbeitsplatzes auswirken.<BR /><BR /> In Südtirol haben wir beispielsweise die Situation, dass wir für die praktischen Berufe, egal ob im Handwerk, in der Gastronomie oder den anderen Sektoren ein hochwertiges duales Ausbildungssystem haben, das es in Italien so nirgendwo sonst gibt. Das hat uns positive Effekte gebracht, dass wir zwar mehr Jugendliche als in anderen Regionen für einen praktischen Beruf begeistern konnten. Allerdings sind es im Verhältnis trotzdem viel zu wenig junge Menschen, die sich für diesen Berufsweg entscheiden. <BR /><BR />Wenn ich mit den Mitgliedsbetrieben des lvh rede, dann ist die händeringende Suche nach Fachkräften das wichtigste Thema und zugleich ihre größte Sorge für die Zukunft. Und das ist nicht nur bei uns so, sondern bestätigen uns auch die Kollegen des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Kunden müssen in Deutschland auf einen Handwerker durchschnittlich 11 Wochen warten, auf Bauhandwerker sogar rund 4 Monate. Bei uns in Südtirol wird dies nicht viel anders sein und die Lage wird sich wahrscheinlich weiter verschärfen.<BR /><BR /><b>STOL: Gibt es eine Lösung gegen den Arbeitskräftemangel?</b><BR />Mussak: Die Themen sind komplex und es gibt wie so oft nicht die eine Lösung, sondern verschiedene Lösungsansätze, die ineinandergreifen und so positive Effekte erzielen. Berufe, in denen Fachkräfte fehlen, müssen attraktiver gestaltet werden. Wenn ich das Handwerk als Beispiel hernehme, so müssen wir Handwerker unsere Begeisterung für den eigenen Beruf selbst hinaustragen. Wir müssen selbst Botschafter sein für die Jugend und dies auch als Teil unserer unternehmerischen Tätigkeit ansehen. Das heißt auch, dass wir auch dafür Zeit aufwenden müssen. Wir dürfen nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sondern müssen selbst aktiv werden. <BR /><BR /><embed id="dtext86-58661786_quote" /><BR /><BR />Wir müssen zudem die Türen unserer Betriebe öffnen und zeigen, dass sie nicht verstaubt und altmodisch, sondern modern und zukunftsorientiert sind. Auch muss es uns gelingen mehr Mädchen für praktische Berufe zu begeistern und wir werden uns auch mit qualifizierten Fachkräften von außerhalb Südtirols auseinandersetzen müssen. Gleichzeitig gilt es, darauf zu schauen, dass wir die Qualität in der Ausbildung nicht verwässern und auch mit unseren Mitarbeitern eine gute Beziehung pflegen. <BR /><BR /><b>STOL: Südtirol lobt sich immer wieder gerne, man sieht sich gern auf den obersten Plätzen der Ranglisten. Doch ganz so rosig schaut es dann doch nicht immer aus. Hat der Wohlstand der vergangenen Jahre dazu geführt, dass wir Südtiroler etwas abgehoben worden sind?</b><BR />Mussak: Wenn wir von Wohlstand sprechen, ist oft der materielle Wohlstand gemeint. Dieser ist in den Jahren sicher gestiegen und allgemein orientieren sich auch viele Südtiroler an dieser Messgröße. Im Prinzip ist dies nichts Schlimmes. Wir müssen aber auch im Auge behalten, dass es nicht allen übermäßig gut geht. Es gibt auch in Südtirol Menschen, die sich täglich große Sorgen machen, ob sie sich künftig noch an dem allgemeinen Wohlstand teilhaben können.<BR /><BR /><embed id="dtext86-58661787_quote" /><BR /><BR />Wir müssen auf der einen Seite sicherstellen, dass unsere Unternehmen wettbewerbsfähig und innovativ bleiben und zeitgleich auch jene Menschen gezielt unterstützten, die es nicht einfach haben im Alltag. Das bedeutet, dass wir nicht wegschauen dürfen, wenn es Menschen in unserem Umfeld schlecht geht. Wir müssen helfen, wo Hilfe gebraucht wird und den Menschen eine Perspektive geben. Die soziale Unterstützung ist ein wichtiger Gedanke der Nachhaltigkeit. <BR /><BR />Zum Glück gibt es in Südtirol auch viele professionelle Anlaufstellen und ein Unterstützernetz. Hier hat die Politik Weitsicht bewiesen. Auf der anderen Seite gibt es auch ein starkes Ehrenamt, das in Notsituationen hilft. Wo wir noch sensibilisieren müssen, ist dass Menschen sich auch in Südtirol nicht dafür schämen Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die versteckte Armut kommt leider auch in Südtirol vor. <BR /><BR />