„Der Ukrainekrieg hat das natürlich nochmal mehr verschärft. Aber diese Situation hat mich nicht über die Maßen beunruhigt. Ich bin grundsätzlich ein positiv eingestellter Mensch und versuche, aus jeder Situation das Beste zu machen“, sagt Baumgartner im Gespräch mit s+. <BR /><BR /><b>Herr Baumgartner, Mitte Februar war fix, dass Sie zur Bergmilch wechseln. Wenige Tage danach kam der Ukraine-Krieg mit seinen bekannten Folgen – auch für Südtirols Milchwirtschaft. Mit so einem Einstieg haben Sie wohl nicht gerechnet?</b><BR />Matthias Baumgartner: Das haben mich die Geschäftsführer der anderen Milchhöfe auch schon öfters gefragt. Aber tatsächlich hat sich die Unruhe in der Branche und darüber hinaus ja schon früher, im zweiten Semester 2021, gezeigt, als die ersten deutlichen Preissteigerungen etwa bei der Energie und Verpackungsmaterial zu sehen waren. Der Ukrainekrieg hat das natürlich nochmal mehr verschärft. Aber diese Situation hat mich nicht über die Maßen beunruhigt. Ich bin grundsätzlich ein positiv eingestellter Mensch und versuche, aus jeder Situation das Beste zu machen. <BR /><BR /><b>Was hat Sie an dem Job gereizt?</b><BR />Baumgartner: Ich war seit gut 11 Jahren als Unternehmensberater tätig, hatte aber immer wieder den Wunsch, selber einmal ein Unternehmen zu leiten. Bergmilch kannte ich ja schon, weil ich das Unternehmen in den vergangenen 10 Jahren als Strategieberater begleitet habe. Als mich der bisherige Geschäftsführer Robert Zampieri dann gefragt hat, ob ich Interesse hätte, habe ich mir – nach ein paar Tagen Bedenkpause – gedacht: jetzt oder nie. <BR /><BR /><b>Und als Unternehmensberater hat sie die Führung einer Genossenschaft, die teilweise anderen Regeln folgt als ein familiengeführtes Unternehmen, nicht abgeschreckt?</b><BR />Baumgartner: Ganz im Gegenteil. Ich finde es erfüllender, für viele – in unserem Fall 2300 – Mitglieder zu arbeiten, als für eine Familie oder einige wenige Aktionäre. Trotz der Schwierigkeiten, die eine Genossenschaft mit sich bringen kann, weil man oft längere Entscheidungswege hat. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-55725644_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Das größte Problem der Wirtschaft sind zurzeit die enormen Kostensteigerungen. Wie geht die Bergmilch damit um?</b><BR />Baumgartner: Die starken Kostensteigerungen stellen uns schon vor große Herausforderungen. Denn die Ausgaben für Strom und Gas lagen bei Bergmilch bis zum vergangenen Jahr bei ein bis 2 Prozent des Umsatzes. Heute sind wir bei 6 bis 7 Prozent – das entspricht fast den Personalkosten. Auch Verpackungsmaterial, das obendrein schwer erhältlich ist, kostete heuer im ersten Halbjahr 30 bis 40 Prozent mehr als 2021. Wir versuchen zwar überall einzusparen, so gut es geht, aber natürlich haben wir nicht so viel Einsparungspotenzial, um diese Preissteigerungen zu kompensieren. Denn wenn es so wäre, hätten wir in Vergangenheit unsere Aufgaben nicht gemacht. Unserer einziger Hebel ist also der Produktpreis. <BR /><BR /><b>Das heißt, es bleibt nur, die Kostensteigerungen an die Kunden weiterzugeben. Das sei schwierig, hat es bislang geheißen…</b><BR />Baumgartner: Das stimmt. Die Supermarktketten haben eine starke Marktmacht und befürchten, Marktanteile an die Discounter zu verlieren, wenn sie die Produkte im Regal teurer machen. Deshalb bremsen sie da stark. Aber mittlerweile konnte unsere Vertriebsmannschaft schon einige Erhöhungen durchsetzen. <BR /><BR /><b>Wie teuer müsste heute beispielsweise ein Becher Joghurt sein, um alle aktuellen Kostensteigerungen – vom Bauern über den Milchhof bis ins Regal – komplett aufzufangen?</b><BR />Baumgartner: Je nach Produktkategorie haben wir Stand heute Preissteigerungen von 20 bis 30 Prozent gegenüber 2021. So viel müsste das Produkt im Supermarktregal mehr kosten, um alle Kosten aufzufangen. Momentan wurde etwa die Hälfte, also 10 Prozent, an den Endkonsumenten weitergegeben. Das Problem ist, dass sich die nächsten Preissteigerungen, etwa bei den Verpackungsmaterialien und den Fruchtzutaten, schon angekündigt haben. Zudem ist noch überhaupt nicht absehbar, welchen Effekt die jüngsten Entwicklungen auf dem Energiemarkt – an der Börse hat sich der Gaspreis von Juni auf Juli ja verdoppelt – wiederum auf die Preise der Rohstoffe haben werden. <BR /><BR /><b>Es ist also völlig unklar, mit welchen Kosten man bis zum Jahresende kalkulieren muss …</b><BR />Baumgartner: Bis zum Jahresende, aber vor allem auch 2023. <BR /><BR /><b>Nicht nur die Wirtschaft leidet unter den hohen Energiekosten, auch die Konsumenten und Ihre Kunden. Befürchten Sie nicht, dass sie zu billigeren Marken abwandern, wenn Mila-Produkte teurer werden?</b><BR />Baumgartner: Natürlich ist in einer Situation mit einer so hohen Inflation das Risiko einer Konsumkrise immer da. Wir spüren es auch schon bei den sehr hochpreisigen Produkten, etwa gereiftem Käse, wo wir in Deutschland schon erste Tendenzen von Absatzrückgängen sehen. Aber im Großen und Ganzen haben wir noch keine Anzeichen bemerkt, dass der Konsum zurückgehen würde – und das obwohl die Preise schon angehoben wurden. Das kann zum Teil auch daran liegen, dass der Handel vielleicht noch nicht alle Preissteigerungen weitergegeben hat. Denn gerade bei den sogenannten Ankerprodukten wie Milch und Butter, deren Preise für den Konsumenten leicht vergleichbar sind, ist der Handel oft bereit, aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit die Preissteigerungen eine Zeit lang zu schlucken. Andererseits denke ich, dass uns längerfristig die Situation sogar zugute kommen kann. Denn andere Produkte werden ja auch teurer. <BR /><BR /><embed id="dtext86-55725645_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Inwiefern kann das der Milchwirtschaft nutzen?</b><BR />Baumgartner: Je teurer ein Ausgangsprodukt desto mehr wirken sich Preissteigrungen aus. Wenn Fleisch oder Fisch 20 Prozent teurer werden, ist das etwas anderes, als wenn ein Joghurt 20 Prozent mehr kostet. Und wenn wir uns nur die Proteinlieferanten anschauen, dann sind Molkereiprodukte die günstigsten am Markt. In Italien haben die Konsumenten im Jahr 2021 durchschnittlich für Molkereiprodukte pro Kopf und Tag nur 80 Cent ausgegeben. Wenn da die Preise um 20 Prozent steigen, dann kommt man auf einen Euro – das ist ja nicht so viel. Deshalb gehe ich gehe davon aus, dass eher eine Umschichtung von anderen – teureren – Proteinlieferanten zu Milchprodukten stattfinden könnte. <BR /><BR /><b>Wie ist aktuell die Stimmung bei Ihren Mitgliedern?</b><BR />Baumgartner: Die Stimmung ist sicher angespannt aufgrund der Unsicherheit und der Kostensteigerungen. Denn die bekommen sie ja monatlich zu spüren, bei der Energie und vor allem den Futtermittel- und Heupreisen. Ich kann aber nur an unsere Mitglieder appellieren, durchzuhalten und uns das Vertrauen zu schenken. Ich bin zuversichtlich, dass die Südtiroler Milchwirtschaft als Gewinner aus dieser Krise hervorgehen wird. <BR /><BR /><b>Was macht Sie da so zuversichtlich?</b><BR />Baumgartner: Zum einen, weil ich – wie gesagt – davon ausgehe, dass die Situation den Milchprodukten in die Hände spielen wird. Zum anderen weil europaweit die Milchmengen reduziert werden. Denn auch in den Flachgebieten mit extensiver Milchwirtschaft, zum Beispiel in Holland, ist die Einführung der Flächenbezugsregelungen geplant. <BR /><BR /><BR /><b>Der Südtiroler Sennereiverband hat diesen Flächenbezug schon 2018 eingeführt: Seitdem darf ein Milchbauer nicht mehr so viel Vieh halten, wie er möchte, sondern die Tierhaltung ist gekoppelt an die zur Verfügung stehende Futterfläche.</b><BR />Baumgartner: Genau. Wenn das auch in anderen Ländern eingeführt wird, wird in Zukunft europaweit weniger Milch produziert. Zudem werden teilweise aufgrund des Ukrainekrieges Flächen möglicherweise eher dem Getreideanbau zugeführt. Daher kann der Rohstoff Milch voraussichtlich mittelfristig einen höheren Preis generieren. <BR /><BR /><b>Im letzten Jahr ist der Auszahlungspreis für die Mitglieder von Bergmilch etwas gesunken, auf rund 50 Cent. Wie sind die Prognosen für 2022?</b><BR />Baumgartner: Der Auszahlungspreis wird und muss heuer steigen. Wie viel, ist noch zu früh zu sagen. Wir sind aber aktuell auf einem guten Punkt.<BR /><BR /><b>In Vergangenheit lautete das Rezept für höhere Auszahlungspreise: Veredelung, also die Verarbeitung von Milch zu höherwertigen Produkten. Mittlerweile hat Bergmilch einen Veredelungsgrad von 90 Prozent. Geht da überhaupt noch was?</b><BR />Baumgartner: Ja, es gibt schon noch Potenzial, auch wenn wir im Sommer mittlerweile die gesamte Milch veredeln. Allerdings wird da auch weniger Milch geliefert, weil die Kühe wegen der hohen Temperaturen weniger Milch geben. Überschussmilch haben wir also nur noch im Winter. Wir versuchen daher, neue Produkte zu entwickeln, die vor allem im Winter produziert werden können, etwa länger gereifter Käse, und die uns dann helfen, den Überschuss an Milch im Winter so niedrig wie möglich zu halten. Mein Ziel ist es, das Produktportfolio so zu entwickeln, dass wir das ganze Jahr strukturell überhaupt keine Überschussmilch mehr haben. <BR /><BR /><b>Stichwort: Ziele. Wo sollte sich Bergmilch in den nächsten Jahren unter Ihrer Führung hinentwickeln?</b><BR />Baumgartner: Die Bergmilch hat in den vergangenen Jahren viel investiert, sodass die Werke für die Zukunft gut aufgestellt sind. Deshalb ist es sicher ein Ziel, diese 2 Betriebe im Hinblick auf die Kosten noch effizienter zu führen, neue Produkte auf den Markt zu bringen und weiterhin motivierte Mitarbeiter zu haben und ein interessanter Arbeitgeber zu bleiben. Hauptziel muss es natürlich sein, für die Mitglieder einen Auszahlungspreis zu erwirtschaften, mit dem sie zufrieden sein können und mit dem sie auch eine Zukunftsperspektive haben. <BR /><BR /><b>Zur Person:</b> Matthias Baumgartner (38) hat in Florenz und London Volkswirtschaft und Financial Management studiert. Danach war er für das internationale Beratungsunternehmen Accenture in Mailand tätig und kam 2011 zur Bozner Unternehmensberatung Roi Team Consultant, wo er 2018 zum Partner wurde. In dieser Zeit lernte er auch die Genossenschaft Bergmilch gut kennen, die er 10 Jahre lang als Strategieberater betreute. <BR />Baumgartner ist verheiratet, hat 2 Kinder und lebt in Völs.<BR /><BR />