„Jetzt muss ich sehen, wie die Kunden mitspielen, was Berufskollegen dazu sagen, und was dieses Sozialprojekt mit mir selbst macht“, sagt der Handwerker zu seinem Experiment. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Sie wollen im Jahr 2022 die 4-Tage-Woche durchziehen. Wie sieht das konkret aus?</b><BR />Bernhard Reiterer: Anstatt 5 Arbeitstage habe ich ab jetzt nur noch 4 Arbeitstage. In der Regel ist das von Montag bis Donnerstag. Freitag ist frei, er heißt ja irgendwie auch so. Aber da bin ich durchaus flexibel, in der Woche nach dem Ostermontag werde ich auch am Freitag arbeiten. Und wenn an einem Freitag eine Arbeit abgeschlossen werden kann, wird das gemacht – aber dann bleibt der Montag frei. Ich bin ja allein, habe keine Mitarbeiter, daher kann ich das gut organisieren. Jetzt muss ich natürlich sehen, wie die Kunden mitspielen, was Berufskollegen dazu sagen, und was dieses Sozialprojekt mit mir selbst macht. <BR /><BR /><b>Auf jeden Fall steht fest, dass Sie am Ende dieses Jahres weniger Geld verdient haben.</b><BR />Reiterer: Das ist klar. 20 Prozent weniger Arbeit bedeutet auch 20 Prozent weniger Einkommen. Aber ich habe das Glück, dass ich nach 30 Jahren Selbständigkeit nicht mehr jeden Euro umdrehen muss. Und vor allem wird es mir nicht schwer fallen, 20 Prozent weniger Geld auszugeben. Bei unserem Lebensstil auf hohem Niveau ist das sicher zu schaffen, ohne großen Verzicht. In der Coronazeit habe ich jedenfalls gemerkt, dass ich schlichtweg nicht so viel brauche. Warum also so viel Lebenszeit für das Geld opfern? Viele sagen sich: Nach der Pensionierung will ich das Leben genießen. Aber da ist es sehr oft zu spät. Ich kannte jemanden, der sich dafür einen Camper gekauft hat. Wenige Tage nach der Pensionierung hatte er einen Herzinfarkt. Ende. Ist es nicht sinnvoller, vorher mehr Zeit zum Leben zu haben, wenn man noch einigermaßen gesund ist? Das verdiente Geld rinnt uns ohnehin nur durch die Finger, zum Leben haben wir schnell einmal genug und mitnehmen kann sowieso niemand etwas. <BR /><BR /><embed id="dtext86-52353100_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wie werden Sie den zusätzlichen freien Tag nützen?</b><BR />Reiterer: Das lasse ich Woche für Woche auf mich zukommen. Vielleicht bin ich von Freitag bis Sonntag mit meiner Frau im Camper unterwegs, vielleicht sind wir daheim im Garten oder im Haus beschäftigt, oder auf dem Berg. Und wenn schlechtes Wetter ist, könnte ich ein Buch lesen oder etwas anderes anfangen. Ein großes Hobby von mir ist die Kunstmalerei; so kann ich mich auch mehr diesem widmen. Aber ich nichts verplanen, sondern spontan bleiben und die Zeit genießen. <BR /><BR /><b>Befürchten Sie nicht, dass viele Kunden abspringen, wenn sie wissen, dass sie Aufträge deutlich langsamer abarbeiten als die Konkurrenz? Heute soll es ja vor allem schnell gehen.</b><BR />Reiterer: Natürlich ist es spannend, wie die Leute darauf reagieren. Aber ich habe zuletzt beobachtet, dass auch Auftraggeber durchaus darauf eingehen. Einige sind zum Beispiel froh, wenn sie am 5. Tag der Woche vom Handwerker eine Ruhe haben und sie auch selbst merken, dass es vielleicht auch langsamer geht und der ganze Stress nicht sein muss. Sicher werde ich auch da flexibel sein, aber bestimmt nicht an Wochenenden durcharbeiten. Für mich zählt aber am Schluss nicht nur Schnelligkeit, sondern vor allem hohe Qualität!<BR /><BR /><b>Wer brachte Sie auf die Idee mit der 4-Tage-Woche?</b><BR />Reiterer: Mit dem Gedanken, weniger zu arbeiten und mehr zu leben, spiele ich schon lange. Ein Auslöser war das Jahr 2021, wo ich so viel wie noch nie gearbeitet habe. Im Sommer hatte ich einen Großauftrag und praktisch an allen Wochenenden im Einsatz. Ende September hatte ich das durchschnittliche Jahrespensum beim Einkommen erreicht. Und da wurde mir klar, dass ich den Rest des Jahres nur noch für die Steuern arbeiten werde. Da verdient nur mehr der Staat. Ein zweiter Auslöser war ein Berufskollege aus Niederösterreich, der einen Betrieb mit 7 oder 8 Mitarbeitern auf die 4-Tage-Woche umgestellt hat. Er sagte mir, dass das funktioniert, die Mitarbeiter gut damit leben und vor allem vieles ruhiger und gelassener geworden ist. Das hat mich schlussendlich ermutigt, in diesem Jahr mit dem Versuch zu starten. <BR /><BR /><embed id="dtext86-52353102_quote" /><BR /><BR /><b>Wie Sie selbst sagen, zahlen Sie dann auch weniger Steuern. Wenn das jetzt alle machen, haben wir weniger öffentliche Gelder etwa für Soziales, Sanität und Straßen zur Verfügung. Können Sie das verantworten?</b><BR />Reiterer: Wir sehen inzwischen ja selbst, dass wir mit diesem immer mehr und immer schneller nicht mehr weiterkommen. Irgendwann ist die Decke erreicht. Dieses System macht viele Menschen krank, schauen Sie sich doch um! Wenn wir weniger arbeiten und gelassener leben würden, müssten wir auch deutlich weniger Geld für das Gesundheitswesen ausgeben. Außerdem sehe ich, dass der Staat sowieso nicht mit dem Steuergeld gut wirtschaften kann. Daher ist es besser, wenn wir darauf schauen, dass wir anfangen, gesund zu wirtschaften. Das bedeutet, dass wir weniger arbeiten, aber auch weniger konsumieren, um die Belastungen der Arbeitswelt irgendwie zu kompensieren. Weniger Konsum ist im Endeffekt auch besser für die Umwelt – Stichwort Nachhaltigkeit!<BR /><BR /><b>Sie sagten mehrmals, dass Ihre 4-Tage-Woche ein Versuch ist. So ganz sicher sind Sie sich also nicht, dass es klappt.</b><BR />Reiterer: Klar ist es ein Versuch, aber ich glaube, dass er gelingen kann. In finanzieller Hinsicht habe ich keine Zweifel, daran wird es nicht scheitern. Beim Rest muss ich sehen. Im Lockdown habe ich jedenfalls erlebt, dass wir mit viel weniger sogar besser leben können. Warum kann ich diesen Lockdown nicht in der Arbeit fortsetzen? Ich kann nur sagen: Ich probiere es. Und Sie können mich in einem Jahr gerne anrufen, um zu sehen, wie es gelaufen ist. <BR /><BR /><BR />In Island wurde die 4-Tage-Woche erprobt – mit vollem Erfolg, wie Sie <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/4-tage-woche-in-island-voller-erfolg-modell-auch-fuer-suedtirol" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">diesem Artikel </a>entnehmen können!<BR />