Der gebürtige Meraner Christoph Kaserer, Professor für Finanzmanagement und Kapitalmärkte an der TU München, über nervöse Märkte, aufgerüttelte Notenbanker und die Möglichkeit einer neuen Inflationswelle. <BR /><BR /><b>Herr Kaserer, nach den Pleiten von Signature Bank und Silicon Valley Bank ist das Misstrauen der Anleger gegenüber dem Bankensystem zurück. Sind die Sorgen berechtigt oder übertreibt der Markt mal wieder?</b><BR />Christoph Kaserer: Also rein fundamental betrachtet, übertreibt der Markt natürlich. Es gibt weder eine handfeste Wirtschaftskrise noch stellen wir aktuell Verwerfungen im Immobilienbereich fest, die üblicherweise destabilisierend auf das Bankensystem wirken. Was schon stimmt, ist, dass vor allem die Pleite der Silicon Valley Bank ein Kollateralschaden der sehr straffen Zinspolitik der US-Notenbank ist. Wobei auch die im konkreten Fall nur zum Problem wurde, weil es wegen eines begrenzten Einlegerkreises zu einem Bank-Run kam, die Kunden der Bank also alle gleichzeitig ihre Einlagen abziehen wollten. Einen solchen Ansturm hält keine Bank der Welt aus, egal wie gut sie aufgestellt ist. Oft genügt wenig, um einen solchen Bank-Run auszulösen, wie wir gesehen haben. Nicht umsonst spricht man auch von einem „Sunspot Bank-Run“, was überspitzt ausgedrückt bedeutet, dass dieser auch durch einen Sonnenfleck ausgelöst werden kann. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="876731_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Um einen Bank-Run auf andere, vor allem kleinere Banken zu verhindern, hat die Fed im Falle der Silicon Valley Bank sofort reagiert und die Begrenzung der Einlagensicherung auf 250.000 US-Dollar aufgehoben. Anders als 2008 wurden also nicht Banken gerettet, sondern die Kunden der Bank – die richtige Maßnahme zur richtigen Zeit?</b><BR />Kaserer: Es war sehr wichtig, dass die Fed schnell und noch am Wochenende aktiv wurde, ansonsten wäre die Lage wohl außer Kontrolle geraten. Im Detail könnte man die Botschaft, dass die Notenbank für Einlagen in jeder Höhe gradesteht, aber durchaus kritisch sehen. Denn, wer sind die Kunden der Bank eigentlich, sind es Verbraucher und private Haushalte? Nein, es sind überwiegend Tech-Startups, hinter denen professionelle Investoren stehen. Ebendiese Investoren werden geschützt und müssen wieder einmal die Risiken ihrer Anlageentscheidung nicht mittragen, weil ja die Notenbank da ist, die einspringt, wenn´s hart auf hart kommt. So gesehen ist die Art der Intervention doch wieder vergleichbar mit 2008; denn: Auch unvorsichtiges Verhalten bleibt ohne Folgen.<BR /><BR /><b>Was viele überrascht hat, war, dass die Banken vor der Wirtschaft leiden, obwohl Zinserhöhungen für sie tendenziell positiv sind, während Unternehmen eher durch steigende Zinsen belastet werden.</b><BR />Kaserer: Das stimmt schon. Jahrelang haben Banken in den USA und Europa über das niedrige Zinsniveau gejammert. Als die Zinswende kam, atmeten viele auf. Höhere Zinsen helfen den Banken, profitabler zu werden. Denn einen großen Teil ihrer Erträge erwirtschaften sie über das Zinsgeschäft. Die Schattenseite ist, dass langfristige Vermögenswerte auf der Aktivseite der Bankbilanz an Wert verlieren. Dieses Risiko ist den Banken jedoch bewusst und muss mit ausreichend Eigenkapital eingedämmt werden. Wenn man in die Vergangenheit blickt, stellt man fest, dass Hochzinsphasen auch in den 70er- und 90er-Jahren mit Problemen für die Bankenwelt einhergingen. Allerdings wurden diese Probleme nicht durch das Bankensystem selbst ausgelöst, sondern waren eine Folge von realwirtschaftlichen Problemen, wie Immobilienkrisen und Rezessionen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-58761561_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Interessant war, dass nicht wenige in Europa sofort mit dem Finger in Richtung USA zeigten, mit dem Verweis, dass so etwas hierzulande nicht passieren könne. Und dann kam der Fall Credit Suisse und auch Bankaktien in Europa sackten ab, die Verunsicherung ist nach wie vor beträchtlich…</b><BR />Kaserer: Das war eine unglückliche Koinzidenz, dass der Fall Credit Suisse einige Tage nach dem Bankenkollaps in den USA wieder akut wurde. Die Probleme der Großbank bestehen nämlich schon länger und sind überwiegend hausgemacht. Eine Aussage des Hauptaktionärs, die an sich nicht mal so dramatisch war, er sagte im Kern ja nur, dass er nicht weiteres Geld in die Bank investieren werde, hat im Klima der allgemeinen Nervosität weitere Schockwellen ausgelöst. Vom Sonderfall Credit Suisse abzuleiten, dass es systemische Risiken im europäischen Bankensystem gebe, halte ich für falsch. Die gesamtwirtschaftliche Lage ist noch vergleichsweise gut und auch die Eigenkapitalseite der Banken sieht besser aus als noch vor der Finanzkrise. Trotzdem haben die Ereignisse der letzten Tage natürlich die Notenbanken dies- und jenseits des Atlantiks ordentlich aufgerüttelt. <BR /><BR /><b>Inwieweit könnten die jüngsten Entwicklungen den strikten Zinserhöhungskurs der Fed und der EZB beeinflussen?</b><BR />Kaserer: Beide Zentralbanken werden nicht müde zu betonen, dass die Zinserhöhungen so lange fortgeführt werden, bis die Inflation wieder um 2 Prozent beträgt. Auch EZB-Chefin Christine Lagarde hat dies kürzlich wieder gesagt. Ich höre das wohl, allein mir fehlt der Glaube, dass man das wirklich so durchziehen würde, selbst wenn es weitere Turbulenzen gäbe, was man aktuell nicht völlig ausschließen kann. Sowohl die EZB als auch die Fed haben auch einen Stabilitätsauftrag. Würde sich die Lage also verschärfen, wird man auch auf der Zinsseite reagieren, davon bin ich überzeugt. <BR /><BR /><b>Bleiben wir kurz beim Thema Zinserhöhungen: Wann glauben Sie, könnten wir wieder erste Zinssenkungen sehen?</b><BR />Kaserer: Heuer gewiss nicht mehr. Das wäre zu riskant, in Europa wissen wir nämlich noch überhaupt nicht, wie sich die bevorstehenden Lohnerhöhungen in vielen Ländern des Kontinents auf die Inflation auswirken werden. Ich halte es durchaus für möglich, dass es zu einer neuen Inflationswelle aufgrund der Lohn-Preis-Spirale kommen könnte. Der Markt rechnet aktuell damit, dass die Inflation im Jahr 2025 wieder zwischen 2 und 3 Prozent liegen wird. Ich wäre mir da ehrlich gesagt nicht so sicher.